Unter dem Deckmantel der Wissenschaftsfreiheit: Antisemitismus im akademischen Milieu
Von Tobias Jaecker, hagalil.com, 24.2.2006
„Die Juden sind unser Unglück!“ Mit dieser berühmt-berüchtigten Hasstirade hat der Geschichtsprofessor Heinrich von Treitschke 1879 den so genannten Berliner Antisemitismus-Streit ausgelöst.
Akademiker sind seit dem 19. Jahrhundert in besonderem Maße anfällig für antisemitische Vorurteile gewesen. Die Modernisierung und Demokratisierung der Gesellschaft sowie die Entfaltung des kapitalistischen Wirtschaftssystems wurde von vielen mit Argusaugen betrachtet; die aufkommende moderne Kultur und Lebensweise sah so mancher als Gefahr für den „gesunden deutschen Geist“. Zeitgleich fand die so genannte Judenemanzipation statt: Die Juden erhielten damit die gleichen staatsbürgerlichen Rechte wie die Nichtjuden. Nachdem sie zuvor vom Staatsdienst und den Handwerks-Zünften ausgeschlossen gewesen waren, nutzten viele nun die neuen Möglichkeiten in Politik, Industrie oder auch Kultur und schafften den gesellschaftlichen Aufstieg. Viele Bildungsbürger neideten den Juden das oder sahen sie gar als Drahtzieher und alleinige Profiteure hinter der gesellschaftlichen Entwicklung.[1] Und so wurden die deutschen Hochschulen, an denen seit je schon ein streng konservativer Geist herrschte, bald zu Zentren des Antisemitismus und deutsche Akademiker zu Vorreitern des Judenhasses.
Der Antisemitismus, darauf weist der Historiker Werner Jochmann hin, war „keine spontane Bewegung benachteiligter Volksschichten […], sondern primär ein Instrument der Führungs- und Bildungsschichten zur Erhaltung und Stärkung der bestehenden Ordnung.“[2] In der wissenschafts- und autoritätsgläubigen Zeit des Wilhelminismus, aber auch in der Weimarer Republik beeinflussten diese Akademiker maßgeblich das Denken und Handeln der Bevölkerung. Bis in die Zeit des Nationalsozialismus gehörten sie zu den aktiven Trägern des Antisemitismus – das macht allein schon die Tatsache deutlich, dass Nazi-Verbände in den Studentenparlamenten schon in den 20-er Jahren massiv Fuß fassen konnten. Unmittelbar nach der Machtergreifung entließen viele Bildungsanstalten in vorauseilendem Gehorsam jüdische Professoren und exmatrikulierten jüdische Studenten.[3]
Nach dem Sieg der Alliierten über das nationalsozialistische Deutschland schien das Phänomen des „akademischen“ Antisemitismus vorerst passé zu sein. Nazi-Gegner und Verfolgte kehrten aus der Emigration nach Deutschland zurück. Einige von ihnen, wie Theodor W. Adorno und Max Horkheimer, erhielten Lehrstühle an deutschen Universitäten.
Seit den 70-er Jahren und verstärkt in der letzten Zeit werden nun an Universitäten weltweit und auch in Deutschland wieder antisemitische Töne laut. Das moderne akademische Ressentiment kommt meist im Gewande des Antizionismus daher. Eine genauere Analyse zeigt jedoch, dass sich dahinter in vielen Fällen nichts als nackter Antisemitismus verbirgt. Das werde ich im Folgenden anhand einiger Beispiele aufzeigen.
Antisemitismus
Der so genannte „moderne Antisemitismus“ hat sich aus dem traditionellen christlichen Antijudaismus heraus im gesamten europäischen Raum entwickelt. Er stellt ein qualitativ neues Phänomen dar: Er ist nicht mehr vorrangig religiös ausgerichtet, und er wendet sich vor allem gegen das emanzipierte und assimilierte Judentum. Der moderne Antisemitismus ist ein politisch-ideologisches Welterklärungsmuster, in dem die „Judenfrage“ zum Schlüssel aller Probleme erhoben wird.
Der Antisemitismus beruht auf Personifizierung. In der antisemitischen Weltsicht stecken hinter allem Unglück „die Juden“, die gesamte moderne Gesellschaft wird im Grunde durch das geheime Wirken „der Juden“ erklärt. Sie werden zu Nutznießern der Entwicklung abgestempelt – und zum alleinigen „Schuldigen“ an der vermeintlichen Misere. Dabei werden sie auch deshalb zum Opfer dieser Projektion, weil sie äußerlich oft gar nicht als Juden erkennbar sind.
Antisemiten schreiben den „den Juden“ bestimmte Wesenseigenschaften zu wie Macht, Zusammenhalt, Geschäftstüchtigkeit, Gefährlichkeit, Empfindlichkeit, Rachsucht, Intellektualität. Insgesamt verkörpern die Juden das „Böse“, mit dem ein existenzieller Kampf geführt wird. Das „Andere“ des Antisemitismus ist also nicht nur etwas „Minderwertiges“, wie das bei der Fremdenfeindlichkeit der Fall ist, sondern vor allem auch etwas Übermächtiges und Bedrohliches. Sämtlichen Erscheinungsformen des Antisemitismus ist eine Vorstellung von „jüdischer Macht“ gemeinsam, die als ungeheuer groß und schwer kontrollierbar empfunden wird.
„Sekundärer“ Antisemitismus
Der Antisemitismus der Gegenwart unterscheidet sich vom modernen Antisemitismus in einigen wichtigen Punkten. Nach dem Massenmord an den europäischen Juden sind offene, extreme Formen der Judenfeindschaft in Deutschland mit einem Kommunikationstabu belegt und allenfalls noch in rechtsextremistischen Kreisen verbreitet. Deshalb äußert sich der Antisemitismus heute in der Regel in indirekten, chiffrierten Versionen, in Anspielungen und Codes. Zum anderen verfügt er über ein neues Element: Oftmals speist er sich aus der Abwehr der Erinnerung an den Holocaust bzw. aus dem „Normalisierungswunsch und der Verhinderung seiner Erfüllung durch die Juden“[4], die den Holocaust nicht vergeben und vergessen können oder wollen und schon durch ihre Existenz daran erinnern. Die Frankfurter Schule hat für dieses Phänomen den Begriff des „sekundären Antisemitismus“ geprägt.
