Das Amerika-Bild in der Publizistik von Weimar

Zwischen Amerika-Begeisterung und Antiamerikanismus

Von Tobias Jaecker, Juni 2003

Gliederung:

1. Einleitung
2. Das politische Amerika-Bild
2.1 Das Amerika-Bild der Rechten
2.2 Das Amerika-Bild der Linken
3.1 Der wirtschaftliche Amerikanismus
3.2 Der wirtschaftliche Antiamerikanismus
4.1.1 Der kulturelle Amerikanismus
4.1.2 „Angestellten-Kultur“
4.1.3 Kultur für die Massen
4.1.4 Das Amerika-Bild Bertolt Brechts
4.2.1 Der kulturelle Antiamerikanismus
4.2.2 Adolf Halfelds Buch „Amerika und der Amerikanismus“
5. Fazit
6. Bibliographie
6.1 Verwendete Quellen
6.2 Literatur

1. Einleitung

Die Weimarer Republik war ein von gesellschaftlicher Modernisierung und Demokratisierung geprägter Zeitabschnitt. Dabei rückte auch Amerika in den Blickpunkt des zeitgenössischen Interesses. „Amerikanismus“ avancierte in den 20-er Jahren zur „Chiffre für vorbehaltlose und bindungslose Modernität“ (Peukert 1987: 179). Die öffentliche Auseinandersetzung über „Amerika“ meinte dabei stets in erster Linie die eigene Kultur und ihre Herausforderung durch die Moderne.

Sowohl der Begriff „Amerikanismus“ als auch der um die Jahrhundertwende aufgekommene Parallelbegriff „Amerikanisierung“ enthielten viel Ambivalenz und tendierten eher zum Negativen. Der Hinweis auf die Vereinigten Staaten als Modell gesellschaftlicher und industrieller Modernisierung hatte einen oft kritischen und alarmierenden, bisweilen geradezu feindlichen Ton. Auf der einen Seite wurden die technischen und wirtschaftlichen Methoden Amerikas studiert und die dortige Rationalisierung gefeiert, auf der anderen Seite gab es Widerstand gegen den Einbruch einer mit Amerika in Verbindung gebrachten Massenkultur und die nivellierenden, kollektiven und egalitären Tendenzen der Massenzivilisation. „Rationalisierungseuphorie“ und „Zivilisationskritik“ markieren die „beiden Pole, zwischen denen sich die Debatte um das moderne Leben spannte“ (Peukert 1987: 179). Obwohl die Amerikanisierung auf dem Gebiet wirtschaftlicher und industrieller Organisation wichtige Innovationen brachte, wurde sie von vielen als Phänomen kultureller Entfremdung gewertet, das man vermeiden müsse. Was man an der Modernisierung ablehnte, wurde als „amerikanisch“ etikettiert (Trommler 1986: 667).

Deutschland schien Amerika und den Amerikanismus als Ventil für seine Schwierigkeiten zu benutzen, mit den entfremdenden Wirkungen der Modernisierung fertig zu werden. Das deutsche Amerika-Bild war daher höchst ambivalent – zwischen begeistertem Pro- und verachtungsvollem Antiamerikanismus. Als explizite „Anti-Einstellung“ möchte ich die Kritik an Amerika dabei im Folgenden dann verstehen, „wenn sie eine prinzipielle normative Ablehnung dessen anzeigt, was die jeweiligen Personen als den Kern […] des Amerikanismus verstehen oder was sie als solchen damit assoziieren“ (Schwan 1999: 19).

2. Das politische Amerika-Bild

Trotz der Auswanderung zahlreicher Deutscher nach Amerika im 19. Jahrhundert standen Amerikainteresse und -kenntnis zu Beginn des 20. Jahrhunderts am Rande des deutschen politisch-gesellschaftlichen Denkens. Viele blickten allenfalls mit Verachtung nach Übersee. Der Erste Weltkrieg wurde ideologisch unter anderem damit gerechtfertigt, gegen die Massendemokratie und Dekadenz des Westens kämpfen zu müssen – damit war auch Amerika gemeint. Als die Vereinigten Staaten 1917 in den Krieg eintraten, wurden vor allem hinsichtlich ihrer militärischen Fähigkeiten alle Warnungen in den Wind geschlagen. Später unterstellte man den USA rein materielle Motive für ihren Kriegseintritt.

Zwar waren Liberale und „Vernunftrepublikaner“ nach der Kriegsniederlage grundsätzlich amerika-freundlich gesinnt. Für den Großteil der Bevölkerung jedoch war der ausgeprägte Hass auf US-Präsident Woodrow Wilson bezeichnend. Ihm sprach man jene „typisch angelsächsische“ Perfidie zu, die stets von ehernen Prinzipien rede und dabei nur den schnöden Mammon meine. Wilson wurde als „Oberheuchler“ und „Scheinheiliger“ gebrandmarkt, denn man sah sich von ihm getäuscht und um den Sieg im Felde gebracht – ungeachtet dessen, dass es die Oberste Heeresleitung gewesen war, die bei der Reichregierung im Herbst 1918 darauf gedrängt hatte, die Vierzehn Punkte Wilsons vom Januar desselben Jahres anzunehmen und in Waffenstillstandsverhandlungen zu treten. Dies war der Bevölkerung wohlweislich verschwiegen worden. Die deutsche Öffentlichkeit ging somit von der nachweislich falschen Annahme aus, der Waffenstillstand sei nur unter der Bedingung einer Zusage Wilsons angenommen worden, Deutschland einen gerechten, das heißt den Status quo bestätigenden Frieden zu gewähren.

Von links bis rechts herrschte die fast einhellige Meinung vor, das deutsche Volk habe im Vertrauen auf das Versprechen Wilsons die Waffen niedergelegt und sei entgegen allem dar-gebotenen Vertrauen durch den schändlichen Vertrag von Versailles betrogen worden. Auf diese Weise wurde Wilson in den Augen seiner deutschen Kritiker zu einer „Judasgestalt von säkularer Bedeutung“ (Diner 2002: 69). Der Althistoriker Eduard Meyer etwa sah in ihm im Jahre 1919 den „Typus eines salbungsvollen Heuchlers, in dessen Gestalt sich alles zusam-menfasst, was dem deutschen Wesen entgegengesetzt und im innersten zuwider ist.“ Wilson sei zum „Henker der europäischen Kultur geworden“ (zit. nach Diner 2002: 70).

Wilson-Legende und Dolchstoß-Legende waren nach Ernst Fraenkel in ihrer politischen Wirkung so etwas wie ein antidemokratisches „siamesisches Zwillingspaar“ der deutschen Zwischenkriegszeit. Die Dolchstoß-Legende richtete sich gegen die als inneren Feinde geltenden Marxisten, Pazifisten und Juden, die Wilson-Legende zielte auf den Feind nach außen. Adolf Halfeld, der wohl „gewichtigste deutsche Vertreter“ der Amerika-Feinde (Berg 1963: 136), schrieb 1927: „Der Weltkrieg hat uns seelisch aus dem Gleichgewicht gebracht. Der psychologische Effekt der Tatsache, dass Amerika das Zünglein an der Waage war in einem Ringen, dass keines der beiden europäischen Lager als das stärkste Land hervorging – dieser imponderabile [d.h. unwägbare, T.J.] Umstand, der Amerikas Einfluss zeitweise ins Unangemessene steigern musste, ist nicht von heute auf morgen vergessen.“

Amerika wurde allgemein als eine Nation ohne Kultur betrachtet. Auch die angeblich nivellierende liberale Demokratie lehnten viele ab. „Wohlgemerkt: Nicht die Benennung der Missstände, sondern ihre Totalisierung zur notwendigen Essenz der amerikanischen Demokratie“ war dabei „das entscheidende Merkmal dieser kulturell-politischen antiamerikanischen, insgesamt anti-westlichen Tradition“ (Schwan 1999: 43). Der amerikanischen „Gesellschaft“ stellte man die deutsche „Gemeinschaft“ gegenüber.

