Von Tobias Jaecker, April 2003
Gliederung:
Einleitung: „Objektive“ Kriegsberichterstattung?
Vorgeschichte des Krieges: Eine Erzählung wird konstruiert
Kriegsbegründungen und -lügen
Die journalistischen Arbeitsbedingungen: Propaganda, Desinformation, Zensur
Die Uniformität der Medienberichterstattung
Die Sprache des Krieges
Die Bilder des Krieges
Selbstreflexion und Medienkritik in den Medien
Schlussfolgerungen
Literatur
Einleitung: „Objektive“ Kriegsberichterstattung?
„Das erste Opfer des Krieges ist die Wahrheit“ (US-Senator Hiram Johnson, 1917) – diese Binsenweisheit wird in Kriegszeiten fast unablässig von den Medien wiederholt. Dabei ist die Aussage verlogen, suggeriert sie doch, dass die Medien sonst sehr wohl „die Wahrheit“ berichteten. Die „Wiederspiegelungs“-Theorie ist aber untauglich, um die Medienrealität zu fassen. Im Sinne der Kritischen Diskurstheorie kann man davon ausgehen, dass die Massenmedien ihren Nutzern aus der unendlichen Zahl der Ereignisse eine interpretierende und somit vereinfachende Konstruktion der Realität anbieten. Diese Konstruktion macht die Wirklichkeit in Form einer Erzählung verständlich und erklärbar. Die Medien sind also keine passiven Mittler von Realität, sondern ein aktives Element in einem sozialen Prozess der Wirklichkeitskonstruktion.
Dabei gehen die Journalisten u.a. nach Kriterien vor, die auf Annahmen basieren, was dem Publikum nützlich sein und gefallen könnte. Kriege sind Themen, die mit anderen Themen konkurrieren. In der Regel halten Journalisten Krisen, Konflikte und Kriege für überdurchschnittlich relevant, weil diese eine Vielzahl der medialen Kriterien erfüllen, die aus Ereignissen Nachrichten machen. Ob ein Krieg letztlich als berichtenswert eingestuft wird, hängt von verschiedenen „Nachrichtenfaktoren“ ab: Vom Grad der Betroffenheit des eigenen Landes, von der Beteiligung so genannter Elite-Nationen, der Möglichkeit der Personalisierbarkeit, der Visualisierbarkeit, der Möglichkeit der Anschlusskommunikation an berichtete Ereignisse im Inland, vom Grad der Überraschung, von der kulturellen, politischen oder ökonomischen Distanz.
Die Rezipienten wiederum überprüfen die bezogenen Nachrichten und Interpretationen nach ihren eigenen kulturellen und politischen Vorstellungen. So werden sämtliche Elemente eines Geschehens, alle Informationen und Ereignisse, in einer symbolischen Landschaft aus kollektivsymbolischen (Erfahrungs-)Schemata und mythischen Geschichten verortet, in Beziehung gesetzt und dadurch erst wahrnehmbar. Von entscheidender Bedeutung ist hier der symbolische und narrative diskursive Rahmen, in den die Medien ein Ereignis einbetten (und ihm dadurch Bedeutung verleihen). Die Individuen bewegen sich ständig innerhalb ihres kulturellen Rahmens und damit innerhalb des Diskurses. Sie können jedoch unterschiedliche Diskurspositionen einnehmen (z.B. mit einer bestimmten Seite sympathisieren) und sie können den Diskurs in eine bestimmte Richtung beeinflussen (z.B. durch PR).
Typisch für eskalierende Krisen- und Kriegsberichterstattung ist die extrem antagonistische Positionierung von Wir/Sie-Gruppen sowie eine Handlungslogik, die den bekannten Schemata literarischer oder filmischer Narrationen entspricht. Die auf Identifikation angelegte Wir-Gruppe, die in der Regel deckungsgleich mit dem nationalen Kollektiv ist, erhält immer den Status eines zurechnungsfähigen Subjekts, während die auf Gegenidentifikation angelegte Sie-Gruppe eine extrem personalisierte Feindbild-Zuschreibung erhält (z.B. Milosevic), die pauschal mit der ganzen Bevölkerung (z.B. den Serben) gleichgesetzt wird. Der Aufbau eines Feindbildes schafft in der Wir-Gruppe ein Gefühl der Bedrohung, das mit einem Bedürfnis nach starker Führung verbunden ist. Die Handlungsoptionen der Wir-Gruppe sind fast alternativlos strukturiert: Entweder man tut etwas, oder es siegt das Böse. Das Nationenbild der Wir-Gruppe hat wiederum eine überwiegend integrierende, solidarisierende und ordnende Funktion. Es trägt zur Bildung gemeinsamer Erinnerungswerte und nationaler Symbole bei. Gerade Kriege sind „Kristallisationspunkte kollektiver Geschichte und Gegenstand einer kontinuierlichen Arbeit an dieser Geschichte“ (Schwab-Trapp). Bei der Bestimmung einer überzeugenden Ursache und einer konsensfähigen Lösung des Krieges kann dementsprechend an das nationale Kollektivsymbolsystem angeknüpft werden, z.B. durch historische Vergleiche oder „Lehren“ aus der deutschen Geschichte („Nie wieder Auschwitz“, aber auch: „Nie wieder Krieg“).