Der sekundäre Antisemitismus äußert sich in Form von tradierten Stereotypen und Redewendungen, auch wenn er oft nur in Meinungsumfragen zutage tritt. Seit den 1970-er Jahren liegt der Anteil der Deutschen mit eindeutig „harter“ antisemitischer Einstellung demnach zwischen 15 und 25 Prozent.[5]
Der Antisemitismus hat sich also trotz politischer Tabuisierung am Leben erhalten können. Von der konkreten Anwesenheit von Juden ist er nicht mehr abhängig – es genügt ihm das Gerücht. Dieses „Gerücht über die Juden“ (Theodor W. Adorno) lebt in Anspielungen fort, die vom Antisemiten sofort verstanden werden. Wenn beispielsweise von „gewissen Strippenziehern von der amerikanischen Ostküste“ die Rede ist, weiß der Antisemit genau: Es sind „die“ amerikanischen Juden gemeint, die angeblich die Geschicke der USA lenken.
Vor allem im Hinblick auf antisemitischen Stereotype wie international verschwörerische Macht, auf Rachsüchtigkeit, Geschäftstüchtigkeit, Geld und Geist bestehen die Vorurteilsstrukturen des Antisemitismus ungebrochen fort.[6] Und so dient der Antisemitismus auch heute noch der Erklärung der Welt.
Antizionismus
Die am weitesten verbreitete Form des Antisemitismus ist heute jedoch der Antizionismus. Dies hängt eng mit der Gründung des Staates Israel im Jahre 1948 zusammen. Anfangs konnte der Antizionismus durchaus auch eine politische, nicht-antisemitische Haltung sein. Spätestens Ende der 60-er Jahre löste er sich aber fast vollständig von seinem innerjüdischen Kontext. Heute ist er deshalb keine politische Haltung mehr – Antisemitismus und Antizionismus sind „historisch unterschiedliche Erscheinungen, die in der Gegenwart dieselbe praktische Bedeutung haben […]. Die Differenz liegt im Etikett.“[7]
In der Bundesrepublik wurde der Antizionismus mit dem israelischen Sechs-Tage-Krieg von 1967 populär, und zwar insbesondere in der studentischen Linken bzw. unter linken Intellektuellen. Die Sympathien galten seitdem immer mehr den sozialrevolutionär und antiimperialistisch auftretenden palästinensischen Befreiungskämpfern – sie wurden zum Identifikationsobjekt Nr. 1 der deutschen Linken.
Israel wurde in diesem Milieu als „Brückenkopf des US-Imperialismus“[8] im Nahen Osten bezeichnet, als „chauvinistisches und rassistisches Staatsgebilde“, oder gar, in traditionell antisemitischer Sprache, als „ökonomisch und politisch parasitär“. Vertreter des Sozialistischen Deutschen Studentenbundes (SDS) agitierten gegen die „zionistische Kolonisierung Palästinas“ und den „Weltzionismus“ und forderten die „vollständige Zerschlagung des zionistischen Staates“. Diese Wortwahl macht deutlich, dass es hier nicht mehr um partielle Kritik an der israelischen Politik ging. Vielmehr wurde dem jüdischen Staat als solchem die Existenzberechtigung abgesprochen, oft mit kaum verbrämter antisemitischer Wortwahl.
Anlässlich des israelischen Libanon-Feldzugs 1982 war sogar von einem „umgekehrten Holocaust“[9], vom „israelischen Vernichtungskrieg“ und einer „Endlösung der Palästinenserfrage“ die Rede, wobei die Israelis als „Nazis“ und die Palästinenser als „neue Juden“ charakterisiert wurden. Das israelische Agieren im Konflikt mit den Palästinensern wurde damit gegen die deutschen Verbrechen im Zweiten Weltkrieg aufgerechnet und diese Täter-Opfer-Umkehr zur eigenen Entschuldung benutzt.
Die Täter-Opfer-Umkehr ist heute in der gesamten Gesellschaft die Erfolg versprechendste Strategie der Antisemiten. Israel-Kritik wird dabei als Vehikel zum Transport von Judenfeindschaft instrumentalisiert, wobei die Juden in aller Welt kollektiv für die Politik Israels haftbar gemacht werden. Eine wichtige Funktion bekommt hier der alte Vorwurf, die Juden würden den Antisemitismus durch ihr Verhalten selbst verursachen.
Nicht selten kommt dabei außerdem der Antiamerikanismus ins Spiel, etwa wenn „den Juden“ im Verbund mit den Amerikanern ein Streben nach Weltherrschaft unterstellt wird. Wenn Globalisierungskritiker heute von der weltumfassenden „Geldherrschaft“ reden oder vom amerikanischen „Finanzkapital“, das hinter den Kulissen der Weltpolitik die Drähte zieht, von Zirkulation, Spekulation und von unsichtbaren und zerstörerischen Kräften, dann geraten nicht nur die USA „als abstrakte Macht der Globalisierung ins Visier“[10], sondern oft auch „die Juden“, die angeblich dahinter stecken.
Oder das Beispiel Nahostkonflikt: Immer wieder werden hier die USA als die „eigentliche“ Kraft hinter der Politik Israels vermutet wie auch umgekehrt eine „jüdische Lobby“ hinter der US-Unterstützung für Israel. Sowohl Amerika als auch Israel werden als „künstliche“ und „parasitäre“ Staaten charakterisiert, die lediglich auf Kosten anderer existierten. Damit werden sie als gemeinsame „Außenseiter-Nationen“[11] denunziert, die sich gegen den Rest der Welt verschworen haben und „uns“, die „Völker“, ins Unglück stürzen.