Auch Thomas Mann zählte mit seinen „Betrachtungen eines Unpolitischen“ im Jahre 1918 noch zu den Gegnern der westlichen Demokratie: „Neid, Frechheit und Begehrlichkeit ist alles, was sie lehrt“. Nur „seelische Bindung“ befreie und schaffe die „aristokratische Persönlichkeit“. Mann: „Fort also mit dem landfremden und abstoßenden Schlagwort ‚demokratisch‘! Nie wird der mechanisch-demokratische Staat des Westens Heimatrecht bei uns erlangen. Man verdeutsche das Wort, man sage ‚volkstümlich‘ statt ‚demokratisch'“. Nicht die „Parlaments- und Parteiwirtschaft“, sondern nur die Monarchie biete die „Gewähr politischer Freiheit“. Dieses Beharren auf der deutschen kulturellen und machtpolitischen Überlegenheit ging nach dem Ersten Weltkrieg als „wichtiges Traditionselement“ in den Antiamerikanismus des deutschen Bildungsbürgertums ein (Schwan 1999: 47).

Das „unbedingt demokratische deutsche Bürgertum“ war Amerika dagegen überwiegend freundlich gesinnt (Berg 1963: 155). Die Vertreter einer liberalen Staats- und Gesellschaftsauffassung erblickten im Amerika der Prosperität die Verwirklichung ihres gesellschaftspolitischen Ideals – „es entstand bei ihnen eine richtige Amerikalegende“ (Berg 1963: 154). Auch die sozialdemokratische Linke war in ihrer Mehrheit bis zum Zweiten Weltkrieg eher proamerikanisch ausgerichtet.

2.1 Das Amerika-Bild der Rechten

Den Antiamerikanismus der Kriegs- und Nachkriegszeit hielt vor allem die politische Rechte lebendig, besonders in der Zeit nach dem Ende der Inflation 1923, als sich die Republik ökonomisch und politisch zu stabilisieren begann. Da Modernisierung, vor allem industrielle Rationalisierung und politische Demokratisierung, als offizielle Politik der Weimarer Republik galt, gingen der Kampf gegen Amerikanisierung und der Kampf gegen die neue Republik oft Hand in Hand.

Die USA wurden allgemein verdächtigt, eine Pax Americana oktroyieren zu wollen. Dieses Misstrauen schloss nach 1920 auch eine strikte Ablehnung des Völkerbundes ein, der Friedrich Naumann zufolge in dem nunmehr etablierten „System angelsächsischer und imperialistischer Vorherrschaft“ – ein regelrechtes „Syndikat“ – ausschließlich die Aufgabe erfülle, Rivalitäten unter den Konkurrenten auszugleichen. Diese neue Weltordnung sei eine angelsächsische „Erwerbsordnung“ und Deutschland werde in ihr die Stellung des „Heimarbeiters der Nationen“ zugewiesen (zit. nach Diner 2002: 73). Immer wieder wurde dabei US-Präsident Wilson angegriffen. Die „Deutsche Zeitung“ etwa bezeichnete ihn als ein „gefügiges Werkzeug der Geldmächte“, als eine „Puppe der Großbanken und Millionärsinteressen, dem die Aufgabe zugeschoben war, das idealistische Feigenblatt für eine schamlose Geschäftemacherei internationaler Finanziers zu bilden“ (zit. nach Berg 1963: 45).

Auch die amerikanische Anlagenpolitik im Gefolge des Dawes-Plans aus dem Jahre 1924 wurde in dieser Logik stark kritisiert, ungeachtet der Tatsache, dass sie die Basis für die wirtschaftliche Prosperität der „Goldenen Zwanziger“ darstellte. Nachdem die Reparationsfrage gelöst worden war, hatten amerikanische Geschäftsleute systematisch ihren Anteil an der deutschen Wirtschaft ausgebaut – amerikanische Kredite flossen nach Deutschland, amerikanische Gesellschaften kauften deutsche Firmen auf oder investierten in diese. Insgesamt konnte so der amerikanische Anteil an der deutschen Wirtschaft beträchtlich wachsen. Von der Rechten wurde der Dawes-Plan deshalb als Komplott zur „Versklavung“ Deutschlands denunziert. Dabei wurden „Bilder und Schlagworte verwandt, die später sowohl von der nationalsozialistischen Publizistik als auch von linksradikaler Seite aufgegriffen wurden“ (Diner 2002: 68).

Bei der scharfen Kritik an der Macht des Geldes, an Zins, Börse und Zirkulation, ja am Kapitalismus schlechthin, sticht die Verschränkung von Antiamerikanismus und Antisemitismus ins Auge. In radikaler Ausformung wurden die USA gar als eine „vorgeschobene Bastion jüdischer Weltherrschaft phantasiert“ (Diner 2002: 74). Besonders seit der Präsidentschaft William H. Tafts habe der „jüdische“ Einfluss im öffentlichen Leben der USA überhand genommen. Juden zögen als „Drahtzieher“ die Fäden der Macht, hätten maßgeblich an den Kriegskrediten für die Alliierten verdient und nicht umsonst habe Wilson den Juden und Finanzmagnaten Bernard Baruch zum Minister sowie zu seinem Chefberater auf den Pariser Vorortkonferenzen ernannt.

2.2 Das Amerika-Bild der Linken

Der Antiamerikanismus auf der Linken äußerte sich vor allem als marxistisch begründeter Antikapitalismus und Antiimperialismus. Eine durchaus typische Interpretation vor allem in der kommunistischen Linken lautete, die deutsche Niederlage habe dem endgültigen Vormarsch des angelsächsischen Imperialismus und der kapitalistischen Ausbeutung den Weg freigemacht. Sprach die Rechte noch überwiegend von der „angelsächsischen“ Weltherrschaft, so bediente sich die Linke zunehmend des moderneren Imperialismus-Begriffs, beispielsweise in der die amerikanische Geldherrschaft betonenden Variante vom „Dollar-Imperialismus“.

Für eine theoretisch anspruchsvolle Kombination rechter und linker Weltbilder steht exemplarisch der im renommierten „Archiv für Sozialwissenschaften und Sozialpolitik“ erschienene Beitrag von Arthur Salz, „Der Imperialismus der Vereinigten Staaten“. Für Salz stellte der „amerikanische Imperialismus“ der Gegenwart nichts anderes als eine Variante der finanzkapitalistischen Herrschaft dar. Hinter dem amerikanischen Staat stünden eigentlich die Interessen der New Yorker Großbanken als treibende Kraft.

Als „Katechismus des zeitgenössischen Antiimperialismus“ (Diner 2002: 76) kann das 1927 ins Deutsche übertragene Buch „Dollardiplomatie“ gelten, dass von den beiden linksgerichteten amerikanischen Autoren Scott Nearing und Joseph Freeman verfasst worden war. Das Buch richtete sich gegen das in der Tat umstrittene Engagement von Kapital und Regierung der USA in Lateinamerika. Wie problematisch sich hingegen die Übertragung eines im amerikanischen Kontext stehenden Diskurses in den völlig anders gearteten deutschen Zusammenhang auswirkt, zeigte sich am Vorwort des Geopolitikers Karl Haushofer zur deutschen Ausgabe: Haushofer bezeichnete das amerikanische Volk ressentimentgeladen als „falsches, gefräßiges, scheinheiliges, schamloses Raubtier“.

Weit verbreitet war auch eine Analogiebildung zwischen der imperialistischen Durchdringung Mittelamerikas und der Ruhrbesetzung. Nicht nur in der rechten „Zeitschrift für Geopolitik“ hieß es: „Wir werden genauso behandelt wie Nicaragua, San Domingo, Haiti, Cuba usw.“. Während die Rechte vor allem den angeblichen Verlust der Eigenständigkeit des deutschen Kapitals und die Internationalisierung der Investitionspolitik beklagte, erging sich die radikale Linke in einer opportunistischen, national gefärbten Agitation. In der „Roten Fahne“ war von Deutschland als einem von den Amerikanern niedergehaltenen „Vasallenstaat“ die Rede, und die kommunistische Abgeordnete Clara Zetkin mutmaßte bei einer Reichstags-Rede im Jahre 1923, Deutschland solle „in eine Kolonie der Vereinigten Staaten“ verwandelt werden.