Die symbolische Konfigurierung und der narrative Rahmen eines Krieges bestimmen somit die Art und Weise, wie der Krieg „erzählt“ wird. Dies kann dann erneut in Lagebeurteilungen, Prognosen und Argumentationen von Medienleuten, Politikern und Publikum eingehen. Das Geschehen erhält so eine immer stabilere und eindeutigere Struktur.
Vorgeschichte des Krieges: Eine Erzählung wird konstruiert
Die politische und emotionale Mobilmachung weiter Teile der deutschen Öffentlichkeit war schon lange vor dem Kosovo-Krieg abgeschlossen. Seit Beginn der Bürgerkriege in Jugoslawien Anfang der 90-er Jahre hatte sich in der deutschen Medienberichterstattung ein zunehmend einseitiges, binäres Interpretationsschema herausgebildet. Eindeutig negativ charakterisiert wurden dabei die Serben und „Serbenführer“ Slobodan Milosevic. Der Medienwissenschaftler Dusan Reljic begründet dies u.a. mit dem autoritären und gewaltorientierten Charakter der Politik Milosevics, mit der weitgehenden Unterstützung, die vom überwiegenden Teil der politischen Klasse Deutschlands von Anfang an den sezessionistischen ehemaligen jugoslawischen Teilrepubliken zuteil wurde sowie mit historisch erklärbaren antikommunistischen Reflexen. Zur Herausbildung des negativen serbischen Images trugen auch die Aktivitäten der amerikanischen PR-Agentur Ruder Finn bei, die erst für Kroatien, später für Bosnien-Herzegowina und dann für die Kosovo-Albaner PR-Kampagnen im Ausland durchführte.
In Deutschland übte zudem die ausgeprochen anti-serbische Jugoslawien-Berichterstattung von „FAZ“, „Welt“ und „Spiegel“ eine große Wirkung aus. Zu den zentralen Topoi des Jugoslawien-Diskurses in diesen Blättern gehörte jahrzehntelang die Wendung vom Vielvölkerstaat Jugoslawien als „künstlichem Gebilde“. Die Existenzberechtigung eines multiethnischen, multikulturellen, multireligiösen und vor allem sozialistischen Staates Jugoslawien wurde grundsätzlich und systematisch in Frage gestellt und unterschwellig als eine Form von „Großserbien“ dargestellt. Wenn es um Serbien ging, wurden immer wieder negativ besetzte Begriffe wie „serbische Orthodoxie“, „Panslawismus“ und „Balkanismus“ verwendet. Die „katholischen Völker“ im Norden Jugoslawiens hingegen wurden positiv dargestellt und deren Zugehörigkeit zur mitteleuropäischen Kultur betont. Galt der serbische Nationalismus als „böse“, so waren der kroatische und slowenische fortschrittlich. Tudjman und Izetbegovic, beides Autokraten wie Milosevic, wurden zu Demokraten stilisiert.
Die Meinungsführerschaft o.g. Blätter in der „Balkan-Frage“ wirkte sich sowohl auf die Berichterstattung vieler anderer Medien aus als auch auf die Jugoslawien-Politik der Bundesregierung. Dies zeigte sich z.B. im Vorpreschen Bonns bei der völkerrechtlichen Anerkennung Kroatiens. Auch im Bosnien-Konflikt ergriff die Bundesregierung einseitig Partei – gegen Serbien. Bereits hier wurden die Ereignisse in einen problematischen Kontext gestellt: Joschka Fischer z.B. bezeichnete die angeblichen Massengräber von Srebrenica als „Symbol des serbischen Faschismus“.
Als die deutschen Medien in den Wochen vor dem Krieg der NATO gegen Jugoslawien fast täglich über die Kämpfe zwischen serbischer Armee und Kosovo-Albanern berichteten, standen die wesentlichen Eckpunkte der Erzählung über den Kosovo-Konflikt bereits fest. Die Serben waren die Täter, die Kosovo-Albaner die Opfer. Umstritten war nicht mehr die Wirklichkeit im Kosovo, sondern nur sondern nur noch die Angemessenheit der westlichen Reaktion.
Kriegsbegründungen und -lügen
Seit dem Zweiten Weltkrieg war es für Deutschland tabu, Kriege zu führen. Um dieses moralische Verbot außer Kraft zu setzen und die Notwendigkeit eines Militäreinsatzes zu belegen, mussten also gewichtige Gründe angeführt werden. Erst recht, wenn es sich wie beim Krieg der NATO gegen Jugoslawien um einen völkerrechtswidrigen Angriffskrieg handelte. Und angesichts der Tatsache, dass eben auch Jugoslawien im Zweiten Weltkrieg Opfer des deutschen Vernichtungsfeldzugs geworden war.
Zu den wirkungsvollsten Mitteln der Kriegslegitimation gehört seit jeher die Dämonisierung des Feindes. Da Milosevic und die Serben im deutschen Diskurs bereits vor dem Kriegsbeschluss über hinreichend negative Zuschreibungen verfügten, war es den verantwortlichen Politikern ein leichtes, hieran anzuknüpfen. Vor allem Verteidigungsminister Rudolf Scharping und Außenminister Joschka Fischer stellten Milosevic als Inkarnation Hitlers und die Serben als neue Nazis dar. Sie bedienten sich ausgiebig historischer Vergleiche wie „Völkermord“, „Selektion“, „Deportation“ und „KZ“, die von den Medien affirmativ übernommen wurden. Dies führte zu einer Ausschaltung kritischer Gegenstimmen und zu einer Homogenisierung der Debatte.