Zusammenfassend ist festzustellen, dass das scheinbar politische Motiv des Antizionismus dem Antisemitismus einen größeren Anschein von Realitätsgehalt verschafft hat. Der Staat Israel ist dabei sozusagen als Kollektivjude anstelle des Individualjuden getreten.
Der Antisemitismus ist heute mit einem kleinen Kernbestand an Klischees und Stereotypen so anpassungsfähig geworden, dass er in ganz unterschiedlichen politischen und kulturellen Milieus verbreitet ist: Sowohl bei Rechtsextremisten und radikalen Islamisten, aber auch bei Globalisierungskritikern, Wissenschaftlern und Intellektuellen. Er umfasst antizionistische und antiamerikanische Elemente, bedient sich aber inhaltlich der alten Muster. Und so werden die Juden auch heute noch mit Verschwörung, Macht, Gefährlichkeit, Rachsucht, Zusammenhalt und Zersetzungskraft assoziiert.
In Deutschland speist sich dieser Antisemitismus vor allem aus dem Wunsch nach Entschuldung vom Holocaust. Denn indem die Juden zu Tätern gemacht werden, scheint die geschichtliche „Last“ der Deutschen leichter zu werden. Hannah Arendt hat diesen Mechanismus folgendermaßen beschrieben: „Wenn alle schuldig sind, ist es keiner“[12].
Antizionistische Debatten
In welcher Form treten Antisemitismus und Antizionismus nun im akademischen Milieu zutage? Beispiele gibt es viele. Vor allem seit Beginn der zweiten so genannten „Intifada“ der Palästinenser im Jahre 2000 und verstärkt noch einmal mit den Terroranschlägen vom 11. September 2001 ist der antisemitisch-akademische Diskurs voll in Gang gekommen. Getreu der Behauptung des Philosophen Peter Sloterdijk, die wirklichen „rogue states“[13] („Schurkenstaaten“) seien die USA und Israel, wird der jüdische Staat dabei – das ist die Hauptstoßrichtung – dämonisiert und delegitimiert.
Erinnern wir uns zum Beispiel an die Debatte um den kanadisch-britischen Philosophen Ted Honderich im Sommer 2003. In seinem Buch „Nach dem Terror“ schrieb Honderich nicht nur, dass der Zionismus von den UN zu Recht als „Rassismus“ verurteilt worden sei, sondern auch, dass die Juden „als Hauptopfer von Rassismus in der Geschichte […] von ihren Peinigern gelernt zu haben […] scheinen.“[14] Und weiter: „Ich für meinen Teil habe keinen ernsthaften Zweifel, dass die Palästinenser mit ihrem Terrorismus gegen die Israelis ein moralisches Recht ausgeübt haben.“[15] Unverblümt wird hier die Ermordung jüdischer Zivilisten in Israel gerechtfertigt – der ehemalige Direktor des Fritz-Bauer-Instituts, Micha Brumlik, bezeichnete dies ganz treffend als „philosophischen Judenhass“.
Auf einer Veranstaltung an der Universität Leipzig, die vom dortigen Philosophie-Professor Georg Meggle organisiert wurde, räumte Honderich zwar ein, dass Terror gegen ganz und gar Unschuldige nicht erlaubt sei und auch nicht die Lage der Palästinenser verbessere. Er könne sich aber überhaupt nicht vorstellen, dass Selbstmordattentäter nur Unschuldige töten wollten, so Honderich[16] – welch haarspalterische Erkenntnis.
Im „Palestine Chronicle“ hatte Honderich schon Ende 2002 geschrieben, sein Buch sei „ernsthaft und respektvoll“ aufgenommen worden – auf Veranstaltungen an neun Universitäten in Großbritannien und Amerika, inklusive Oxford und Columbia. Es habe „eine kleine zionistische Aufregung“ gegeben, mehr nicht.[17] Soll heißen: Es regen sich wieder nur die üblichen Verdächtigen auf – die Juden.
Hinter dem Schutzschild der Wissenschafts-Freiheit scheint keine Frage zu schade zu sein, um nicht „unvoreingenommen“ diskutiert zu werden – und sei es die Legitimität von kaltblütigen Mordattentaten. Der Hamburger Völkerrechts-Professor Norman Paech etwa – heute sitzt er für die Linkspartei im Bundestag – attackierte Micha Brumlik wegen seiner Kritik an Honderich in einem Offenen Brief in der Tageszeitung „junge Welt“ mit scharfen Worten: Brumlik beschneide „eine wissenschaftliche Diskussion, die angesichts des weltweiten Ausgreifens des Terrorismus kontrovers und deshalb ohne Tabus geführt werden“ müsse. „Eine derart exekutivische Gedankenzensur“ sei „zutiefst antiaufklärerisch“, „für eine demokratische Wissenschaftskultur unerträglich“ und werde dem Antisemitismus nur „neuen Auftrieb geben“.[18] Auch hier das antisemitische Totschlag-Argument: Die wahren Antisemitismus-Verursacher sind demnach vor allem diejenigen, die auf antisemitische Äußerungen aufmerksam machen.
Auf die Spitze getrieben wird diese „Logik“ noch von Y. Michal Bodemann, Professor für Soziologie an der University of Toronto. In der „taz“ schrieb er über die deutsche Honderich-Debatte: „In panischem Philosemitismus stellt man sich vermutlich vor, was der Zentralrat der Juden zu diesem oder jenem sagen würde, und macht sich diese Vorstellungen, jüdisch affiziert, zu Eigen.“[19] Bodemann gibt also direkt den Juden die Schuld an der ganzen Aufregung. Ein klassisches antisemitisches Klischee: Der unversöhnliche, rachsüchtige Jude lässt die Deutschen nicht zur Ruhe kommen und nutzt ihr aus dem Holocaust resultierendes schlechtes Gewissen schamlos aus.