3.1 Der wirtschaftliche Amerikanismus

Nach dem verlorenen Weltkrieg und vor allem seit der Stabilisierung der deutschen Wirtschaft und Politik im Jahre 1924 durch den Dawes-Plan und die nach Deutschland strömenden Spekulationsgelder formten sich die bereits vorhandenen Amerika-Mythen zum Symbol der Modernität schlechthin aus. Das Bild des strahlenden Siegers aus Übersee, der Mythos vom Land der unbegrenzten Möglichkeiten, die amerikanische Wirtschafts- und Finanzkraft und der Vorsprung in Massenproduktion und Massenkonsum verknüpften sich mit Vorstellungen von ungehinderter Modernisierung und massenkultureller Avantgarde. Die Begeisterung für den wirtschaftlichen „Amerikanismus“ wurde hervorgerufen durch „typisch amerikanische“ Innovationen wie industrielle Fließbandtechnik, Rationalisierung, Standardisierung und Effektivität, aber auch durch Vorstellungen sozialer Mobilität und Klassenindifferenz. Das aus Amerika importierte Bild des idealtypisch-fiktiven „Arbeiters“ oder mehr noch des intellektuelleren Typus des Ingenieurs geriet zum allgemeinen Vorbild. Es war Bestandteil eines „weithin projektiven“ Bildes der USA (Schütz 1986: 72).

1923 erschien das Buch „Mein Leben und Werk“ des amerikanischen Automobil-Herstellers Henry Ford in deutscher Sprache. Es wurde rund 200.000 mal verkauft und galt bald als Bibel des Wirtschaftsliberalismus, insbesondere wegen Fords Erfolgsrezept, die tayloristische Rationalisierung aller Arbeitsgänge auf sämtliche Bereiche des Fabrikationsbetriebs einschließlich der Nahrungsversorgung der Arbeiter anzuwenden. Karl Kraus sprach pointiert vom „Fordschritt“. Der „leistungsprämienbezogene, funktionalistische Produktionskollektivismus des ‚Systems Ford'“ schien zudem „ein positives westliches Gegenmodell zur bedrohlichen Kollektivität des Sowjetsystems herzugeben“ (Schütz 1986: 74).

Kurze Zeit später setzte eine Welle von Amerikareisen deutscher Ingenieure, Wirtschaftsfachleute, Politiker sowie Journalisten und Schriftsteller in die USA ein. Vor allem drei Zentren wurden regelmäßig aufgesucht: die Ford-Werke in Detroit, die die Anschauung reibungsloser industrieller Produktion lieferten, ferner die Schlachthöfe in Chicago, die mit der Industrialisierung der landwirtschaftlichen Produktion und der mechanisierten Verarbeitung von Lebendigem eine große Faszination ausstrahlten, und schließlich Hollywood, die Traumfabrik, die die komplementäre und supplementierende Illusion dazu lieferte.

Die Besuche wurden in zahlreichen Reiseberichten ausgewertet und reflektiert. Einige Autoren bejubelten begeistert die Faszinationen der „Neuen Welt“ und griffen dabei immer wieder zu den selben Metaphern vor allem aus der Natur, dem Organisch-Menschlichen, um ihre Eindrücke zu beschreiben. Beispielhaft hierfür ist Heinrich Hausers Bericht „Feldwege nach Chicago“ von 1931, in dem er den Fordwagen als Lebewesen beschreibt: „Der Ford hat heute zweimal gegessen, ich nur einmal“, „abends wird er müde“, er hat „ein kompliziertes Seelenleben“ und mehr noch, er ist eine „Jungfrau“, „ich fange an, ihn zu lieben“. Erhard Schütz bezeichnet dies zugespitzt als „Auto-Erotik“.

Auf der anderen Seite entstanden aber auch sachliche Betrachtungen wie die des Kölner Professors und zeitweiligen Staatssekretärs im Reichswirtschaftsministerium, Julius Hirsch, der in seinem Buch „Das amerikanische Wirtschaftswunder“ von 1926 betonte, dass der

amerikanische Wirtschaftserfolg keinesfalls ein Wunder darstelle, sondern lediglich auf neuen Formen industrieller Organisation beruhe, die man übernehmen solle. Diese Sichtweise knüpfte nahtlos an den „neuen Realismus“ in den 20-er Jahren an, an die „neue Sachlichkeit“, einem Begriff, den der Kunsthistoriker Gustav Friedrich Hartlaub 1923 geprägt hatte und der treffend den Zustand der Ernüchterung und Entzauberung in der Wirtschaft und Kultur der Weimarer Republik bezeichnete.

3.2 Der wirtschaftliche Antiamerikanismus

Erhard Schütz (1977: 29) verweist darauf, dass die Neuerungen in der amerikanischen Wirtschaft, zum Beispiel der Fordismus, keineswegs einhellig begeistert aufgenommen wurden. Vielmehr dominiere in der Literatur insgesamt sogar die Ablehnung. Ein Beispiel hierfür ist Peter Mennickens „Anti-Ford“ aus dem Jahre 1924. Mennicken beklagte darin, dass im „Civilisationsmenschen“ „alles Kulturhafte preisgegeben“ sei. Fords Buch handele „nur von materiellen Dingen“.

Friedrich Sieburg kritisierte 1926 in seinem Beitrag „Anbetung von Fahrstühlen“ in weitaus sachlicherem Ton die „Ingenieur-Romantik, die nicht versteht, wie ein Vergaser arbeitet und deshalb aus dem Pochen von sechs Zylindern den Atem unserer Zeit heraushört“. Der Reporter Egon Erwin Kisch wiederum beschrieb in seiner Reportage „Paradies Amerika“ die Metropole des kapitalistischen Molochs und den angeblich alles nivellierenden Industrialismus und Fordismus. In einer karikaturesken Darstellung Chicagos zeichnet er die Menschen in stereotypen Bildern als monadenhafte Wesen – blind und orientierungslos durch Metropolis irrend und einander antreibend, nur „damit ein paar Millionäre von New York, Miami Beach und Florida eine Milliarde mehr einstecken“.

Dabei dürfte es sich laut der zeitgenössischen Interpretation von Charlotte Lütkens vor allem um Projektionen der Intellektuellen handeln, die im „Schreckbild vom standardisierten Amerika“ ihre eigenen Existenznöte „riesengroß auf die amerikanischen Erfahrungen“ übertrugen (zit. nach Schütz 1977: 18). Die traumatischen Erfahrungen der deutschen Hyperinflation von 1923 wurden schon nach wenigen Jahren in der Weltwirtschaftskrise von 1929/30 neu aktiviert – aus der Sicht der ausgehenden 20-er Jahre erschien die Weimarer Republik als eine einzige lange Dauerkrise. Gerade weil Amerika Deutschland in vielem so weit „voraus“ war, wurde es für die vermeintlich mit der Modernisierung zusammenhängenden Nöte oft verantwortlich gemacht.

4.1.1 Der kulturelle Amerikanismus

Die intellektuelle Avantgarde zog sich nach der „steckengebliebenen“ Revolution von 1918 weit gehend aus dem aktiven politischen Leben zurück und verlegte ihr Interesse auf eine Veränderung und Umformulierung der sozialen Funktion von Kultur. Der expressionistisch initiierten Generation um Brecht, Feuchtwanger und Döblin galt Deutschlands antiwestlicher, klassisch-romantischen Kunstgesetzen folgender Sonderweg in der Kultur als Sackgasse. Sie verachteten die schwache, obsolet gewordene Elitenkultur der Vorkriegszeit und ihre bürgerlich-humanistischen Traditionen und plädierten statt dessen für den Anschluss Deutschlands an die kulturelle Modernität westlicher Prägung. Dabei wurde Amerika als radikale Alternative zur herrschenden deutschen Kultur angeführt.

Die Massendemokratie der Weimarer Republik schien den passenden gesellschaftlich-politischen Rahmen abzugeben, innerhalb dessen die deutsche Kultur radikal modernisiert und „demokratisiert“ werden konnte. Die Berliner Avantgarde begeisterte sich für die kulturelle Traditionslosigkeit, das amerikanische „Barbarentum“ und empfand die amerikanische Massenkultur als „eine Art moderne Volkskultur“, die den kulturellen Bedüfnissen großer städtischer Massen entspreche (Kaes 1986: 657).

