Die Weimarer Republik

Von Tobias Jaecker, Juni 2002

Gliederung:

1. Ausgangspunkt: Die Kriegsniederlage
2. Revolution und Republikgründung
3. Der Versailler Vertrag
4. Die Republik in der Defensive
5. Das Krisenjahr 1923
6. Deutsche Außenpolitik in der „Ära Stresemann“
7. Die Phase der relativen Stabilisierung
8. Der Beginn der „Ära Hindenburg“
9. Die Konfrontation der Sozialpartner
10. Der Aufstieg des Nationalsozialismus
11. Die Desintegration des politischen Systems
12. Die Verschärfung der Krise
13. Die Kabinette Papen und Schleicher
14. Die „Machtergreifung“ Hitlers
15. Forschungsüberblick und ausgewählte Kontroversen
16. Literatur

1. Ausgangspunkt: Die Kriegsniederlage

Die Weimarer Demokratie entstand im Augenblick der Niederlage Deutschlands im Ersten Weltkrieg. Die militärische Situation der Mittelmächte hatte sich seit Juli/August 1918 rapide verschlechtert. Am 28./29. September leistete die Oberste Heeresleitung (OHL) im Großen Hauptquartier zu Spa den militärischen Offenbarungseid und beschloss, dem amerikanischen Präsidenten Woodrow Wilson ein Waffenstillstands- und Friedensangebot zu unterbreiten. Generalquartiermeister Erich Ludendorff bestand jedoch darauf, zuvor eine neue Reichsregierung unter maßgeblicher Beteiligung des „Interfraktionellen Ausschusses“, also der Reichstagsmehrheit aus SPD, Zentrum und Fortschrittlicher Volkspartei, zu bilden („Parlamentarisierungserlass“ vom 30. September). Dies war verhängnisvoll, weil die Waffenstillstandsverhandlungen dadurch von den eigentlich Verantwortlichen für die Kriegslage auf einen bequemen Sündenbock, das Parlament, übertragen wurden. Die Gesetze zur Änderung der Reichsverfassung traten endgültig am 28. Oktober in Kraft; der Reichskanzler bedurfte fortan des Vertrauens des Reichstags und war dem Reichstag sowie dem Bundesrat verantwortlich.

Bereits am 3. Oktober wurde Prinz Max von Baden zum Reichskanzler ernannt. Noch am selben Tag schickte die Regierung ein Waffenstillstandsangebot an Wilson. Die kriegsmüden Massen waren schlagartig desillusioniert und drängten auf einen sofortigen Frieden. Die Seekriegsleitung wollte jedoch nicht ohne weiteres aufgeben und ordnete ohne Wissen der Reichsleitung einen Flottenvorstoß in die Nordsee an. In Folge dessen kam es am 28. Oktober in Wilhelmshafen zu Befehlsverweigerungen der Matrosen, später auch in Kiel. Die Aufstandsbewegung breitete sich rasch aus, überall im Reich wurden Arbeiter- und Soldatenräte improvisiert. Immer lauter wurde nun auch die Abdankung des Kaisers gefordert, weil man sich dadurch eine Erleichterung der Friedensverhandlungen versprach.

Am 9. November publizierte Reichskanzler v. Baden unauthorisiert die Abdankung des Kaisers und übergab die Regierungsgewalt an Friedrich Ebert, den Führer der Mehrheitssozialdemokratie (MSPD), da dieser im Volk mehr Vertrauen besaß. Um der Wahl einer von den Arbeiter- und Soldatenräten gewählten provisorischen Regierung zuvor zu kommen, suchte Ebert die direkte Verständigung mit der USPD-Führung. Am 10. November wurde dann eine neue Regierung auf paritätischer Grundlage gebildet. Der so genannte „Rat der Volksbeauftragten“ bestand aus Ebert, Philipp Scheidemann und Otto Landsberg (MSPD) sowie Hugo Haase, Wilhelm Dittmann und Emil Barth (USPD). Versuchen der Linksradikalen, auf der Versammlung der Berliner Arbeiter- und Soldatenräte eine Art Gegenregierung zu bilden, konnte die MSPD entgegenwirken. Der dort gewählte „Vollzugsrat“ wurde ebenfalls paritätisch besetzt, bis Ende November konnte der „Rat der Volksbeauftragten“ den Machtkampf zu seinen Gunsten entscheiden.