Mit seiner Rechtfertigung des palästinensischen Terrorismus steht Honderich nicht allein. Udo Steinbach, Direktor des Hamburger Orient-Instituts, sagte in einem Vortrag Anfang 2003 in Salzgitter: „Wenn wir sehen, wie israelische Panzer durch palästinensische Dörfer fahren und sich die verzweifelten Menschen mit Steinen wehren, dann müssen wir im Blick auf Warschau und im Blick auf den Aufstand der Juden im Warschauer Ghetto auch fragen dürfen, war das dann nicht auch Terror?“[20] Das Verständnis für den palästinensischen Terrorismus wird hier unterfüttert und gerechtfertigt mit einem Nazi-Vergleich – ein demagogisches Argumentationsmuster, das Antizionisten gerne und häufig verwenden.
Manchmal allerdings hilft nur das Verharmlosen. Etwa im Falle der offenen Vernichtungsdrohungen, die Irans Präsident Ahmadinedschad wiederholt gegen Israel gerichtet hat. Die Forderung Ahmadinedschads, Israel von der Landkarte zu tilgen, redete Steinbach in einem Zeitungs-Interview als „kurzen Rückfall in alte Rhetorik“[21] klein. Ahmadinedschad sei „außenpolitisch vollkommen unerfahren“ und habe schon bei seinem ersten Auftritt vor der UN-Vollversammlung „überhaupt nicht den angemessenen Ton getroffen“, so Steinbach.
Übertroffen wird Steinbach noch von Ludwig Watzal, Redakteur der Zeitschrift „Aus Politik und Zeitgeschichte“, die von der Bundeszentrale für Politische Bildung herausgegeben wird, und Lehrbeauftragter an der Universität Bonn. Watzal veröffentlichte in den letzten Jahren mehrere Artikel auf der Website der „Antiimperialistischen Koordination“ (AIK) und in der radikalen antiimperialistischen Webzeitung „Intifada“, dem Magazin der linksextremistischen „Campo Antiimperialista“, die Selbstmordanschläge als „legitimen Widerstand“ verherrlicht und offen den „irakischen Widerstand“ unterstützt.[22]
In seinem Artikel „Steht den Palästinensern eine neue Vertreibung bevor?“ verteidigt Watzal das palästinensische „Widerstandsrecht“ – denn darum handele es sich „beim ‚palästinensischen Terrorismus'“ – gegen die „wildgewordene Kolonialmacht“ Israel.[23] Außerdem bastelt Watzal an kruden Verschwörungstheorien. So schreibt er nicht nur von einer angeblichen „politische[n] Symbiose zwischen den USA und Israel“, sondern auch von einer „Israelisierung der Welt“.[24] Laut Watzal hätten nicht nur israelische Politiker kurz nach dem 11. September behauptet, dass der Terror gegen Amerika mit dem Terror gegen Israel identisch sei – sondern auch die amerikanischen Neokonservativen, die, so Watzal, „persönlich, ideologisch und selbst institutionell“ eng mit der israelischen Rechten verbunden seien. Dass es sich bei vielen dieser Neokonservativen um Juden handelt, das wissen eingeweihte Leser natürlich längst. Und diese Neokonservativen sind nun in der Watzal’schen Logik dafür verantwortlich, dass Bush Scharon „freie Hand“ bei seiner Palästinenserpolitik gegeben habe.
Außerdem gibt Watzal israelischen und jüdischen Politikern die Hauptschuld am Irak-Krieg. „Die amerikanische Besatzungspolitik im Irak israelisiert sich zusehends“, schreibt Watzal, und: „Nur Wenige bezweifeln heute noch, dass Israel ein wichtiger Faktor war, warum US-Präsident Bush den Irak überfallen hat.“ Eine antisemitische Verschwörungstheorie in Reinform: Die Juden in aller Welt halten bedingungslos zusammen, handeln ausschließlich im israelischen Interesse und treiben Amerika in den Irak-Krieg – und damit die ganze Welt ins Verderben.
Auch das antisemitische Klischee von der jüdischen Medien- und Finanzmacht, mit der die Juden angeblich mehr als nur gewöhnliche kommerzielle Interessen verfolgen, wird von Watzal kolportiert. Nachdem etwa der amerikanisch-israelische Medienmogul Haim Saban den deutschen Medienkonzern ProSiebenSat.1 gekauft hatte, schrieb Watzal in der Wochenzeitung „Freitag“: „Israel hat heute mehr denn je und weltweit ein Imageproblem, klammert man die USA einmal aus. […] Diesen fatalen Eindruck zu korrigieren, das dürfte ein Anliegen von Sabans Medienimperium sein.“[25]
Die eben genannten Beispiele gehören zum medialen Hintergrundrauschen der Gegenwart. Antisemitische Klischees werden hier von so genannten „Experten“ aus der Wissenschaft als seriös geadelt. Doch das antisemitische Ressentiment hat auch in die Hörsäle selbst mit voller Wucht Einzug gehalten.