Die Massenkultur avancierte so zu einer „Art Ersatz-Revolution“ (Kaes 1986: 659). Sogar Thomas Mann schrieb 1927: „Etwas wild und demokratisch atmet es her aus dieser Welt abenteuerlicher Modernität… Rümpfen wir nicht esoterisch die Nase! Flüchten wir nicht auf ein Elfenbeintürmchen vor ihrem pöbelhaften jugendlichen Andrang! […] Gut denn, tun wir mit! […] Könnte das Massenhafte, das Massengerechte nicht einmal gut sein?“ Die deutschen Intellektuellen gaben sich betont kühl, lässig und sportlich. Sie begeisterten sich für die demokratisch-massenhaften Möglichkeiten, übersahen dabei jedoch laut Erhard Schütz (1986: 72 f.) die negativen Seiten dieses „Accessoir- und Komsumindividualismus“ und verkannten die „kapitalistischen Konditionen, unter die sie dadurch selbst“ gerieten. Die „Abwehr der obsolet gewordenen klassischen Individual(genie)ästhetik“ führte so „geradewegs in die Fetischisierung der Warenästhetik“ (Schütz 1986: 73).

4.1.2 „Angestellten-Kultur“

Deutschland war in den 20-er Jahren mehr als jedes anderes europäisches Land der amerikanischen Massenkultur gegenüber offen. Im Freizeitbereich setzte sich die „moderne, oft aus Amerika importierte Lebensweise […] irreversibel“ durch (Peukert 1987: 177). Mit der 40-Stunden-Woche und den ersten tariflichen Urlaubsregelungen war erstmals ein Rahmen für die Freizeit der lohnabhängigen Massen geschaffen worden. Ursprünglich dem Bürgertum vorbehaltene Vergnügungen standen nun potentiell allen offen. Daher gab es einen großen Boom moderner Freizeitangebote wie Rummelplätze, Varietés und Tanzsäle, Kinopaläste, Boxarenen und Sechstagerennen. Vor allem der Sport übertraf an Popularität alles andere und wurde zum Mittelpunkt städtischer Freizeitgestaltung. In den Städten wurden gigantische Filmtheater gebaut, in denen oftmals direkt aus Hollywood importierte Filme gezeigt wurden.

Die Vier-Millionen-Stadt Berlin galt als das europäische Zentrum des amerikanischen Einflusses. In dem Maße, in dem sich die deutsche Gesellschaft nach dem Kriege ökonomisch und sozial nach dem Muster der USA zu „entfeudalisieren“ begann, vollzog sie auch den Übergang zu einer Kultur der großstädtischen industriellen Massengesellschaft. Massenkonsum wie Freizeitkultur führten zu einer gewissen kulturellen Nivellierung und erhöhten die Gestaltungsmöglichkeit großer Bevölkerungskreise. Das neue Publikum bestand vorwiegend aus Angestellten, aus Sekretärinnen, Buchhaltern und Verkäufern, die mit gesichertem Einkommen, festen Arbeitsstunden und viel Freizeit in den Großstädten lebten. Berlin als größtes Industrie- und Technik-Zentrum in Deutschland wies mit 31 Prozent der Beschäftigten den höchsten Anteil von Angestellten auf. Siegfried Kracauer bezeichnete Berlin in seiner Abhandlung über „Die Angestellten“ aus dem Jahre 1929 als „Stadt der ausgesprochenen Angestelltenkultur“.

Diese Bevölkerungskreise waren skeptisch gegenüber einem Kulturangebot, das mit Bildung und Belehrung assoziiert wurde. Sie wandten sich daher mit Vorliebe den aus Amerika importierten Produkten der industriellen Massenkultur zu, die ihren Unterhaltungsbedürfnissen am besten zu entsprechen schienen – schließlich war diesen Kulturprodukten der enge kommunikative Bezug zum Publikum als ökonomischem Faktor von Anfang an eingeschrieben. Kunst ohne Käufer galt in Amerika als Widerspruch. Die Kultur wurde nun auch in Deutschland Teil eines kulturellen Marktes, der verschiedenartige, meist außerästhetische Bedürfnisse nach Information, Bildung, Unterhaltung oder Zerstreuung befriedigte.

Während in den traditionellen Kulturbereichen und überall dort, wo die Kaufkraft ausschlaggebend war, die Klassenunterschiede aufrecht erhalten blieben, tanzten Ende der 20-er Jahre Ober- wie Unterschicht nach den gleichen Rhythmen, hörten die gleichen Schlager und Radiosendungen. Siegfried Kracauer sprach von einem „Kult der Zerstreuung“, der einen homogenisierenden Effekt habe: „Je mehr sich aber die Menschen als Masse spüren, umso eher erlangt die Masse auch auf geistigem Gebiet formende Kräfte, deren Finanzierung sich lohnt.“ Mit dem Aufgehen der so genannten Bildungsschichten in der Masse entstehe ein homogenes „Weltstadt-Publikum, das vom Bankdirektor bis zum Handlungsgehilfen, von der Diva bis zur Stenotypistin eines Sinnes ist.“

4.1.3 Kultur für die Massen

Der moderne amerikanische Lebensstil beeinflusste neben Freizeitgestaltung und Unterhaltung auch Mode, Benehmen, Schönheitsideal und Geschmack in Deutschland. Alles, was den Anstrich von Aktivität, Tempo und Novität hatte, wurde begeistert aufgenommen. Man gab sich betont kühl, nüchtern und sachlich. Rudolf Kayser schrieb 1925 über den „Amerikanismus“: „Amerikanismus ist eine neue europäische Methode. […] Sie ist eine Methode des Konkreten und der Energie und völlig eingestellt auf geistige und materielle Realität. […] Überhaupt gehört es zur Methode des Amerikanismus, dass er selbst stark im Körperlichen sich ausprägt, dass er Körperseele besitzt“. Damit lässt sich zum einen das große Interesse an Massensportveranstaltungen wie Boxen und Sechstagerennen erklären, aber auch die Bewunderung für die amerikanische Tanz-, Jazz- bzw. „Negermusik“.

Besonders die amerikanische Jazzmusik, durch Schallplatten massenhaft verbreitet, wurde im Deutschland der 20-er Jahre zum Zeichen einer modernen, unliterarischen Populärkultur, die mit ihren hektischen Rhythmen und Synkopen auf der Höhe der Zeit zu stehen schien. So schrieb Hans Siemsen in einem 1923 erschienenen Artikel mit dem ironischen Titel „Bücher-Besprechung“, er werde nicht, wie man es von ihm erwarte, einige Bücher rezensieren, sondern statt dessen neue Jazz-Platten mit Titeln wie „California, Here I Come“, Negro Spirituals und amerikanische Volkslieder besprechen. Klaus Mann leitete das Bedürfnis nach Zerstreuung und leichter Unterhaltung und die damit einhergehende Aufwertung der unliterarischen Populär- und Massenkultur aus der Lebensunsicherheit der Nachkriegs- und Inflationszeit her: „Der Tanz wird zur Manie, zur idée fixe, zum Kult. […] Ein geschlagenes, verarmtes und demoralisiertes Volk sucht Vergessen im Tanz“.

Zahlreiche amerikanische Filme, die oftmals die Ideale des Konsums feierten, bekräftigten in diesem Sinne die Hoffnung auf materiellen Überfluss. Sie schufen Bilder und Phantasien von der „Neuen Welt“, die entscheidend auf das deutsche Bild von Modernität einwirkten. Das amerikanische Kino übte so insgesamt „die größte Wirkung auf die ‚Amerikanisierung‘ der deutschen Kultur“ aus (Kaes 1983: XXVII) und begann schon bald nach 1920, den deutschen Markt zu beherrschen. Besonders die Filme von Charlie Chaplin, Buster Keaton und Douglas Fairbanks wurden in Deutschland begeistert aufgenommen. Viele meinten, der Film trage gerade durch seinen Massenappeal den Geist der demokratischen Staatsform in sich. Der Kunstkritiker Adolf Behne schrieb 1926: „Für uns ist nun das Wichtige, dass der Film von seiner Geburtsstunde an demokratisch ist“.