Es bedurfte jedoch auch handfester Lügen, um den Krieg schließlich als alternativlose Notmaßnahme erscheinen zu lassen. Die bekanntesten:
1. Die Verhandlungen in Rambouillet. Die NATO begann ihre Luftangriffe auf Jugoslawien am 24.3.1999 mit der Begründung, dass Milosevic sich auf der Konferenz von Rambouillet einer politischen Lösung verweigert habe. Erst nach Kriegsbeginn kam heraus, dass er mit einer Zustimmung zum so genannten „Annex B“ des Vertrages faktisch die politische und militärische Souveränität über ganz Jugoslawien preisgegeben hätte. Eine Bedingung, die wohl kein Staatsmann dieser Welt angenommen hätte.
2. Das angebliche „Massaker von Racak“. Es wurde wenige Tage vor Kriegsbeginn als Beleg für die Grausamkeiten der Serben gegenüber der kosovarischen Zivilbevölkerung herangezogen. Außenminister Fischer erklärte: „Racak war für mich der Wendepunkt“. Spätere Untersuchungen kamen zu dem Ergebnis, dass dort gar kein Massaker stattgefunden hatte.
3. Das „Massaker von Rogovo“. Dieses sollte bereits im Januar stattgefunden haben. Verteidigungsminister Scharping präsentierte am 27.4.1999 auf einer Pressekonferenz Fotos als „Beweise“ für die „Gräueltaten serbischer Staatspolizei und Mordbanden“ an „unschuldigen Zivilisten“. „Deshalb führen wir Krieg“, titelte die „Bild“-Zeitung am nächsten Tag. Dem Verteidigungsministerium lag zu diesem Zeitpunkt bereits ein Bericht vor, nach dem in Rogovo Kämpfe zwischen bewaffneten UCK-Kämpfern und serbischen Soldaten stattgefunden hatten. Die Leichen waren von OSZE-Beobachtern und serbischen Polizisten im Nachhinein zusammengetragen und fotografiert worden.
4. Angesichts der Flucht tausender Kosovaren nach Beginn der Bombenangriffe wuchs die Kritik an der Militäraktion. Zu diesem Zeitpunkt präsentierte Verteidigungsminister Scharping der Öffentlichkeit einen angeblichen serbischen „Hufeisenplan“. Er sollte belegen, dass Milosevic schon vor Beginn der Bombardierungen die Vertreibung der Kosovo-Albaner beschlossen habe. Später stellte sich heraus, dass das Papier eine Erfindung war.
5. Das angebliche „Konzentrationslager“ im Stadion von Pristina, von dem Verteidigungsminister Scharping berichtete. Ein Beleg dafür wurde nie erbracht. Dennoch verbreiteten die Medien die Behauptungen unkritisch weiter. „Bild“ titelte: „Sie treiben sie ins KZ“ und montierte daneben ein Foto flüchtender Kosovo-Albaner.
6. Die fünf angeblich zu Kriegsbeginn hingerichteten „Albanerführer“ – eine Meldung, die von der NATO in die Welt gesetzt wurde. Kurz danach meldeten sich die betroffenen Personen zu Wort. Doch während die Nachricht über die Hinrichtungen weltweit Schlagzeilen machte, verschwand das Dementi auf den hinteren Seiten der Zeitungen.
7. Auch die NATO-Berichte über 20 Lehrer, die vor den Augen ihrer Schüler von Serben erschossen worden seien, erwiesen sich als falsch.
Alle hier erwähnten Kriegslügen – die Auflistung könnte noch weitergeführt werden – wurden von den Medien als Tatsachen verbreitet. Zweifel waren selten, Kritiker wurden der Komplizenschaft Milosevics beschuldigt und auf diese Weise massiv ausgegrenzt.
Die journalistischen Arbeitsbedingungen: Propaganda, Desinformation, Zensur
In Kriegszeiten sind die politischen Akteure am demokratischen Meinungsstreit nicht interessiert, da sie Unterstützung und Legitimation für ihren Kriegskurs brauchen. Sie betreiben deshalb verstärkt strategisches Informationsmanagment, um die Deutung des Kriegsgeschehens zu bestimmen und gewünschte Effekte beim Publikum zu erzielen. Schon General Eisenhower wusste: „Public opinion wins war“. Eine wirkungsvolle Maßnahme ist z.B. die Vorstrukturierung bzw. Verknappung von Informationen im Vorfeld der journalistischen Recherche. Denn gerade bei außenpolitischen Themen ist die Regierung eine der wichtigsten Informationsquellen für die Massenmedien, und die meisten außenpolitischen Informationen können nicht unmittelbar überprüft werden. Der Erfolg des politisch-militärischen Informationsmanagements ist um so größer, je weniger Informationen den Medien aus anderen Quellen zur Verfügung stehen und je authentischer und relevanter die Informationen zu sein scheinen, die Militärs und Sicherheitspolitiker bereitstellen.
Im Krieg gegen Jugoslawien war der Kosovo für Journalisten gesperrt. Als Informationsquellen blieben zunächst nur die offiziellen Mitteilungen aus Belgrad, Augenzeugenberichte von Flüchtlingen aus dem Kosovo und amtliche Verlautbarungen aus Brüssel, Washington und Bonn.