Der Hamburger Politikwissenschaftler Prof. Rolf Hanisch etwa bot im Sommersemester 2005 eine Vorlesung an unter dem Titel: „Der ‚neue‘ Antisemitismus: Ein Weltproblem?“ und wollte dabei unter anderem folgende Fragen behandeln: „Wer ist ein Jude?“, „Sind die Juden selbst schuld am Antisemitismus?“, und: „Das Lebensrecht Israels? Welches Israel?“ Im einem Seminar führte Hanisch aus, warum er ungern von Israel spricht: „Palästina, die besetzten Gebiete, gehören nun mal zu Arabien“. Zwar konnten einige der Veranstaltungen von protestierenden Studenten verhindert werden, aber die Uni-Leitung ließ Hanisch bei seinen antisemitischen Vernichtungsphantasien weit gehend freie Hand.[26]
Ein anderes Beispiel: Die von Professor Georg Meggle initiierte einjährige Ringvorlesung „Deutschland – Israel – Palästina“ an der Uni Leipzig. Schon der Ankündigungstext macht deutlich, wo der Hase lang läuft: „Der Israel-Palästina-Konflikt ist wie eine tödliche und, wie viele erklären, unheilbare Krankheit, welche die Menschen – speziell in Israel und Palästina – körperlich wie innerlich zerreißt und ihnen zunehmend die Menschlichkeit raubt.“ Zu vielen kritischen Fragen im Zusammenhang mit den „Spiralen der Gewalt“ im Nahen Osten werde „bei uns bisher fast nur geschwiegen“. Bei der Vorlesung solle dies anders werden: „Die Positionen müssen / sollen / werden divergieren – und dies, der Sache wegen, auch extrem.“[27] Eine unheilbare Krankheit aber – das erklärt sich eigentlich von selbst – lässt sich definitiv nicht heilen. Eine „Lösung“ des Nahost-Konflikts á la Meggle kann man sich innerhalb dieser Logik nur so vorstellen, dass der israelische Staat von der Landkarte verschwinden muss. Denn offenbar hat es ja zuvor einen „gesunden“ Zustand mit einer Harmonie der Völker in der Region gegeben.
Derart offen kann man so etwas natürlich nicht sagen. Und so hat Meggle neben ausgewiesenen Antizionisten auch Personen wie den konservativen Historiker Michael Wolffsohn und den israelischen Botschafter Shimon Stein nach Leipzig eingeladen – mit der Begründung, pluralistisch und kontrovers diskutieren zu wollen.
Die referierenden jüdischen und nichtjüdischen Antizionisten machten allerdings schnell deutlich, was das „pluralistische“ Leipziger Allerlei in Wirklichkeit ist: Ein antizionistisches Einerlei. Der Oxforder Philosoph Uwe Steinhoff etwa sprach am 18. April 2005 unter anderem über die „Verbrechen Israels“.[28] Israels Ministerpräsident Ariel Scharon nannte er einen „jüdischen Terroristen, Rassisten und Kriegsverbrecher“. Im Zusammenhang mit Scharons „indirekter Verantwortung“ für die Massaker von Sabra und Schatila verglich er ihn außerdem mit dem SS-Obersturmbannführer Adolf Eichmann, der für die Ermordung von hunderttausenden Juden verantwortlich war: „Eichmann hat übrigens auch nie einen Juden persönlich umgebracht, sondern nur bei deren Ermordung geholfen.“ Und: „Wenn etwa ausgerechnet jemand wie Scharon, der eine erhebliche Übung im Begehen terroristischer Akte und dem Abschlachten von Unschuldigen hat, sich über terroristische Akte und das Abschlachten von Unschuldigen erregt, dann wird man sagen müssen: der hat es gerade nötig. Und wenn Israelis […] sich über Palästinenser aufregen, die die Hamas unterstützen, wird man wiederum sagen müssen: die haben es gerade nötig.“
Neben dem Vergleich Scharons mit Eichmann setzt Steinhoff hier also die israelische Regierung mit einer Terror-Organisation gleich. Die Beschreibung Scharons als im „Abschlachten von Unschuldigen“ erfahrener Mann bedient außerdem das antisemitische Klischee von den Juden als „Kindermörder“. An der Uni Leipzig wurde Steinhoffs Rede mit stürmischem Applaus bedacht. Einwände wurden weder von den anwesenden Wissenschaftlern noch von den Studierenden vorgebracht: Ariel Scharon ist wie Adolf Eichmann und die demokratisch gewählte israelische Regierung gleicht einer Terror-Bande, so der Tenor der Veranstaltung.
Das zweite Beispiel aus Leipzig: Der in Holland lebende Holocaust-Überlebende Hajo Meyer, Physiker und Publizist, erörterte im Juli 2005 die „dunkle“ und „die gute Seite des Judentums“, wobei er die dunkle Seite im heutigen Israel verortet und in der „Vernichtung der traditionellen jüdischen humanitären Werte durch die Besatzung Palästinas.“ Auf einer Overhead-Folie behauptete Meyer eine „blendende Wirkung der Gaskammern“, die es den Israelis heute unmöglich mache, das palästinensische Leid zu sehen. Meyer verglich die israelische Palästinenser-Politik mit der nationalsozialistischen Judenverfolgung: Das, „was den Palästinensern unter der Besatzung alles tagtäglich angetan wird“, sei „beinahe identisch“ mit dem „was man schon vor der ‚Endlösung‘ mit den deutschen Juden machte.“ Das Fehlen von Gaskammern in Israel sei der wesentliche Unterschied zum Nationalsozialismus, so Meyer. Und: „Wenn es überhaupt so etwas wie eine Zunahme des Antisemitismus gibt, dann liegt die Hauptursache dafür im politischen Verhalten von Israel selbst.“ Auch hier wieder das klassische antisemitische Bild, Israel bzw. die Juden seien für das Entstehen von Antisemitismus selbst verantwortlich. Weil diesen Äußerungen vom Veranstalter Georg Meggle nicht widersprochen wurde, liegt der Verdacht nahe, dass Meyer gerade deshalb eingeladen wurde, weil er Jude ist und bereitwillig sagt, was sich der Meggle nicht zu sagen traut.
Auch der Sprachwissenschaftler Noam Chomsky vom Massachusetts Institute of Technology (MIT) durfte in Leipzig ein Stelldichein geben. Als Linguist hat Chomsky unbestreitbar große Verdienste, aber das, was er heute zur Weltpolitik zur sagen hat, müsste eigentlich indiskutabel sein. So behauptet Chomsky etwa: „Ich sehe nichts Antisemitisches in der Leugnung der Existenz von Gaskammern oder selbst in der Leugnung des Holocaust“. Chomsky hält es außerdem für ausgemacht, „dass die Sharon-Regierung ein einziges riesiges Labor zur Züchtung des Antisemitismus-Virus darstellt“.[29]
Was haben solche Thesen in einem Hörsaal zu suchen? Ich weiß es nicht. Faktisch jedenfalls führt die von Professor Meggle propagierte „schonungslose Diskussion“ nur dazu, dass der blanke Judenhass sich frei entfalten kann. Unter einem akademischen Deckmäntelchen freilich.