Unterdessen unterzeichnete eine deutsche Delegation unter Führung des Zentrumspolitikers Matthias Erzberger am 11. November den Waffenstillstand. Die Bedingungen waren weit reichend: Unter anderem Räumung aller besetzten Gebiete und des gesamten linken Rheinufers, Auslieferung eines großen Teils des Kriegsmaterials und Rückführung der alliierten Kriegsgefangenen. Genaueres sollte auf einer Friedenskonferenz verhandelt werden.

2. Revolution und Republikgründung

Die Regierung Ebert wollte möglichst ohne tiefgreifende Erschütterungen zum Frieden kommen und versicherte sich daher der Unterstützung der alten Eliten. Am 10. November 1918 schloss Ebert eine Übereinkunft mit dem neuen Chef der OHL Wilhelm Groener, der seine Loyalität gegenüber der Regierung erklärte und von der Regierung im Gegenzug verlangte, Unterstützung bei der Disziplinierung der Truppe zu bekommen. Auch im Wirtschaftsbereich wurde am 15. November mit dem „Zentralarbeitsgemeinschafts“-Abkommen zwischen Unternehmern und Gewerkschaften frühzeitig ein Kompromiss geschlossen. Die Unternehmer erkannten darin die Gewerkschaften erstmals als „berufene Vertretung der Arbeiterschaft“ und als Partner für den Abschluss kollektiver Tarifverträge an, der Acht-Stunden-Tag wurde eingeführt und in den größeren Betrieben wurden Arbeiterausschüsse eingesetzt. Die Gewerkschaften, die Ende 1918 über 2,8 Mio. Mitglieder verfügten (ein Jahr später waren es bereits 7,3 Mio.), verzichteten im Gegensatz auf die bisher geforderte Sozialisierung von Großbetrieben. Wirtschaft bzw. Großindustrie gelang es durch die Zugeständnisse in der Sozialpolitik frühzeitig, ihre Einflusssphäre abzusichern und auszubauen.

Alle politisch relevanten Kräfte traten nun für die Einberufung einer Nationalversammlung ein: Bürgertum, SPD, Gewerkschaften, die Mehrheit der USPD, die meisten Arbeiterräte und Soldatenräte. Am 29. November wurde ein diesbezügliches Gesetz verabschiedet, in dem ein striktes Verhältniswahlsystem festgeschrieben wurde sowie das aktive und passive Wahlrecht für Frauen. Der Rätekongress am 16.-20. Dezember 1918 in Berlin entschied sich für den 19. Januar 1919 als Wahltermin. Der Antrag, am Rätesystem festzuhalten, wurde zwar abgelehnt. Die Regierung wurde jedoch beauftragt, mit der Sozialisierung „aller hierzu reifen Industrien“ zu beginnen und eine umfassende „Demokratisierung“ v.a. des Heeres, der Verwaltung und der Wirtschaft durchzuführen. Unterdessen verschärften sich die Konflikte in der Regierung. Wegen des Truppeneinsatzes bei weihnachtlichen Kämpfen in Berlin traten die USPD-Vertreter am 28. Dezember 1918 aus dem „Rat der Volksbeauftragten“ aus, dort wurden sie durch Gustav Noske und Rudolf Wissell (beide MSPD) ersetzt.

In der USPD verloren die gemäßigten Kräfte immer mehr an Einfluss. Der Spartakusbund spaltete sich ab und schloss sich am 1. Januar 1919 mit den „Bremer Linksradikalen“ zur KPD zusammen. Der so genannte „Januaraufstand“ in Berlin, der miserabel organisiert war und auf keinem klaren strategischen Konzept fußte, endete mit der blutigen Niederwerfung durch von der Regierung eingesetzte Freikorps und der Ermordung von Karl Liebknecht und Rosa Luxemburg. Die USPD radikalisierte sich weiter, die SPD hingegen kooperierte immer offener und enger mit Offizierskorps und hoher Bürokratie. Die unruhige Situation dauerte bis April/Mai an. Den großen Streikaktionen und Besetzungen sowie den kurzlebigen Räterepubliken (Bremen, München) wurde überall durch den massiven Einsatz von Freikorpsformationen der Garaus gemacht. Die revolutionäre Massenbewegung war gescheitert.