Die NATO betrieb während des Krieges ein „Media Operations Center“, das von Jamie Shea geleitet wurde. Shea bekannte später offen, die Medienkampagne zu gewinnen, sei genauso wichtig gewesen, wie die militärische Kampagne für sich zu entscheiden. Zwar entwickelte die NATO im Vorfeld des Kosovo-Krieges keine vergleichbare Medienstrategie wie das Pen-tagon vor dem Zweiten Golfkrieg. Dennoch ist es der NATO erfolgreich gelungen, während der Kriegswochen die Berichterstattung zu steuern und Informationsdominanz auszuüben. So gab es tägliche Pressekonferenzen in Brüssel, auf der Jamie Shea und sein Stab vorab selektiertes und konfektioniertes Bildmaterial präsentierten und deuteten. Gezeigt wurden vor allem Luftaufnahmen und Computer-Animationen, um die angebliche Präzision der „Luftschläge“ der Allianz nachzuweisen. Es gab nur Volltreffer. Verwackelte Videos obskurer Herkunft zeigten die Greueltaten der Serben im Kosovo.
Dabei wurde auch mit technischen Manipulationen gearbeitet. So wurde ein Luftangriff auf eine Eisenbahnbrücke bei Gredelicka am 12.4.1999, bei dem 14 Menschen ums Leben kamen, von der NATO damit begründet, dass der getroffene Zug so schnell auf die Brücke gerast sei, dass die Kampfpiloten den Angriff nicht mehr hätten stoppen können. Erst nach dem Krieg gab die NATO zu, dass man das im Raketenkopf aufgenommene „Beweisvideo“ den Journalisten aufgrund eines „technischen Fehlers“ im Zeitraffer vorgespielt habe.
Zumindest in den ersten Kriegswochen wurden die Verlautbarungen der NATO von den Medien fast uneingeschränkt und ohne Kritik übernommen. Die Kriegsbegründung, nach der die Bombardierungen Milosevic zurück an den Verhandlungstisch zwingen sollten und dass es gelte, eine „humanitäre Katastrophe“ im Kosovo zu verhindern, wurde nicht hinterfragt. Mit der Verwendung verharmlosender Begriffe wie „Kollateralschaden“ oder „Luftkampagne“ wurde „Normalität“ suggeriert.
Auch das Verteidigungsministerium in Deutschland führte solche Pressekonferenzen durch. Dass gerade Verteidigungsminister Scharping kein Mittel der Beeinflussung und Manipulation ausließ, wurde oben bereits angesprochen.
In Belgrad war die Lage anders: Hier gab es offene Zensur. Oppositionelle publizistische Stimmen waren bereits vor Kriegsbeginn ausgeschaltet worden. Das Mediengesetz vom Januar 1999 verpflichtete die Journalisten, „patriotisch“ zu berichten. Journalisten aus NATO-Ländern konnten sich nicht mehr frei bewegen und mussten Belgrad zum größten Teil verlassen. Später wurden gezielt ausländische Journalisten ins Land gelassen, um für Gegenöffentlichkeit bei den Angreifern zu sorgen. Sämtliche Bilder, die während des Krieges aus Belgrad kamen, wurden von den serbischen Behörden kontrolliert. Das serbische Staatsfernsehen zeigte den Krieg im Gegensatz zur NATO aus der Boden-Perspektive: Zum einen mit Bildern der Zerstörungen und der menschlichen Opfer. Zum anderen wurde Normalität demonstriert mit Berichten von Demonstrationen und Rock-Konzerten.
Was im Kosovo geschah, blieb über Wochen im Dunkeln. Die albanischen Untergrundkämpfer der UCK waren an Bildern offenbar nicht interessiert. So kam es, dass sich hunderte von westlichen Reportern an den Grenzen Jugoslawiens aufhielten, um die Kosovo-Flüchtlinge nach ihrem Schicksal zu befragen. Deren Schilderungen wurden meist unhinterfragt verbreitet. Wie unsicher auch diese Quellen waren, wurde selten erwähnt.
Es gab noch eine weitere Informationsquelle: Das Internet. Gerade der Kosovo-Krieg hat gezeigt, dass eine enge militärische Kontrolle von Informationsflüssen im Internet-Zeitalter kaum noch möglich ist. So wurden im Internet Augenzeugenberichte über das Kriegsgeschehen in Serbien und das Leiden der Bevölkerung im Kosovo verbreitet, Propaganda und Gegenpropaganda, Gerüchte, aber auch die Meldungen des offiziell zensierten, ehemals unabhängigen Belgrader Radiosenders B92. Das Bild vom Krieg wurde durch diese ausschnittartigen Berichte um einige Aspekte ergänzt. Insgesamt blieben die Auswirkungen auf den Diskurs aber eher gering.
Es gab auch gezielte Versuche, die Kommunikation des Gegners zu stören. So bombardierte die NATO serbische Radio- und Fernsehsender und machte sie dadurch für das serbische Regime nutzlos. Die serbische Seite wiederum griff Server der NATO an und hackte u.a. die Website des Pentagon – Anklänge einer „information warfare“, die in Zukunft vermutlich erheblich an Bedeutung gewinnen wird. „Medienphilosophen“ wie Paul Virilio bezeichneten bereits den Zweiten Golfkrieg als „Medienkrieg“ bzw. „virtuellen Krieg“, der in einer künstlichen Welt stattfinde. Eine solche Sichtweise verhöhnt jedoch die realen Opfer. Treffender ist es daher, von „mediatisierten Kriegen“ zu sprechen: Die Spielregeln der Mediengesellschaft prägen nicht nur unser Bild vom Krieg, sondern zunehmend auch den Krieg selbst.