Antizionistische Aktionen
Festzustellen ist aber auch, dass der Israel-Hass längst nicht mehr auf der diskursiv-theoretischen Ebene verbleibt, sondern auch ganz handfeste Auswirkungen in den Universitäten hat. An erster Stelle ist hier der akademische Israel-Boykott zu nennen.
So erschien in der britischen Tageszeitung „Guardian“ im April 2002 ein offener Brief, in dem dazu aufgerufen wurde, Israel auf kultureller und wissenschaftlicher Ebene zu isolieren. Unterzeichnet wurde der Brief anfangs von 125 meist britischen Akademikern. Ihre Forderung: Bestehende Verbindungen mit Israel aus wissenschaftlichen Bereichen sollten auf nationaler und europäischer Ebene abgebrochen werden, „so lange, bis Israel sich an die UN-Resolutionen hält und ernsthafte Friedensverhandlungen mit den Palästinensern beginnt….“[30]
Der Boykott-Aufruf hatte Folgen. Einige Universitäten, vor allem in Großbritannien, stellten umgehend die Zusammenarbeit und den Austausch mit israelischen Wissenschaftlern und Institutionen ein. Israelische Studenten bekamen vielerorts Probleme, einen Prüfer oder Diplomarbeiten-Gutachter zu finden. Außerdem gab es Fälle, in denen israelische Universitätsmitarbeiter entlassen wurden.
Später wurde der Boykottaufruf von Wissenschaftlern aus ganz Europa unterschrieben, so auch von Dr. Willis Edmondson, der am Fachbereich für Angewandte Sprachlehrforschung der Uni Hamburg lehrt. Auch einige Berufsverbände schlossen sich dem Aufruf an. So beschloss der Verband der britischen Universitätsdozenten auf seinem Kongress in Eastbourne im April 2005, die israelischen Universitäten Haifa und Bar-Ilan zu boykottieren und alle akademischen Kontakte abzubrechen. Begründung: „Komplizenschaft“ der Unis bei Menschenrechtsverletzungen in den besetzten Gebieten und eine angebliche Diskriminierung von regierungskritischen israelischen Wissenschaftlern.[31]
Ein Student der Uni Tel Aviv bekam die Wirkungsweise des akademischen Boykotts hautnah zu spüren: Im Juli 2005 suchte er nach einem Labor, in dem er seinen Doktor in Genetik machen könnte und schickte seine Bewerbung unter anderem an Prof. Andrew Wilkie, Pathologie-Professor an der Oxford University. Wilkie lehnte den Antrag ab und schrieb zur Begründung: „Ich bin sicher, Sie sind ein netter Mensch, doch ich würde nie jemanden nehmen, der in der israelischen Armee gedient hat.“ Außerdem habe er „ein Riesenproblem mit der Art, wie die Israelis aus ihrer furchtbaren Behandlung im Holocaust ein moralisches Recht ableiten und dann grausame Menschenrechtsverletzungen an den Palästinensern begehen, weil sie [die Palästinenser] in ihrem eigenen Land leben wollen.“[32]
Was sind die Beweggründe für ein solches Verhalten? Warum werden einzelne Studenten und Wissenschaftler in Sippenhaft genommen für die Politik ihres Heimatlandes? Vielleicht führt die Frage weiter, warum die britischen Akademiker niemals auch nur erwogen haben, Boykotte gegen Akademiker aus Ländern auszurufen, in denen tatsächlich massiv gegen die Prinzipien der akademischen Freiheit und gegen die Menschenrechte verstoßen wird. Warum kein Boykott gegen Wissenschaftler aus China, Russland oder Nordkorea?
Die Antwort: Es handelt sich hier klar um eine politische Entscheidung. Das eigentliche Ziel der Organisatoren des Boykotts ist die Beseitigung Israels – das zeigt sich deutlich am Verhalten und an den Äußerungen seiner Protagonisten. Die bekannteste Boykott-Befürworterin etwa, Prof. Susan Blackwell von der Birmingham University, stand bei der Konferenz, auf welcher der Boykottaufruf beschlossen wurde, eingehüllt in eine palästinensische Flagge vor den Teilnehmern, bezeichnete Israel als einen „kolonialistischen Apartheidstaat, heimtückischer noch als Südafrika“ und rief zur „Beseitigung dieses Regimes“ auf.[33] Mit dieser Behauptung aber – Israel gleich Apartheidstaat – wird dem Land jede Legitimität abgesprochen. In dieser Logik muss Israel ausgelöscht und durch einen anderen Staat ersetzt werden, nämlich Groß-Palästina.
Diese Haltung wird implizit auch in den Kampagnen vertreten, die an verschiedenen Universitäten in den Vereinigten Staaten gestartet wurden. Professoren von insgesamt 34 US-Universitäten, darunter Harvard und das MIT, unterzeichneten 2002 einen anti-israelischen Boykottaufruf. Gefordert wurde darin unter anderem, keine Forschungsgelder mehr nach Israel zu geben.
Die amerikanische Anti-Defamation League berichtet außerdem von persönlichen Einschüchterungen gegenüber pro-israelischen Studenten und Dozenten, von antisemitischen Sprüchen, Flugblättern und Graffitis sowie von anti-israelischen Demonstrationen und universitären Veranstaltungen, insbesondere an den Middle East Departments einiger Universitäten. Allein im Jahr 2004 hat die Organisation rund 70 solcher Vorfälle dokumentiert, Tendenz: steigend.[34]
Fazit
Bei dieser Fülle antisemitisch-antizionistischer Äußerungen und Aktionen im akademischen Milieu möchte ich abschließend die Frage diskutieren: Handelt es sich dabei um eine „besondere“ Art des Antisemitismus oder äußert sich hier schlicht und einfach das gewöhnliche antisemitische Ressentiment, das in der ganzen Gesellschaft verbreitet ist?