Bei den Wahlen zur Nationalversammlung erhielt die SPD 37,9%, die USPD 7,6%, das Zentrum 19,7%, die DDP 18,5%, die DNVP 10,3% und die DVP 4,4%. Die Parteien der späteren „Weimarer Koalition“ (SPD, Zentrum und Demokraten) verfügten über eine hohe Mehrheit, sie waren nun in der Lage, der Verfassung ihr Gesicht zu geben. Die Grundstruktur des Verfassungsbaus war jedoch schon vor den eigentlichen Verfassungsberatungen vorgeprägt. In dem „Gesetz über die vorläufige Reichsgewalt“, dass von der Regierung und Vertretern der Einzelstaaten ausgearbeitet worden war und von der Nationalversammlung am 10. Februar 1919 ohne Grundsatzdebatte verabschiedet wurde, war festgeschrieben, dass die Nationalversammlung neben der Verfassungsausarbeitung zunächst auch die dringendsten Gesetze beschließen sollte. Ferner war mit dem „Staatenausschuss“ bereits der spätere „Reichsrat“ vorgeformt, und die Führung der „Geschäfte des Reichs“ sollte ein von der Nationalver-sammlung zu wählender Reichspräsident übernehmen, der eine Regierung berufen sollte. Die Nationalversammlung wählte am 11. Februar 1919 Friedrich Ebert zum Reichspräsidenten, der am 13. Februar ein von der „Weimarer Koalition“ getragenes neues Reichskabinett unter der Führung Philipp Scheidemann berief.

Die „Weimarer Verfassung“ trat am 11. August 1919 in Kraft. Zum zentralen Organ der Reichsgewalt in der neuen parlamentarischen Republik wurde der Reichstag, der Gesetze erlassen und die Exekutive kontrollieren sollte. Die Reichsregierung wiederum war vom Vertrauen des Reichstags abhängig. Der Reichspräsident erhielt weitreichende Befugnisse: Er sollte vom Volk direkt und für die Dauer von sieben Jahren gewählt werden. Er sollte die Reichsregierung berufen und entlassen, konnte den Reichstag auflösen und durch Anordnung eines Volksentscheids in das Gesetzgebungsverfahren eingreifen. Ferner konnte er mit dem Art. 48 über den Ausnahmezustand verfügen. Auf Druck der Liberalen hatte die Verfassung zudem einen weit gefassten Grundrechtsteil bekommen, in dem alle möglichen gesellschaftlichen Gruppen ihre Forderungen untergebracht hatten. Das Zentrum konnte zum Beispiel zahlreiche Artikel über Kirche und Schule durchsetzen, die Arbeiterschaft konnte die Möglichkeit einer Überführung von Unternehmen in Gemeineigentum verankern. Insgesamt war der Staat von Weimar ein fragiles Gebilde geworden: Die Linke war mit dem Erreichten unzufrieden, die Rechte trauerte der heilen Welt des Kaiserreichs nach und wollte die Demokratie am liebsten wieder abschaffen.

3. Der Versailler Vertrag

Als schwere Hypothek erwies sich zudem die Niederlage des Weltkriegs, aus der die Hypothek eines Friedensvertrags mit erdrückenden Bestimmungen erwachsen sollte. An der am 18. Januar 1919 in Paris beginnenden Friedenskonferenz nahmen 32 Staaten teil. Die tausendköpfige Vollversammlung trat nur selten zusammen, die wichtigsten Entscheidungen wurden im „Rat der Vier“, der Regierungschefs Wilson (USA), Clemenceau (Frankreich), Lloyd George (Großbritannien) und Orlando (Italien), getroffen. Zwischen den Verbündeten kam es wiederholt zu heftigen Auseinandersetzungen. Für Wilson lag die Priorität bei der Schaffung eines Völkerbundes als „Schlüssel des ganzen Friedens“, damit konnte er sich auch durchsetzen. Die Franzosen wollten das Deutsche Reich dauerhaft schwächen und ein französisches Hegemonialsystem in Europa errichten, die Engländer wiederum hatten Interesse an einem stärkeren europäischen Gleichgewicht.