Die Uniformität der Medienberichterstattung
Für die Massenmedien war der Krieg ein Quoten- und Auflagenhit. Er war ein „Medienereignis“ (Martin Löffelholz), das unter den Bedingungen des ökonomischen Wettbewerbs „verkauft“ wurde. Die deutschen Fernsehsender boten in den ersten Kriegstagen eine Sondersendung nach der anderen an, obwohl sie keine eigenen Bilder vom Ort des Geschehens besaßen. Viele dieser Sendungen bestanden aus einem wilden Hin- und Herschalten von einem Korrespondentenplatz zum nächsten. Unter den Bedingungen der Live-Berichter-stattung, die größte Aktualität und Relevanz suggerierte, war eine sorgfältige Prüfung der Informationsangebote von Militärs und Politikern nahezu ausgeschlossen. Weil die Informationen knapp waren, das Informationsbedürfnis aber um so größer, wurden die Leerstellen mit Meinungen und Gerüchten gefüllt.
Die deutsche Kriegsberichterstattung war durch eine gleichförmige Ikonographie, eine Meta-Erzählung des Krieges gekennzeichnet. Es war eine melodramatische und moralische Erzählung (Georg Seeßlen), der sich niemand entziehen konnte. Die Erzählung drängte sich nach dem Offensichtlichen und verweigerte sich dem Subtext und dem Hintergrund. Sie verfügte über Identifikations- und Distanzierungsmodelle, eine Sinn produzierende Dramaturgie, eine Kontinuität der Bilder und eine Mythologie, die die Wiedersprüche aufhob.
Durch die Emotionalität der Berichterstattung wurde die Komplexität des Themas auf ein einfaches Deutungsmuster reduziert. Überwiegend wurde der Krieg mit moralischen Argumenten gerechtfertigt und als schicksalhafter Eskalationsprozess dargestellt, zu dem es keine Alternativen gebe. Trotz des Zäsurcharakters in der deutschen Nachkriegsgeschichte und der fehlenden völkerrechtlichen Deckung herrschte in den Medien ein hohes Maß an Konsens über die grundsätzliche Legitimität einer deutschen Beteiligung am Kosovo-Krieg (vgl. die Medienanalysen von Eilders und Jäger). Damit wurde der weitreichende parlamentarische Konsens abgebildet, der in dieser Frage herrschte. Strittig waren lediglich die Handlungsoptionen und Lösungen.
Die Politik Milosevics schien die festgefahrene Meinung derer zu bestätigen, die Serbien schon lange vor dem Krieg als Gegner ausgemacht hatten. Der Krieg wurde ausschließlich als Reaktion auf die Menschenrechtsverletzungen und Vertreibungen Milosevics dargestellt. Die „Beweise“ für diese Verbrechen, die Verteidigungsminister Scharping während des Krieges immer wieder vorlegte, wurden von den Medien ohne große Nachfragen verbreitet. Die Bilder der kosovo-albanischen Flüchtlinge waren allmächtig. Dass im Kosovo auch Serben Repressionen seitens der albanischen Mehrheit ausgesetzt waren, dass die UCK Grausamkeiten gegen Zivilisten beging und eine Organisation von dubioser moralischer Qualität war, wurde kaum erwähnt. Zwar waren in den Medien auch kritische Stimmen zu hören, z.B. in vielen Leserbriefen. Diese konnten aber insgesamt keine größere Wirkung entfalten. Kriegsgegner wurden stigmatisiert und als Sympathisanten Milosevics verleumdet.
Gemessen an den Ergebnissen der Meinungsumfragen zeigte die Öffentlichkeitsarbeit von Bundesregierung und NATO und die daran anschließende affirmative Medienberichterstattung anfänglich Wirkung. Etwa 60 Prozent der deutschen Bevölkerung unterstützten die Beteiligung Deutschlands am Krieg. Nur 24 Prozent im Westen lehnten ihn ab, jedoch 57 Prozent im Osten. Mit der Eskalation des Krieges begann die Unterstützung aber zu schwinden. Dafür gibt es mehrere Gründe: Während in den ersten Kriegswochen die Tragödie der albanischen Flüchtlinge in den Medien dominierte, nahmen zuletzt die Zerstörungen und zivilen Opfer in Serbien immer größeren Raum ein. Außerdem wurde die NATO-Propaganda und insbesondere die Informationspolitik von Verteidigungsminister Scharping v.a. in den Printmedien und im öffentlich-rechtlichen Rundfunk zunehmend kritisiert.
Nach dem Beschuss der chinesischen Botschaft in Belgrad wurde die Kritik in den Medien lauter. Der für die ganze Gesellschaft „stellvertretend“ ausgetragene Streit der Grünen um den Krieg auf deren Himmelfahrtsparteitag geriet zum medialen High-noon. Als die Aussichten der NATO auf einen schnellen Sieg geringer wurden, verstärkte sich der Druck, den Krieg mit diplomatischen Mitteln zu beenden. Zum Teil kam es aber auch zu einer Eskalierung in der Publizistik. So wurde in der „Süddeutschen Zeitung“ vehement der Einsatz von Bodentruppen gefordert.