Die amerikanische Psychologie-Professorin Phyllis Chesler schreibt in ihrem Buch „Der neue Antisemitismus“, die antiisraelische Stimmung an den Universitäten sei in der akademischen Atmosphäre der „political correctness“ entstanden.[35] Alles und jedes werde hier zur Disposition gestellt, zumindest zur verbalen, und viele seien offenbar der Auffassung, quasi im luftleeren akademischen Raum über das angeblich so schlimme Verhalten Israels diskutieren zu können, ohne die mörderische Realität zur Kenntnis zu nehmen. Und diese Realität heißt ja auch, dass Israel seit Jahrzehnten in seiner Existenz bedroht ist.
Viele dieser antizionistischen Akademiker sind außerdem Linke – zumindest bezeichnen sich die meisten selbst so -, die in den 70-er Jahren politisiert wurden, als die Palästina-Solidarität boomte und der Israel-Hass explodierte. Nicht wenige der damals stramm antizionistischen Linken haben sich vom Judenhass mittlerweile distanziert. Aber eben nicht alle. Und einige Akademiker scheinen seit der zweiten „Intifada“ und den Terroranschlägen vom 11. September 2001 geradezu wieder aufzublühen in ihren antisemitischen Ressentiments.
Wer sich an universitären Einrichtungen offen antisemitisch äußert, gefährdet allerdings seine wissenschaftliche Karriere. Deshalb hat sich im akademischen Milieu ein Antisemitismus der smarten Art breit gemacht, bei dem sich die Abneigung gegen „die Juden“ und den Staat Israel hinter scheinbar plausiblen Argumenten, offenen Beteuerungen und geistreichen Anspielungen verbirgt. Ein streng „wissenschaftlicher“ Antizionismus gewissermaßen, der nicht selten als Antirassismus getarnt wird, um Kritik von vornherein die Spitze zu nehmen. Ein Antizionismus, über den sich diskutieren lässt wie über eine wissenschaftliche Theorie.
Aber den Akademikern, die sich hier hervortun, geht es gerade nicht um die wissenschaftliche Debatte. Sondern vielmehr darum, dem Hass gegen Israel und die Juden freien Lauf zu lassen und zugleich – insbesondere mit inflationären Nazi-Vergleichen – die Deutschen von ihrem latenten Schuldgefühl zu befreien. Erschreckend ist dabei, dass es an den meisten europäischen Universitäten – anders als an amerikanischen – kaum Kritik an diesen antizionistischen Umtrieben gibt.
Ich will noch einmal betonen, dass Intellektuelle, Akademiker und Wissenschaftler in einer Gesellschaft nicht wichtiger sind als andere Menschen. Aber sie geben ihre Ansichten an Schüler und Studenten weiter und sie beraten uns als Experten, üben also großen gesellschaftlichen Einfluss aus. Wir nehmen an, dass sie dabei wissenschaftlich gesicherte Erkenntnisse vertreten – deshalb wird der Meinung von Wissenschaftlern großes Gewicht beigemessen. Und das ist auch der Grund, warum es so wichtig ist, den „akademischen“ Antizionismus zu kritisieren – es handelt sich hier schlicht um eine besonders gefährliche, weil scheinbar seriöse Variante des Antisemitismus.
Der Antisemitismus ist gerade nicht der „Antikapitalismus der dummen Kerls“, wie August Bebel gesagt hat. Der Antisemitismus ist im Bildungsbürgertum zwar auch nicht stärker verbreitet als im Rest der Gesellschaft, aber es handelt sich hier um eine ganz besondere Ausprägung. In Anlehnung an Bebel könnte man sagen: Der Antizionismus ist der Antisemitismus von Bildungsbürgern und akademischer Elite.
Dass der antisemitische Diskurs im akademischen Milieu vor allem um Israel kreist, ist dabei kein Wunder. Antisemiten haben sich schon immer auf reale Ereignisse und Personen berufen. Darauf weist der französische Philosoph Alain Finkielkraut hin, wenn er sagt: „Die Pharisäer wollten ja tatsächlich mit Jesus Schluss machen, und die Rothschilds hat es bekanntlich auch gegeben.“[36] Heute sind es halt nicht mehr schlicht „die Juden“, sondern es ist auch und vor allem der Staat Israel, der gehasst und bekämpft wird – stellvertretend für die Juden sozusagen. Der Geschichtsprofessor Heinrich von Treitschke, den ich eingangs zitiert habe, würde heute wohl ausrufen: „Israel ist unser Unglück!“
Der Aufsatz basiert auf einem Vortrag, den Tobias Jaecker Anfang 2006 an der Uni Leipzig und an der Humboldt-Universität zu Berlin gehalten hat.
Anmerkungen:
[1] Vgl. Reinhard Rürup, Emanzipation und Antisemitismus, Frankfurt/Main 1987.
[2] Werner Jochmann, Gesellschaftskrise und Judenfeindschaft in Deutschland 1870-1945, Hamburg 1988, S. 19.
[3] Vgl. Jan Friedmann, Unis in der NS-Zeit: Bei der antisemitischen Hetze ganz vorn, in: Spiegel Online, 19.1.2006, http://www.spiegel.de/unispiegel/studium/0,1518,395106,00.html.
[4] Werner Bergmann, Der Antisemitismus in der Bundesrepublik Deutschland, in: Herbert A. Strauss / Werner Bergmann / Christhard Hoffmann (Hrsg.), Der Antisemitismus der Gegenwart, Frankfurt/Main 1990, S. 151-166, hier S. 159.
[5] Vgl. Werner Bergmann / Rainer Erb, Wie antisemitisch sind die Deutschen? Meinungsumfragen 1945-1996, in: Wolfgang Benz (Hrsg.), Antisemitismus in Deutschland. Zur Aktualität eines Vorurteils, München 1995, S. 47-63, hier S. 47 ff.