Die Beratungen waren streng geheim. Erst am 7. Mai 1919 wurde der deutschen Delegation unter Führung des Grafen Brockdorff-Rantzau das fertige Vertragsstück überreicht. Deutschland sollte an seinen Grenzen, vor allem im Westen und Osten, insgesamt etwa 1/8 seines Gebiets abtreten, darunter Elsaß-Lothringen und Eupen-Malmedy, fast ganz Westpreußen, die Provinz Posen, Teile Pommerns sowie das Hultschiner Ländchen. Danzig erhielt den Status einer Freien Stadt, das Memelland wurde unter alliierte Verwaltung gestellt. Für Oberschlesien, das südliche Ostpreußen, Westpreußen östlich der Weichsel und Schleswig waren Volksabstimmungen vorgesehen, die später zur Teilung Oberschlesiens und zur Abtretung Nordschleswigs führten. Das Saarland wurde für 15 Jahre vom Völkerbund verwaltet. Der Anschluss Österreichs an das Deutsche Reich wurde untersagt. Sämtliche Kolonien mussten abgetreten werden. Daneben gab es umfangreiche Entwaffnungsbestimmungen. Das Heer wurde auf 100.000, die Marine auf 15.000 Mann mit geringem Schiffsbestand reduziert. Schwere Artillerie, Panzer und Luftwaffe wurden verboten. Außerdem wurde die Auslieferung Wilhelms II. gefordert. Die deutschen Reparationszahlungen, über deren Höhe und Laufzeit später entschieden werden sollte, wurden mit der in Art. 231 genannten deutschen Alleinschuld („Kriegsschuldartikel“) am Ersten Weltkrieg begründet.

Die Bekanntgabe der Bedingungen rief in Deutschland über alle Parteigrenzen hinweg helle Empörung hervor. Die deutsche Delegation bemühte sich um eine Revision des Vertragswerks, v.a. verwies man auf den Notenwechsel mit Wilson als bindenden Vorvertrag und zweifelte die Kriegsschuldthese an. Die Siegerkoalition beharrte jedoch auf ihren Vorschlägen und drohte ultimativ mit der militärischen Besetzung Deutschlands. Das Kabinett Scheidemann sah sich zur Unterzeichnung jedoch nicht in der Lage und trat am 20. Juni 1919 zurück. Im neuen Kabinett unter Reichskanzler Gustav Bauer und Außenminister Hermann Müller (beide SPD) drängte vor allem Finanzminister Matthias Erzberger auf die unbedingte Annahme des Vertrags. Am 28. Juni 1919 unterzeichneten schließlich Müller und Verkehrsminister Johannes Bell (Zentrum) den Vertrag im Spiegelsaal von Versailles. Obwohl sich alle Parteien in der Nationalversammlung zuvor gegenseitig ehrenhafte Motive für ihre Einstellung zu dieser Entscheidung zugebilligt hatten, wurde die Annahme des Versailler Vertrags bald von der politischen Rechten den Parteien der „Weimarer Koalition“ als Verrat angelastet. Dabei hätte es auch durchaus schlimmer kommen können: Das Deutsche Reich blieb in seinem Gefüge weitgehend erhalten und konnte sich neben dem abgedrängten Russland mittelfristig durchaus wieder zu einer europäischen Großmacht entwickeln.

4. Die Republik in der Defensive

Auf der Rechten wie auf der Linken formierten sich nun die Gegner des „Systems“, die die Verfassungsordnung der parlamentarischen Demokratie grundsätzlich ablehnten. Ab dem Herbst 1919 nahm die Agitations- und Versammlungstätigkeit rapide zu. Die „Dolchstoß-Legende“, nach der die Heimat und insbesondere politische Linkskreise der kämpfenden Front in den Rücken gefallen seien und daher die militärische Niederlage und den „Schmachfrieden“ zu verantworten hätten, wurde zur tragenden Säule der konservativ-nationalistischen Rechtfertigungs- und Kampfideologie. Im Zentrum der Angriffe stand Matthias Erzberger, der „heimliche Kanzler“. Die Weimarer Justiz war nicht in der Lage, der Agitation Einhalt zu gebieten. Im Gegenteil: Viele Richter bezweifelten die Legitimität der neuen Ordnung und waren „auf dem rechten Auge blind“. Im Beleidigungsprozess Erzbergers gegen DNVP-Führer Helfferich zum Beispiel wurde Helfferich, der Erzberger „unsaubere Vermischung politischer Tätigkeit und eigener Geldinteressen“ vorgeworfen hatte, am 12. März 1920 lediglich wegen formaler Beleidigung zu einer geringen Geldstrafe verurteilt, in der Sache jedoch bestätigt.