Auch die importierten amerikanischen Revuen wurden begeistert aufgenommen. So sprach Yvan Goll voller Bewunderung über die „Revue Nègre“ mit Josephine Baker. Bei der Show der amerikanischen Revuetruppe „Tiller Girls“ wurde das exakt gereihte, ornamentierte und entindividualisierte Auftreten der amerikanischen „Girls“ als Ausdruck modernen Lebensgefühls im „American Way of Life“ gefeiert. Der Kulturphilosoph Fritz Giese wertete die emanzipierte Stellung der Frau sogar als entscheidenden Faktor der amerikanischen Kultur, denn das Geschlechterverhältnis in Amerika sei weit gehend enterotisiert und die Prüderie amerikanischer Sexualmoral verbinde sich hervorragend mit dem Gebot der Effizienz.

Bei all dieser Begeisterung für den Amerikanismus darf nicht vergessen werden, dass auch dessen Anhänger allzu oft in Stereotypen und Klischees schwelgten. Selbst der „philoamerikanische“ Alfred Kerr (Diner 2002: 87) schrieb in „Yankeeland“, seinem Hymnus auf die Vereinigten Staaten von 1925, von der „oberflächlichen“ Seele des Amerikaners, die „kindisch und jugendstark“ den Verlockungen von Baseball, Jazz, „bobbed-hair“, Film und Ölvorkommen erlegen sei.

4.1.4 Das Amerika-Bild Bertolt Brechts

Die „Leitfigur, das enfant terrible“ (Schütz 1986: 17) der avantgardistischen Intellektuellen war Bertolt Brecht. Brecht zeigte sich gemeinsam mit dem Boxer-Idol Samson-Körner, nannte auf eine Umfrage nach dem besten Buch 1926 die Autobiographie des Sportidols Arne Borg „Wie ich um die Welt schwamm“, verwarf als Juror in einem Lyrik-Wettbe-werb sämtliche eingeschickten 400 Gedichte, um eines über den Sechs-Tage-Champion Reggie MacNamara aus einer Sportzeitung zu küren, machte sich für Kriminalromane als avantgardistische Lektüre stark, pries das Kollektiv und schrieb ein Werbegedicht auf die „Singenden Steyrwägen“, um an ein Auto zu kommen. In seinem Stück „Im Dickicht der Städte“ von 1923 sollte es laut Brecht, der selbst völlig unsportlich war, um den Kampf an sich gehen, „ohne andere Ursache als den Spaß am Kampf“.

Brecht lieferte allerdings auch nach Art des „Trendsetters“ als erster die Selbstkritik zu alledem, etwa in dem überaus sarkastischen Gedicht „700 Intellektuelle beten einen Öltank an“ und in seiner Hinwendung zum Marxismus um das Jahr 1926. Mit „Aufstieg und Fall der Stadt Mahagonny“ schrieb er diese amerikakritische Tendenz endgültig fest – „Amerika“ und „Kapitalismus“ wurden zu „austauschbaren Sinnbildern“ (Diner 2002: 88). In seinem Gedicht „Verschollener Ruhm der Riesenstadt New York“ von 1930 zählte Brecht zahlreiche negativen Merkmale eines stereotypisierten Bildes von Amerika auf: den „Schmelztiegel“, die Ausbeutung der Arbeiter, den Reichtum, die rohen Manieren, den Kaugummi, die Rekordleistungen, die Erfindungen und die Schnelligkeit der Eisenbahnzüge. Das vernichtende Urteil über das amerikanische „System“ fällt in der letzten Strophe: „Welch ein Bankrott! Wie ist da / Ein großer Ruhm verschollen! Welch eine Entdeckung: / Dass ihr System des Gemeinlebens denselben / Jämmerlichen Fehler aufwies wie das Bescheidenerer Leute!“

Inwieweit „Amerika“ bei Brecht allein für eine desavouierte kapitalistische Gesellschaftsordnung und damit auch für eine verschobene Projektion deutscher Gegenwartsverhältnisse steht oder ob sich in seine Darstellungen auch ein traditionalistisches Ressentiment der Moderne gegenüber eingeschlichen hat, ist allerdings strittig. Gemeinhin wird dem Werk Bertolt Brechts jedoch „eine für den damaligen Zeitgeist bezeichnende Ambivalenz von Amerikabegeisterung und Amerikaenttäuschung“ bescheinigt (Diner 2002: 88).

4.2.1 Der kulturelle Antiamerikanismus

Die mit Amerika assoziierte Massenkultur war von Anfang an hoch umstritten, in weiten Kreisen stieß sie gar auf erbitterte Ablehung. Die Erfahrung der neuen Lebenswelt war ambivalent, irritierend und verunsichernd. Die Übernahme amerikanischer Produktionsmethoden wie Standardisierung, Rationalisierung und Massenproduktion, die ihrerseits zur verstärkten Monopolisierung und Konzernbildung beitrugen, hatte auch Folgen für die Zusammensetzung der kulturellen Öffentlichkeit: Durch die Inflation wurde der Trend zur Konzernbildung und Massenproduktion noch vestärkt, so dass sich mehr und mehr Selbständige ohne Produktionsmittel fanden und zum Kleinbürgertum oder Proletariat herabsanken.

Vor allem in der zweiten Hälfte der 20-er Jahre begann bei vielen deutschen Avantgarde-Schriftstellern und -Intellektuellen eine bittere Desillusionierung: Sie bemerkten nun, dass die Dynamik des kapitalistischen Marktes eine Kulturproduktion hervorgebracht hatte, die auf Standardisierung, Konzentration und kosteneffektiver Einförmigkeit basierte. Zunehmend wurde nun auch die Funktion der Mittelstands-Massenkultur als eines ungemein wirksamen Instruments der sozialen Kontrolle erkannt. Herbert Ihering schrieb 1926 über die Besucher der Hollywood-Filme: „Sie alle werden dem amerikanischen Geschmack unterworfen, werden gleichgemacht, uniformiert. […] Der amerikanische Film ist der neue Weltmilitarismus. Er rückt an. Er ist gefährlicher als der preußische. Er verschlingt nicht Einzelindividuen. Er verschlingt Völkerindividuen.“

Vor allem die Buchkultur sah sich einer immer größeren Konkurrenz mit den leichter zugänglichen technischen Medien ausgesetzt. Ein wachsender Teil der literarischen Intelligenz musste deshalb anderweitigen Erwerbstätigkeiten nachgehen und zum Beispiel in der schnell wachsenden Werbebranche sein Auskommen finden. Nach Anton Kaes war die Angst vor dem kulturellen Amerikanismus, der den literarischen Markt um die Mitte der 20-er Jahre auf das nachdrücklichste veränderte, „berechtigt“, denn „je stärker die Massenkultur den ästhetischen Geschmack uniformierte, desto geringer wurden die Chancen für das individuelle literarische Werk“ (Kaes 1983: XXIX). Gottfried Benn schrieb 1928 „Über den amerikanischen Geist“: „Es gibt eine Gruppe von Dichtern, die glauben, sie hätten ein Gedicht verfasst, indem sie ‚Manhattan‘ schreiben. […] Ich persönlich bin gegen Amerikanismus. Ich bin der Meinung, dass die Philosophie des rein utilitaristischen Denkens, des Optimismus a tout prix, des ‚keep smiling‘, des dauernden Grinsens auf den Zähnen, dem abendländischen Menschen und seiner Geschichte nicht gemäß ist.“

Kritisiert wurde auch die angeblich privilegierte Stellung der Frau in der amerikanischen Gesellschaft. Neben der „materialistisch“ begründeten Verursachung weiblicher Herrschaft in den USA wurde dabei auch die matriarchalische Kultur der Indianerstämme als Grund weiblicher „Herrschaftsanmaßung“ angeführt. C.G. Jung etwa schrieb, in allem, was der Amerikaner wolle, komme „der Indianer zum Vorschein“, vornehmlich im Sport. Daneben bestehe auch ein „psychologischer Einfluss“ des „Negers“. Die „negriden“ Attribute in der Seele des Amerikaners seien eindeutig, etwa sein Lachen. Der Gang und die schwingenden Hüften der Amerikanerinnen stammten ebenfalls vom „Neger“. Erst recht gelte dies für Musik und Tanz – „der Tanz ist Negertanz“ – sowie für die Naivität und Kindlichkeit des Amerikaners, sein ungemein lebhaftes Temperament sowie den „uferlosen Stom von Geschwätz“. All dies sei kaum von den „germanischen Vorfahren herzuleiten, sondern gleicht vielmehr dem ‚chattering‘ des Negerdorfes“.