Zum Ende des Krieges wurden meist die Erfolge des Militäreinsatzes herausgestellt. Als Beleg dienten die Bilder der „befreiten“ Kosovo-Albaner. Zwar begann sich die Erzählung zu wenden: Es häuften sich Berichte von Serben, die zu Opfern rachsüchtiger Kosovo-Albaner wurden. Doch die deutschen Soldaten vor Ort, die eine solche Eskalation verhindern sollten, blieben in der Rolle der „Guten“. Und die grundsätzliche Sinnhaftigkeit des Kriegseinsatzes wurde auch weiterhin kaum in Frage gestellt. Insgesamt kann festgestellt werden, dass der Mediendiskurs über den Kosovo-Krieg zu einer „Normalisierung“ von Kriegseinsätzen mit deutscher Beteiligung beigetragen hat.
Die Sprache des Krieges
Für die Berichterstattung zum Kosovo-Krieg war eine Sprache charakteristisch, die binär strukturiert und mit Stereotypen und Vergleichen durchsetzt war. Auffällig ist, dass viele dieser markanten Begriffe von den verantwortlichen Politikern und Militärs in die Welt gesetzt und dann von den Medien unhinterfragt weiterverbreitet wurden.
Zu Kriegsbeginn sticht besonders die moralische Emotionalität des Diskurses ins Auge. Betont wurde vor allem die problematische menschenrechtliche Situation im Kosovo. Es gelte, eine „humanitäre Katastrophe“ zu verhindern. Deutschland müsse hier „Verantwortung“ über-nehmen. Um die erstmalige aktive Beteiligung Deutschlands an einem Kriegseinsatz seit dem Zweiten Weltkrieg zu rechtfertigen, bedurfte es jedoch weiterer Begründungen. Dies geschah anhand von zahlreichen historischen Vergleichen. So wurden die Serben als böse und unmenschliche Nazi-Täter dargestellt und Milosevic als verrückter und blutdürstiger Wiedergänger Hitlers dämonisiert. Der „wahnsinnige Schlächter“ („Bild“), „zweite Hitler“ („B.Z.“) bzw. „irre Serbe“ hatte „uns in den Krieg gestürzt“ („Berliner Kurier“).
Die Freund/Feind-Zuschreibung war trotz der Komplexität der Lage eindeutig: Die ethnischen Albaner, die in Deutschland kurz zuvor noch als in Drogenhandel verwickelte Kriminelle stigmatisiert worden waren, galten nun als Opfer, denen geholfen werden musste. Hier mussten die Deutschen als Retter auftreten, die endlich einmal (und im Gegensatz zur Nazi-Zeit) auf der richtigen Seite standen. Mit „den Serben“ konnte Deutschland seine eigene Vergangenheit bekämpfen und damit beweisen, dass es eine „normale“ Nation geworden war. Keine Beschreibung war zu drastisch, um dies zu verdeutlichen. So behauptete Scharping: „Aus einer Schule trieb man die Lehrer und Kinder heraus, hängte die Lehrer vor den Augen der Kinder auf und vertrieb die Kinder dann mit Gewehrkolben und Schüssen. Schwangeren Frauen wurden nach ihrer Ermordung die Bäuche aufgeschlitzt und die Föten gegrillt.“ Er spreche „bewusst von durch die Serben durchgeführten Selektionen“. „Bild“ sekundierte: „Serben töten Babies, vergewaltigen Frauen“.
Mit den Tatsachen nahm man es absichtlich nicht so genau. Scharping sprach wider besseres Wissen von „millionenfacher Vertreibung“. Und Udo Röbel, Chefredakteur der „Bild“-Zeitung, verteidigte ein auf dem Titelblatt prangendes Foto eines albanischen Flüchtlingstrecks mit der Überschrift „…Sie treiben sie ins KZ“ mit der Begründung, dieses Bild sei „so eindrucksvoll“ gewesen, es habe „eigentlich für sich selbst“ gesprochen. Und „wenn dann an diesem Tag der Verteidigungsminister von KZs in Serbien oder im Kosovo“ spreche, dann bekomme es „mit diesem Bild und dieser Zeile eine unheimliche Dramatik.“
So drastisch die angeblichen Taten der Serben beschrieben wurden, so verharmlosend geriet die Darstellung der deutschen Beteiligung am Angriffskrieg der NATO. Bundeskanzler Schröder erklärte gleich nach Beginn der Luftangriffe in seiner Fernsehansprache: „Wir führen keinen Krieg, aber wir sind aufgerufen, eine friedliche Lösung im Kosovo auch mit militärischen Mitteln durchzusetzen“. Scharping: „Wir löschen den Brand“. Und Verteidigungs-Staatssekretär Walther Stützle sagte in der ARD: „Es geht nicht um militärische Einsätze, sondern es geht in der Tat um den politischen Versuch, das Morden im Kosovo zu beenden.“ Er bitte „doch herzlich darum, nicht von Nato-Bombardierungen zu sprechen.“ Dies sei ein „Schlagwort“ und „der Situation gar nicht angemessen.“ So wurde der Krieg zur „Intervention der Staatengemeinschaft“ und Bombardierungen zu „Luftschlägen“.