Durch die Heeresverkleinerung verschärfte sich der öffentliche Stimmungswandel noch mehr. Von den Entlassungen waren in erster Linie Freikorps betroffen, die sich nun von der republikanischen Regierung, die sie ohnehin verachteten, verraten fühlten. Am 13. März 1920 besetzte die wenige Tage zuvor aufgelöste Marinebrigade Ehrhardt unter General von Lüttwitz in Absprache mit einer Gruppe von Rechtsextremisten um General Ludendorff und den ostpreußischen Generallandschaftsdirektor Wolfgang Kapp das Berliner Regierungsviertel. Kapp wurde zum neuen Reichskanzler ausgerufen. In der Reichswehrführung plädierte nur der Chef der Heeresleitung General Walther Reinhardt für den bewaffneten Widerstand gegen die Putschaktion. Der Chef des Truppenamtes General Hans von Seeckt war entschieden dagegen. Da Reichswehrminister Noske in Berlin keine militärischen Kräfte zur Verfügung standen, floh die Reichsregierung unter Kanzler Bauer nach Stuttgart, von wo aus sie zum Widerstand gegen die Putschisten und, im Verein mit den Gewerkschaften, zum Generalstreik aufrief. Nach vier Tagen war der Putsch gescheitert, nicht zuletzt deshalb, weil Ministerialbürokratie und Reichswehrführung den Gehorsam verweigerten. Die Putschisten flüchteten ins Ausland. Noske musste zurücktreten, weitere einschneidende Konsequenzen wurden nicht gezogen. Neuer Reichswehrminister wurde Otto Geßler (DDP), neuer Chef der Heeresleitung Hans von Seeckt. Unter Seeckt wurde die Reichswehr zu einem „Staat im Staate“, abgeschottet von parlamentarischer Kontrolle und lediglich einem abstrakten Staatsgedanken verpflichtet. Die zweifelhaft loyalen Reichswehrtruppen wurden noch im März/April gegen aufständische Arbeiter in Sachsen und Thüringen eingesetzt. Auch die „rote Armee“ aus sozialistischen Arbeitern, die sich im Ruhgebiet gebildet hatte, wurde von Regierungstruppen niedergeschlagen. In Bayern, wo die Führung des Reichswehrgruppenkommandos mit den Kapp-Putschisten sympathisiert hatte, wurde derweil die Koalitionsregierung unter Hoffmann (SPD) gestürzt und eine stramm rechte Regierung gebildet, die aus Bayern eine „Ordnungszelle“ des Reichs machen wollte. Das Land wurde zu einem Eldorado für rechtsextremistische Organisationen und Persönlichkeiten.

Bei den vorgezogenen Reichstagswahlen am 6. Juni 1920 erlitten die Parteien der „Weimarer Koalition“ eine Niederlage, die auch in den folgenden Jahren nicht mehr rückgängig gemacht werden konnte. SPD, Zentrum und DDP hatten jetzt nur noch 44,6% der Sitze. DNVP, DVP und USPD konnten dagegen hinzugewinnen. Die Kabinettsbildung gestaltete sich schwierig. Die SPD wollte nicht mehr regieren, fand sich jedoch schließlich zur Tolerierung eines von Konstantin Fehrenbach geführten bürgerlichen Minderheitskabinetts aus Zentrum, DDP sowie der nationalliberalen DVP bereit. Die radikale Linke sortierte sich derweil neu. In der USPD, die sich bereits auf ihrem Parteitag Ende 1919 radikalisiert und damit endgültig von der SPD abgewandt hatte, wurden die Konflikte immer größer. Der linke Flügel wünschte den Anschluss an die 1919 gegründete Kommunistische Internationale, der rechte Flügel lehnte das ab. Am 16. Oktober 1920 beschloss die 900.000 Mitglieder starke USPD auf ihrem Parteitag in Halle die endgültige Spaltung. Der linke Flügel schloss sich der KPD an und verschaffte ihr so eine Massenbasis, der rechte Flügel näherte sich der SPD an und schloss sich endgültig im September 1922 mit ihr zusammen.