Die offen antiamerikanische Kulturkritik fand in der Weimarer Republik weite Verbreitung. Alfred Döblins Modell des kulturellen Modernisierungsprozesses, das die 1932 von Ernst Bloch entwickelte These von der „Ungleichzeitigkeit“ der deutschen Kultur vorwegnahm, beschrieb diesen grundlegenden und immer wiederkehrenden Konflikt zwischen der modernen, d.h. technisch-industriellen Zeitströmung, und der viel älteren Kraft des „Ländlichen“. Das Ländliche, zu dessen Umkreis Döblin auch das Nationale, Völkisch-Rassistische und das Mystische zählte, lässt sich seiner Theorie zufolge auch in Zeiten der Modernisierung nicht besiegen, sondern lediglich unterdrücken, verdrängen und beiseite schieben. Diesem Modell nach bestand die Weimarer Kultur eigentlich aus zwei Kulturen: einer programmatisch modernen, avantgardistisch-intellektuellen Großstadtkultur und einer bewusst anti-modernen, thematisch wie stilistisch rückwärtsgewandten, volkstümlich-völkischen Blut- und Bodenkultur.

Aus der Perspektive der sich unterdrückt fühlenden völkisch-nationalen Kultur befand sich die „offizielle“ Literatur der Weimarer Republik in den Händen einer volksfremden Berliner Clique wurzelloser Asphaltliteraten. Der ins Journalistische und Politische ausgreifende Literaturbegriff dieser „Modernen“ kollidierte mit der von den Konservativen gepflegten „Kunst der Scholle“, des platten Landes. Der Hass auf Berlin als Ort der Industrialisierung, des Kapitalismus und der westlich-undeutschen Kultureinflüsse war ein Integrationsfaktor für die antimodernen Ressentiments der Heimatkunstbewegung seit der Jahrhundertwende gewesen und brauchte in der Weimarer Republik nur erneut aktiviert zu werden. Die „Konservative Revolution“ entwarf als Gegenbewegung zum westlichen Staatsgebilde der parlamentarischen Demokratie die Utopie einer elitär-ständestaatlichen, deutsch-völkischen Schicksalsgemeinschaft. Der Appell an das Elementare und Schicksalhafte, an das Absolute und Mythische eines Moeller van den Bruck, Hofmannsthal oder Ernst Jünger war die rebellische Antwort auf die „graue Republik“ (Kurt Tucholsky) der Massendemokratie (Kaes 1983: XLII).

Viele Zeitgenossen sahen nicht nur den Abstieg Deutschlands, sondern generell der europäischen Kultur bestätigt. Oswald Spenglers Prophezeiung vom „Untergang des Abendlandes“ schien sich zu bewahrheiten, und sogar Autoren wie Hermann Hesse, die die Bedeutung der amerikanischen Massenkultur als Ausdruck der Gegenwart anerkannten, verheimlichten nicht ihr Unbehagen. „Würde Europa so werden?“ fragt Hesse im „Steppenwolf“, „war es schon auf dem Weg dazu?“

4.2.2 Adolf Halfelds Buch „Amerika und der Amerikanismus“

Adolf Halfelds Buch „Amerika und der Amerikanismus. Kritische Betrachtungen eines Deutschen und eines Europäers“ wurde für den „Antiamerikanismus eines großen Teils der kulturellen Elite zur Bibel“ (Trommler 1986: 669). Es ist „ein geradezu programmatisches Werk des Antiamerikanismus“ (Schwan 1999: 50). Ein begleitender Werbetext wies das Buch, das Halfeld nach einem dreijährigen Amerika-Aufenthalt verfasst hatte und das nach seinem Erscheinen im Jahr 1927 aufgrund des großen Verkaufserfolgs ein Jahr später eine zweite Auf-lage erfuhr, als „das Gegenstück zu Henry Ford“ aus. Bereits die Kapitelüberschriften verweisen auf seine Orientierung an den bestehenden Klischees: „Geplante und gewordene Kultur“, „Der Geschäftsstaat“, „Die Allmacht des Erfolgsgedankens“, „Umwertung aller Werte“, „Die Ideologie der Arbeit“, „Fesseln des Geistes“ oder auch „Kulturfeminismus“.

Halfelds Karikierung der Demokratie in Amerika bediente vortrefflich die antiparlamentarische Stimmung der Weimarer Zeit. In der US-Politik würden selbstverständlich Stimmen „für die Durchpeitschung profitabler Gesetze“ gekauft, Beamte bestochen, Konzessionen verschachert und Wähler terrorisiert. Halfeld wehrt sich gegen die Einflüsse des „mechanistischen Staatsdenkens“ und erklärt es für unmöglich, in der Majorität der Wähler die Stimme Gottes zu erkennen. Er kritisiert die „sonderbare Doppelseitigkeit im amerikanischen Leben – das idealistische Pathos, das sich mit gerissenen Geschäftspraktiken paart; die religiöse Unterbauung des Erfolgsgedankens; der Prediger, der Unternehmer ist; der Proselytenmacher der Moral; der Geschäftsmann mit Gott und Idealen auf den Lippen; die Vierzehn Punkte; der von der Wallstreet beglaubigte Weltfrieden“ und führt dies alles „im letzten Sinne“ auf das „puritanische Ethos, das Echo des sich selbst befreienden Bürgertums“ zurück (Halfeld 1928: 11).

Auch der Topos von der „Gleichmacherei“ wird eingesetzt. In Amerika sei alles einem „schrankenlosen Geschäftsidealismus“ unterworfen und es herrsche blinder „Nutzeffekt“, was zu einer dekadenten kulturellen Nivellierung führe. „Alle tragen dieselben Anzüge, Stiefel, Farben und Kragen, man liest dieselben Magazine“ und ist das „Produkt einer Gleichmacherei“. Diesen Zustand erklärt Halfeld unter anderem mit der Notwendigkeit zur Assimilierung verschiedenartigster Elemente in den USA. Die Gefühlswelt der Amerikaner beschreibt er aller Natürlichkeit entleert. Symptomatisch hierfür sei der Jazz. In seinen vulgären, lärmenden, rohen und hysterischen Synkopen offenbare sich ein Lebensgefühl, das in der puritanischen Unterdrückung der Sinne kein Existenzrecht besessen habe und nun gewaltsam zur Revolte schreite. Hier zeige sich die „übermütige Lustigkeit des Parvenülandes“. Der Jazz sei „nur Gefühlssurrogat – salonfähiger Barbarismus und stimulierte Stimmungsmache, die von innerer Leere und Verlassenheit zeugt.“

Auch die Warnung vor der Bedrohung der abendländischen Kultur durch die Gleichberechtigung der Frau und ihren sozialen Aufstieg in ursprünglich typisch männliche Positionen lässt Halfeld nicht aus. Er beklagt die angebliche Herrschaft der Frau in den USA und kritisiert dabei auch die „Knechtsgesinnung“ des amerikanischen Mannes. Dieser glaube allen Ernstes, die Frau habe ihm ein „moralisches, ästhetisches und intellektuelles Plus“ voraus. Für Halfeld kein Wunder, denn schließlich hätten Gleichheitsideale, Utilitarismus und die Jagd nach dem Geld den Mann seiner natürlichen Attribute beraubt. Seine „männliche Aggressivität“ sei vom Puritanismus verdrängt worden, mittlerweile sei ihm ein „konventioneller Schwächeinstinkt“ der Frau gegenüber angeboren. Die Gefahren eines solchen Systems für „die schöpferische Intelligenz des Mannes, für die Bestätigung seines Urteils, die Natürlichkeit der erwachenden Sexualität und die Zukunftsaspekte der Gesellschaft“ seien „überall sichtbar in der Welt Amerikas“.