Getötete Zivilisten und zestörte Wohnhäuser wurden als „Kollateralschäden“ bezeichnet und teilweise sogar den Serben angelastet: Nachdem bei einem NATO-Angriff auf ein Dorf im Kosovo rund einhundert Zivilisten getötet worden waren, sprach das Verteidigungsministerium von einer Kriegslist der Serben, welche die Kosovo-Albaner als „menschliche Schutzschilde“ missbrauchten. Flüchtende Kosovo-Albaner waren „Vertriebene“, flüchtende Serben nur „Flüchtlinge“. Dass die Fluchtursache in beiden Fällen durchaus vergleichbar war (Repressionen durch die ethnische Gruppe, die jeweils die Macht kontrollierte), spielte keine Rolle. Dies passte genau so wenig in die Erzählung wie die mordenden Untergrundkämpfer der UCK, die ja auf der „richtigen“ Seite standen. Sie wurden zu „Freiheitskämpfern“ geadelt.
Die Bilder des Krieges
Bilder können die Effekte der diskursiv-sprachlichen Ebene verstärken und somit zu einer Erhöhung der Akzeptanz des Krieges oder seiner Ablehnung beitragen. Bilder geben dem Krieg ein „Gesicht“. Sie machen einzelne Ereignisse des Krieges erst plastisch und verleihen der Kriegserzählung Authentizität. Die entscheidenden Spezifika des Bildes sind Unvermitteltheit und Gleichzeitigkeit: Scheinbar steht kein Mittler, kein Erzähler zwischen „Bild“ und Zuschauer – es gibt keine Distanz. Dennoch werden auch diese „authentischen Bilder“ vom Betrachter bzw. von den Medien in die diskursive Rahmenstruktur, die „Geschichte“ eingebettet. Mit dem Fernsehen wechselte die Darstellung des Krieges endgültig von der Analyse zur „Reportage“ (Martin Löffelholz).
Die Berichterstattung zum Kosovo-Krieg brachte ein „Bombardement emotional aufgeladener Bilder, die die Akzeptanz für den Krieg erhöhten“ (Siegfried Jäger). Vor allem in der Anfangsphase wurden die NATO-Angriffe mit dem massiven Einsatz von Fotos gerechtfertigt. Was die Bilder zeigten, war das von den Serben verursachte Elend im Kosovo, die Flüchtlingsströme an den jugoslawischen Grenzen, die High-Tech-Waffen der NATO, verantwortlich dreinblickende Politiker bei der schwierigen Aufgabe, den Krieg zu führen sowie den „Täter“, „Serbenführer“ Milosevic. Später zeigten sie zunehmend auch die Zerstörungen der NATO-Angriffe. All diese Bilder hatten die Wirkung, den Krieg zwar als etwas Schreckliches zu empfinden, ihn aber dennoch hinzunehmen. Vor allem die Fotos der Flüchtlinge erzeugten eine Paralyse: Diesen Menschen musste geholfen werden. Dass die Bomben dazu beitrugen, solches Elend überhaupt erst zu produzieren, wurde selten thematisiert.
Vor allem in den ersten Wochen wurde der Kosovo-Krieg, wie zuvor schon der Golfkrieg, als „sauberer Krieg“ präsentiert. Die moderne Waffentechnik suggerierte, dass sie Zivilisten verschone und allenfalls die „Schuldigen“ treffe. Von den Raketen bis kurz vor dem Einschlag gesendete Videobilder belegten die Taktik und Technik der angeblich „chirurgischen Schläge“. Wacklig-unscharfe Nachtaufnahmen vermittelten den Eindruck, es handele sich eher um ein Computerspiel denn um einen realen Krieg. Das Inferno, die menschlichen Opfer, blieben ausgeblendet.
Die auch im deutschen Fernsehen gezeigten Filmsequenzen des serbischen Fernsehens mit brennenden Wohnhäusern und verkohlten Leichen wirkten dagegen fast irreal, konterkarierten sie doch den „sauberen“ Krieg. Sie wurden jedoch durch die Einblendung „serbisches Fernsehen“ gegenüber den Bildern der NATO eindeutig abgewertet. Wenn deren Bildmaterial verwendet wurde, geschah dies nämlich meist ohne Quellenangabe. Die NATO-Bilder wirkten dementsprechend nicht propagandistisch, sondern „objektiv“.
Schon immer markierten in der Kriegsberichterstattung einzelne „ikonographische“ Bilder das Ganze des Krieges. Authentische Schock-Bilder und Kriegserzählung funktionieren dabei als enge Symbiose: Die Schock-Bilder verleihen der Kriegserzählung Authentizität, und die Kriegserzählung ordnet den Schock-Bildern eine klare diskursive Botschaft zu (Jürgen Link).
Im Kosovo-Krieg war es vor allem Verteidigungsminister Scharping, der den Medienvertretern solche Schock-Fotos als „Beweise“ für die angeblichen Gräueltaten der Serben präsentierte. So versuchte er, dass „Massaker von Racak“ mit Fotos zu belegen, führte angeblich authentische Amateur-Videos aus dem Kosovo vor und hielt sogar bei einer Rede im Bundestag ein „Beweis-Foto“ in die Kameras mit der eindringlichen Schilderung, „die Menschen fressen Gras“ und es gebe „Dutzende solcher Bilder“. Dass auf dem Foto gar nichts zu erkennen war, spielte keine Rolle. Bundeskanzler Schröder sagte dazu später: „Wer das Elend von Flucht und Vertreibung sieht und sehen will, muss nicht auf Belege der Luftaufklärung warten, um klar zu sehen.