[6] Vgl. Lars Rensmann, Kritische Theorie über den Antisemitismus, Hamburg 2001, S. 124.
[7] Henryk M. Broder, Der ewige Antisemit, Frankfurt/Main 1986, S. 40 ff.
[8] Alle folgenden Zit. nach Martin W. Kloke, Israel und die deutsche Linke, Frankfurt/Main 1994, S. 130, 125, 171 u. 135.
[9] Ebenda, S. 225, 221 u. 224.
[10] Gerhard Scheit, Monster und Köter, großer und kleiner Teufel. Thesen zum Verhältnis von Antiamerikanismus und Antisemitismus, in: Thomas Uwer / Thomas von der Osten-Sacken / Andrea Woeldike (Hrsg.), Amerika. Der ‚War on Terror‘ und der Aufstand der Alten Welt, Freiburg 2003, S. 75-100, hier S. 85.
[11] Wörtlich: „outlaw nations“, Alvin H. Rosenfeld, Anti-Americanism and Anti-Semitism: A New Frontier of Bigotry, New York 2003, http://www.ajc.org/InTheMedia/Publicationsprint.asp?did=902.
[12] Zit. nach Günther Jacob, Israel ist unser Unglück, in: konkret Nr. 8/August 2002.
[13] In: Profil (Wien) Nr. 39 vom 24.9.2002.
[14] Zit. nach Goedart Palm, Antisemitischer Antizionismus im Sommerloch, telepolis, 8.8.2003, http://www.heise.de/tp/r4/artikel/15/15401/1.html.
[15] Zit. nach Micha Brumlik, Philosophischer Judenhass, in: Frankfurter Rundschau vom 5.8.2003, http://www.fr-aktuell.de/ressorts/kultur_und_medien/feuilleton/?cnt=264193.
[16] Vgl. Jürgen Kaube, Herzenskalt. Leipziger Einerlei: Ted Honderich und der Terror, in: FAZ vom 20.10.2003.
[17] Wörtlich: „a little Zionist fuss“, zit. nach Stefan Ripplinger, Bitte im Kontext, in: Jungle World vom 13.8.2003, http://www.jungle-world.com/seiten/2003/33/1452.php.
[18] In die Irre geführt. Offener Brief von Norman Paech an Micha Brumlik, in: junge Welt vom 1.11.2003, http://www.jungewelt.de/2003/11-01/027.php.
[19] Y. Michal Bodemann, Der panische Philosemitismus, in: taz vom 2.9.2003, http://www.taz.de/pt/2003/09/02/a0106.1/text.
[20] Zit. nach Tobias Kaufmann, Steinbach vergleicht Aufstand im Warschauer Ghetto mit Terrorismus, in: hagalil.com, 15.1.2003, http://www.klick-nach-rechts.de/gegen-rechts/2003/01/steinbach.htm.
[21] „Ahmadinedschad ist außenpolitisch völlig unerfahren“, Interview mit Udo Steinbach, in: Financial Times Deutschland vom 28.10.2005, http://www.ftd.de/pw/in/28189.html.
[22] Vgl. Lars-Broder Keil, Wirbel um Bundeszentrale für politische Bildung, in: Die Welt vom 21.1.2006, http://www.welt.de/data/2006/01/21/834403.html.
[23] Ludwig Watzal, Steht den Palästinensern eine neue Vertreibung bevor?, in: Intifada Nr. 11 vom 12.1.2003, http://www.antiimperialista.com/index.php?option=com_content&task=view&id=3230&Itemid=152.
[24] Alle folgenden Zit. aus Ludwig Watzal, eine Israelisierung der Welt?, in: International Nr. 3/2004, http://www.ludwig-watzal.de/watzal_int0304.pdf.
[25] Ludwig Watzal, Machtbewusst und abgeklärt, in: Freitag vom 24.9.2004, http://www.freitag.de/2004/40/04400202.php.
[26] Vgl. Olaf Kistenmacher, Israel? Welches Israel?, in: konkret Nr. 7/2005.
[27] http://www.uni-leipzig.de/~dip/index.php?id=16.
[28] Für alle folgenden Zit. vgl. die Online-Dokumentation der Ringvorlesung unter http://www.uni-leipzig.de/~dip/index.php?id=24.
[29] Zit. nach Alfred Schobert, Nothing to worry about? in: Graswurzelrevolution Nr. 271/September 2002, http://www.graswurzel.net/271/chomsky.shtml.
[30] Vgl. Sara Leibovich-Dar, Wissenschaftler unter Belagerung, in: Haaretz vom 20.11.2003, Übersetzung: http://www.nahostfocus.de/page.php?id=1722.
[31] Vlg. Susanne Knaul/Ralf Sotscheck, Britische Dozenten boykottieren Unis in Israel, in: taz vom 26.5.2005 sowie Gina Thomas, Boykott: Britische Akademiker gegen Israels Universitäten, in: FAZ vom 27.4.2005.
[32] Vgl. Sara Leibovich-Dar, a.a.O.
[33] Zit. nach Walter Reich, Briten, stoppt den Israel-Boykott!, in: Die Zeit vom 20.5.2005, http://zeus.zeit.de/text/2005/21/tribuene_2.
[34] Anti-Defamation League: ADL Statement to US Commission on Civil Rights: Anti-Semitic Incidents on College Campuses, 18.11.2005, http://www.adl.org/main_Anti_Semitism_Domestic/incidents_on_college_campuses.htm.
[35] Vgl. Phyllis Chesler, Der neue Antisemitismus. Die globale Krise seit dem 11. September, Berlin 2004, S. 140 ff.
[36] Jürg Altwegg: Feind aus besten Absichten. Antisemitismus im Wandel – ein Gespräch mit Alain Finkielkraut, in: FAZ vom 12.11.2003.