„Degeneration durch Moderne“ lautet auch bei Halfeld die „untergründige Botschaft des Antiamerikanismus“ (Diner 2002: 85). So bezeichnet er die durch die amerikanische Lebensweise hervorgerufene Untergrabung des „volkhaft gewachsenen […] mythischen Untergrunds der (europäischen) Stämme“ als bedrohlich und kulturzerstörend. Die Amerikaner seien ein „abstrakt-zufälliges Staatsvolk“. Er konfrontiert die amerikanische Zivilisation des „Massenhaften“ und „Gleichförmigen“ mit dem europäischen Kulturbegriff und dessen Hochschätzung der „erhabenen Vielgestaltigkeit“ des Lebens und der geistigen Individualität, des freien Willens. Weitere angeblich deutsche bzw. europäische Eigenschaften, die Halfeld dem Amerikanismus in Form eines positiven Gegenbildes gegenüberstellt, sind die Hochschätzung der Arbeit um ihres eigenen Wertes willen, die entschiedene Absage an krasses Erfolgsstreben im Gegensatz zum Streben nach innerer seelischer Differenzierung, Persönlichkeit und Schöpfertum, ein Bedürfnis für Schönheit, Geist und künstlerischen Ausdruck sowie eine ehrfürchtige Haltung vor dem „Geheimnis“ des Lebens. Dabei fällt ins Auge, dass Halfeld für seine Schilderung offenbar auf die Phraseologie Oswald Spenglers zurückgreift. Seine Gegenüberstellung von Amerikanismus und europäischem Kulturbegriff „entspricht genau dem Gegensatz von Kultur und Zivilisation bei Spengler“ (Berg 1963: 141 f.).

Kultureller Antiegalitarismus und Ablehnung der modernen kapitalistischen Massengesellschaft und der Demokratie gehören bei Halfeld zusammen. Erkennbar ist dieser Zusammenhang daran, dass vorhandenen Tendenzen, die die Persönlichkeit bedrohen, in der Sicht Halfelds nicht innerhalb der modernen Gesellschaft entgegenwirkt werden kann. Vielmehr bleibt hier nur der positive Bezug auf das „nicht-demokratische konservativ-organische Gesellschaftsmodell“ (Schwan 1999: 51). Halfelds Tendenz ist eindeutig antiwestlich, sie richtet sich gegen Demokratie und bürgerlichen Liberalismus. Was hier zum Ausdruck kommt, ist „politisch gesehen das antirepublikanische, antiliberale Ressentiment autoritärer Kräfte auf der weltanschaulichen Rechten“ und „ideologisch betrachtet die Haltung der deutschen Jungromantik gegenüber dem europäischen Westen“ (Berg 1963: 142).

Auch der Überlegenheitsanspruch der Deutschen innerhalb Europas, d.h. die deutsch-nationale Komponente des konservativen Antiamerikanismus, tritt bei Halfeld schließlich klar hervor. Sein „europäischer“ Kulturbegriff ist ausgesprochen „deutsch“, denn er operiert mit Begriffen wie Volk, Art und Schicksalsgemeinschaft der Menschen gleichen Stammes. Europa sei eine „Häufung von Kreisen, die in wechselseitiger Berührung stehen“ und „der Kreis, der der Mitte am nächsten liegt“, sei Deutschland – „Europamitte nicht nur im geographischen Sinne“.

Adolf Halfeld redet mit seinem Werk „Amerika und der Amerikanismus“ letztlich einem übersteigerten Nationalismus das Wort. Er beschreibt seine Beobachtungen vordergründig durchaus „sachlich“ und den vermeintlichen „Tatsachen“ entsprechend, doch aus der „Überfremdung“ der deutschen Industrie mit amerikanischem Kapital wird unversehens eine Gefährdung deutscher Art, und der technisch-wirtschaftlichen „Fremdherrschaft“ folgt die kulturelle auf dem Fuße. Der Amerikanismus wird schließlich zum „Erzübel der Epoche“, denn „dank seines vagen Begriffsinhaltes eignet er sich zu universaler Verwendung“ – sowohl im „innenpolitischen Kampf“ wie auch in „kulturellen und künstlerischen Auseinandersetzungen“ (Berg 1963: 143).

5. Fazit

Modernisierungskritik, die selbst auf dem Boden der Moderne stand und deren widersprüchliche Erscheinungsformen kritisch antizipierte, machte eine Grundströmung der deutschen Geistesgeschichte seit der Jahrhundertwende aus. Nun nennen wäre in diesem Zusammenhang etwa Sigmund Freuds Arbeit über „Das Unbehagen in der Kultur“. Auch die Literatur der 20-er Jahre war durch die Ambivalenz der Modernisierungserfahrungen verstört, etwa bei Franz Kafka oder Thomas Mann. Nicht Rückständigkeit und besondere Traditionsverhaftung standen hinter einer solchen Modernisierungskritik, sondern eine bewusste Wahrnehmung der gegenwärtigen Entwicklungstendenzen.

Von anderer Qualität war jedoch der Antiamerikanismus, der im Gegensatz zur Amerika-Kritik die in den USA erkennbare politische, soziale und kulturelle Entwicklung „in toto zugusten historisch vorgängiger Modelle“ ablehnte (Schwan 1999: 53). Da Deutschland gezwungen war, in starkem Maße zu modernisieren, waren die Einwände hier um so schärfer. Natürlich gab es Modernisierung nicht erst seit dem Krieg. Aber sie war zuvor in einer Ideologie des nationalen Stolzes und mit Kriegsbeginn im Gefühl einer nationalen Schicksalsgemeinschaft eingebettet gewesen. In der Weimarer Republik aber wurde das Bürgertum nicht nur mit Deutschlands Niederlage, sondern auch mit dem unverstellten Rationalisierungsprozess und der Säkularisierung der politischen Institutionen konfrontiert. Während es den Werten vorkapitalistischer Gesellschaften und entsprechender politischer Systeme huldigte, schob es Amerika die Schuld für die Übel zu, die den unvermeidlichen Preis für den wirtschaftlichen Wiederaufstieg darstellten. Die Wechselseitigkeit von wirtschaftlicher Abhängigkeit und kulturellen Ressentiments ist hier offenkundig.

Funktional diente der Antiamerikanismus in der Weimarer Republik vor allem der Abwehr des Statusverlustes, der dem deutschen Bürgertum „mit der Demokratisierung von Politik und Gesellschaft drohte, sowie der Bewahrung der deutschen kulturellen und politischen Besonderheit und Identität, wie dieses Bürgertum beide verstand“ (Schwan 1999: 55). Genetisch speiste sich der Antiamerikanismus vor allem aus der „Furcht vor dem Aufstieg der Vereinigten Staaten zur Weltmacht und vor der ökonomischen und kulturellen Amerikanisierung“ (Schwan 1999: 54).

Inhaltlich fällt zunächst die enge „systematische und wohl auch psychologische Verknüpfung von kulturellem und politischem Antiamerikanismus ins Auge: Der kulturelle Antiamerikanismus, der die USA als Symbol der Nivellierung, Vermassung, Kommerzialisierung und Verflachung der Kultur auf Grund der „Pöbelherrschaft“ ablehnte, mündete als Antiegalitarismus in die Abwehr der politischen Gleichheit bzw. des „für die Demokratie grundlegenden Postulats der Verbindung von Freiheit und Gleichheit“. Eine „weitere inhaltliche Facette dieses grundlegend antiliberalen Antiegalitarismus ist der Nationalismus als Anspruch auf deutsche politische und kulturelle Überlegenheit gegenüber den USA und in Europa“. Und schließlich erscheint der „Antiamerikanismus auch als Form von Antisemitismus“ (Schwan 1999: 60 f.).

Der Antiamerikanismus in der Weimarer Republik war seiner „inneren Logik gemäß politisch konservativ“ (Schwan 1999: 53), denn die im wesentlichen antiegalitäre Komponente der Ablehnung des kulturellen und sozialen Systems, das man für das Wesen des Amerikanismus hielt, gründete politisch in konservativ-organizistischen, antidemokratischen Vorstellungen bzw. führte logisch zu ihnen. Die an Amerika geübte Sozialkritik der Linken hatte dagegen durchaus Bodenhaftung. Die von ihnen verwendeten Bilder unterschieden sich jedoch kaum von der antimodernistischen und kulturpessimistischen Darstellung der Rechten, die „ihrer irrationalen Begründungen wegen eine größere Wirkung erzielte“ (Diner 2002: 89). Und auch die von der Linken formulierte Sozialkritik verwies allzu oft nicht etwa auf eine linke bzw. demokratische Einstellung, sondern auf einen antiliberalen Antikapitalismus. Ernst Fraenkel weist jedoch darauf hin, dass die Einstellung zu den USA im Gegensatz zur Einstellung gegenüber Russland, England und Frankreich in der Weimarer Republik „keine gruppenbildende Kraft“ besessen habe (Fraenkel 1959: 44).