Insgesamt präsentierten sich die verantwortlichen Politiker dabei innerlich zerrissen, betroffen und um Fassung ringend und machten sich selbst und die Kriegsentscheidung damit moralisch unangreifbar. Erst lange nach Kriegsbeginn, als die Medien allmählich kritischere Fragen stellten, wankte die Dramatik. Die Kriegserzählung stockte. Doch die Bilder der immer größer werdenden Flüchtlingsströme, die verzweifelten Gesichter, weinenden Frauen und schreienden Kinder, ließen die Kritiker wieder verstummen. Den Opfern durfte man sich schließlich nicht verweigern.
Mit dem Kriegsende wurde die Erzählung dann fernsehgerecht abgeschlossen: Deutsche Soldaten wurden im Kosovo jubelnd begrüßt und erschienen als Befreier. Die hochsymbolischen Bilder ähnelten in frappierender Weise den Bildern der Befreiung der Deutschen im Zweiten Weltkrieg. Doch diesmal stand Deutschland auf der Seite der „Guten“.
Selbstreflexion und Medienkritik in den Medien
Kennzeichnend für die journalistische Selbstreflexion über die Berichterstattung zum Kosovo-Krieg ist, dass sie kaum auf der strukturellen (systemischen), sondern fast ausschließlich auf der individuellen Ebene stattfand. Die Reflexionen reichten von der im Krieg nicht möglichen „wahren“ Berichterstattung über eingeschränkte Berichterstattungsmöglichkeiten und Zensur bis hin zu selbstgesetzten Berichterstattungsgrenzen. Dabei beschrieben sich die Journalisten immer wieder als Streiter gegen Propaganda und Fälschung von allen Seiten und suggerierten damit, nur „die Wahrheit“ zu berichten, wenn sie denn nur könnten.
Auffällig ist, dass die Printmedien vor allem die Berichterstattung des Fernsehens und hier vor allem die Wirkung der Bilder kritisierten und sich damit weitgehend ihrer eigenen Verantwortung entzogen. Die Schwierigkeiten bei der Informationsbeschaffung vor Ort und die propagandistische Einfärbung der Informationen durch die Informationsmanager wurde oft verschwiegen. Fast alle standen anfangs auf der Seite der NATO, verteidigten deren Vorgehen und verbreiteten deren Erfolgsmeldungen. Sie verurteilten Milosevic und sympathisierten mit der UCK. In Russland und China lief es übrigens genau anders herum.
Dies änderte sich erst, als die Erfolgsmeldungen der NATO durch anders lautende Berichte von der gegnerischen Seite konterkariert wurden. Als die NATO rund zwei Wochen nach Kriegsbeginn vermehrt eingestehen musste, auch zivile Opfer getroffen zu haben, wurde in Deutschland erstmals ausführlicher über die Kriegsberichterstattung diskutiert. Immer öfter wiesen die Medien in ihren Berichten nun darauf hin, dass sie auf Quellen angewiesen seien, die den jeweiligen Konfliktparteien und deren Interessen unterstehen. Am weitesten ging dabei die „Frankfurter Rundschau“, die während des gesamten Krieges täglich eine Warnung an ihre Leser druckte mit dem Hinweis, dass man für die Richtigkeit der Kriegsberichte nicht garantieren könne.
Schlussfolgerungen
Auch wenn Kriege als „humanitäre Intervention“ geführt werden, ist nicht zu erwarten, dass die aus „moralischen Gründen“ intervenierende Seite freiwillig auf Kriegspropaganda verzichten wird. Die Zerstörung der Moral des Feindes und die Stärkung des Kampfeswillens der eigenen Seite gehören immer zu den wichtigsten Kriegszielen. Mit Kriegspropaganda können diese Ziele erreicht werden.
Die Journalisten aber sollen den Krieg nicht gewinnen, sondern darüber berichten. Da auch sie nicht über die „Wahrheit“ verfügen und dies auch gar nicht möglich ist, sollten sie immer wieder betonen, wie unsicher die Quellenlage ist, wie widersprüchlich die Informationen sind und wie propagandistisch gefärbt sie sein können. Sie sollten dazu übergehen, die Herkunft ihrer Texte, Töne und Bilder zu bedenken, sie stärker in ihren Kontext zu stellen, sie ihrer Allmacht zu entkleiden und den Rezipienten dabei zu helfen, sie kompetent einordnen zu können. Binäre Schemata sollten durchbrochen und auch irritierende Facetten mit einbezogen werden.
Kriegsberichterstattung sollte dabei nicht in gutmenschlicher Absicht mit „Opferberichterstattung“ verwechselt werden. Der rein emotionalen Darstellung des Schrecklichen fehlt die kritische Distanz und der Aufklärungscharakter. Problematisch ist in diesem Zusammenhang, dass die Medien regelmäßig die Gewalt der einen Seite rechtfertigen und die der anderen denunzieren. Die falsche Form der Moralisierung und Emotionalisierung schürt jedoch Aggressionen, statt einen Beitrag zum Frieden zu leisten.
Weitaus sinnvoller ist dagegen die Aufarbeitung und Darstellung der komplexen Hintergründe eines Konflikts. Vor dieser Folie könnten die aktuellen Geschehnisse besser eingeordnet werden. Und schließlich bleibt die Forderung auch an die Medien, für die Folgen ihres Tuns Verantwortung zu zeigen, damit sie einen Konflikt nicht medial noch anheizen.
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