Insgesamt war Weimar Amerika gegenüber im wahrsten Sinne ambivalent eingestellt. Inmitten der „Amerikanisierung“ auf wirtschaftlichem, technologischem und kulturellem Gebiet grassierte ein heftiger Antiamerikanismus. Charakteristischerweise verstiegen sich die Vertreter beider Ansätze, des Fortschrittsoptimismus wie der Kulturkritik, teils zu dem Anspruch, die Totallösung aller Menschheitsprobleme verwirklichen zu können. Zum Erfolg der Nationalsozialisten hat „zweifellos die Tatsache beigetragen, dass sie diese ambivalenten Gefühle auf ihre Mühlen zu leiten verstanden“ (Trommler 1986: 672) – sie versprachen Arbeit und Wohlstand für alle ohne die entfremdenden Begleiterscheinungen der Modernisierung und beschworen den Schleier der Volksgemeinschaft, der vor den kalten Winden des westlichen Kapitalismus Schutz zu geben versprach. So brachte die Weimarer Republik nicht nur die Demokratisierung und Zivilisierung der deutschen Gesellschaft in Schwung, sondern wurde auch zum „Treibhaus jener amerikafeindlichen Mentalität in Deutschland, deren Spuren sich bis in die Gegenwart hinein verfolgen lassen“ (Diner 2002: 89).

6. Bibliographie

6.1 Verwendete Quellen

Halfeld, Adolf (1928): Amerika und der Amerikanismus. Kritische Betrachtungen eines Deutschen und eines Europäers, Jena.Kaes, Anton (Hrsg.) (1983): Weimarer Republik. Manifeste und Dokumente zur deutschen Literatur 1918-1933, Stuttgart, hieraus insbesondere:

Kurt Tucholsky (1926): Interessieren Sie sich für Kunst?;

Klaus Mann (1927): Heute und Morgen. Zur Situation des jungen geistigen Europas;

Lion Feuchtwanger (1928): Von den Wirkungen und Besonderheiten des angelsächsischen Schriftstellers;

Frank Maletzke (1930): Sachlichkeit;

Otto Alfred Palitzsch (1927): Gefunkte Literatur;

Adolf Behne (1926): Die Stellung des Publikums zur modernen deutschen Literatur;

Hans Siemsen (1923): Bücher-Besprechung;

Kurt Pinthus (1924): Der amerikanische Film;

Edlef Köppen (1925): Das Magazin als Zeichen der Zeit;

Siegfried Kracauer (1926): Kult der Zerstreuung. Über die Berliner Lichtspielhäuser;

Hermann von Wedderkop (1926): Wandlungen des Geschmacks;

Hans Siemsen (1926): Die Literatur der Nichtleser;

Yvan Goll (1926): Die Neger erobern Europa;

Hermann Kasack (1928): Sport als Lebensgefühl;

Wolf Zucker (1929): Kunst und Reklame. Zum Weltreklamekongreß in Berlin;

Rudolf Kayser (1925): Amerikanismus;

Stefan Zweig (1925): Die Monotonisierung der Welt;

Friedrich Sieburg (1926): Anbetung von Fahrstühlen;

Samuel Fischer (1926): Bemerkungen zur Bücherkrise;

Adolf Halfeld (1928): Amerika und die neue Sachlichkeit;

Otto Alfred Palitzsch (1928): Die Eroberung von Berlin;

Felix Stössinger (1929): Die Anglisierung Deutschlands;

Thomas Mann (1927): Romane der Welt. Geleitwort;

Egon Erwin Kisch (1925): Der rasende Reporter (Vorwort);

Leo Lania (1926): Reportage als soziale Funktion;

Max Brod (1929): Die Frau und die neue Sachlichkeit;

Lion Feuchwanger (1932): Der Roman von heute ist international;

Wilhelm von Schramm (1931): Berlin als geistiger Kriegsschauplatz;

Adolf Bartels (1920): Der Kampf der Zeit;

Alfred Döblin (1931): Wissen und Verändern! Offene Briefe an einen jungen Menschen;

Joseph Roth (1930): Schluß mit der „Neuen Sachlichkeit“!;

Rudolf Arnheim (1931): Der ökonomische Tee

6.2 Literatur

Berg, Peter (1963): Deutschland und Amerika 1918-1929. Über das deutsche Amerikabild der zwanziger Jahre, Lübeck.

Diner, Dan (2002): Feindbild Amerika. Über die Beständigkeit eines Ressentiments, München.

Fraenkel, Ernst (1959): Amerika im Spiegel des deutschen politischen Denkens, Köln.

Hoover, Marjorie L. (1975): „Ihr geht gemeinsam den Weg nach unten“. Aufstieg und Fall Amerikas im Werk Bertolt Brechts?, in: Bauschinger, Sigrid / Denkler, Horst / Malsch, Wilfried (Hrsg.), Amerika in der deutschen Literatur, Stuttgart, S. 294-314.

Kaes, Anton (1983): Einleitung, in: Ders., Weimarer Republik. Manifeste und Dokumente zur deutschen Literatur 1918-1933, Stuttgart, S. XIX-LII.

Kaes, Anton (1986): Massenkultur und Modernität. Notizen zu einer Sozialgeschichte des frühen amerikanischen und deutschen Films, in: Trommler, Frank (Hrsg.), Amerika und die Deutschen, Opladen, S. 651-665.

Malsch, Wilfried (1975): Neue Welt, Nordamerika und USA als Projektion und Problem, in: Bauschinger, Sigrid / Denkler, Horst / Malsch, Wilfried (Hrsg.), Amerika in der deutschen Literatur, Stuttgart, S. 9-16.

Müller-Seidel, Walter (1998): Literarische Moderne und Weimarer Republik, in: Bracher, Karl Dietrich / Funke, Manfred / Jacobsen, Hans-Adolf (Hrsg.), Die Weimarer Republik 1918-1933, Bonn, S. 429-453.

Offner, Arnold A. (1986): Forschungen zum deutsch-amerikanischen Verhältnis. Eine kritische Stellungnahme, in: Trommler, Frank (Hrsg.), Amerika und die Deutschen, Opladen, S. 514-527.

Peukert, Detlev J.K. (1987): Die Weimarer Republik. Krisenjahre der Klassischen Moderne, Frankfurt am Main.

Schröder, Hans-Jürgen (1986): Deutsch-amerikanische Beziehungen im 20. Jahrhundert. Geschichtsschreibung und Forschungsperspektiven, in: Trommler, Frank (Hrsg.), Amerika und die Deutschen, Opladen, S. 491-513.

Schütz, Erhard (1977): Kritik der literarischen Reportage. Reportagen und Reiseberichte aus der Weimarer Republik über die USA und die Sowjetunion, München.

Schütz, Erhard (1986): Romane der Weimarer Republik, München.

Schwabe, Klaus (1986): Die Vereinigten Staaten und die Weimarer Republik. Das Scheitern einer ‚besonderen Beziehung‘, in: Trommler, Frank (Hrsg.), Amerika und die Deutschen, Opladen, S. 367-378.

Schwan, Gesine (1999): Antikommunismus und Antiamerikanismus in Deutschland, Baden-Baden.

Sontheimer, Kurt (1998): Die politische Kultur der Weimarer Republik, in: Bracher, Karl Dietrich / Funke, Manfred / Jacobsen, Hans-Adolf (Hrsg.), Die Weimarer Republik 1918-1933, Bonn, S. 454-464.

Trommler, Frank (1986): Aufstieg und Fall des Amerikanismus in Deutschland, in: Trommler, Frank (Hrsg.), Amerika und die Deutschen, Opladen, S. 666-676.

Weinberg, Gerhard (1986): Deutschland und Amerika 1917-1949, in: Weigelt, Klaus (Hrsg.), Das Deutschland- und Amerikabild, Melle, S. 21-28.

Willett, John (1981): Explosion der Mitte. Kunst + Politik 1917-1933, München.