Unterdessen verlagerte sich die politische Krisenlage von der Innen- zur Außenpolitik. Hier ging es an erster Stelle um die noch offene Reparationsfrage. Die Interalliierte Konferenz in Paris legte die deutsche Gesamtschuld im April 1921 endgültig auf 132 Milliarden Goldmark fest, in die Berechnung waren sämtliche Kriegsschäden einschließlich der Rentenzahlungen an alle alliierten Kriegsteilnehmer eingegangen. Nach dem „Londoner Zahlungsplan“ sollten bis zur endültigen Tilgung der Schuld jährlich 2 Milliarden Goldmark sowie 26% des Werts der deutschen Ausfuhr (ca. 1 Milliarde) gezahlt werden. Das Kabinett Fehrenbach lehnte ab und trat zurück. Am 10. Mai wurde von den Parteien der „Weimarer Koalition“ ein neues Kabinett unter Reichskanzler Joseph Wirth und Wiederaufbauminister (ab Januar 1922 Außenminister) Walther Rathenau gebildet. Der Reichstag plädierte nun für die Annahme der alliierten Reparationsforderungen. Die Revision der Reparationsforderungen konnte jetzt nur noch durch eine strikte „Erfüllungspolitik“ und den Nachweis der deutschen Zahlungsunfähigkeit gelingen.

Ein erster Schritt auf dem Weg zu einer neuen eigenständigen Außenpolitik gelang der deutschen Regierung am 16. April 1922 mit dem Vertrag von Rapallo am Rande einer Konferenz zum Wiederaufbau Mittel- und Osteuropas in Genua. Der Vertrag zwischen Deutschland und der Sowjetunion erhielt nicht mehr als den gegenseitigen Verzicht auf den Ersatz von Kriegsschäden sowie die Aufnahme von Handelsbeziehungen. Die von der Reichsregierung und vom Chef der Heeresleitung Seeckt angestrebte Revision der Ostgrenze konnte nicht verwirklicht werden, doch England und vor allem Frankreich fühlten sich brüskiert.

Innenpolitisch blieb die Republik durch einen militanten Rechts- und Linksradikalismus bedroht. Mit der „Märzaktion“ im Frühjahr 1921 entfesselte die KPD-Führung im mitteldeutschen Industriegebiet Merseburg-Halle-Mansfeld einen Aufstand, der den revolutionären Frontalangriff einleiten sollte. Der Aufstand wurde jedoch innerhalb weniger Tage von der preußischen Polizei niedergeworfen. Weitaus gefährlicher war die Formierung der militanten Rechtskräfte in „Vaterländischen Verbänden“ und Geheimbünden. Vermehrt waren politische Morde zu verzeichnen, unter anderem an USPD-Führer Karl Gareis am 9. Juni 1921, Matthias Erzberger am 26. August 1921 und Walther Rathenau am 24. Juni 1922. Letzterer wurde von Mitgliedern der „Organisation Consul“ erschossen. Die Öffentlichkeit war geschockt. Das daraufhin beschlossene „Gesetz zum Schutz der Republik“, das Mordverschwörungen unter Strafe stellte und ein Verbot extremistischer Organisationen ermöglichte, wurde jedoch von der Justiz vor allem gegen die Kommunisten angewendet.

5. Das Krisenjahr 1923

Im November 1922 stürzte das Kabinett Wirth. Da sich die SPD einer Großen Koalition verweigerte, wurde am 22. November ein rechtsbürgerliches Kabinett unter dem parteilosen, aber der DVP zugerechneten Hapag-Direktor Wilhelm Cuno gebildet. Immer offener wurde nun die Abkehr von der „Erfüllungspolitik“ vollzogen. Die Regierung hatte bereits im Juli 1922 die Aussetzung der für das Jahr fälligen Restzahlungen gefordert und mitgeteilt, dass sie in den kommenden beiden Jahre keine Barzahlungen leisten könne. Im November forderte sie die Befreiung von sämtlichen Versailler Lasten als Voraussetzung einer Währungssanierung. Ende Dezember 1922 stellte die Reparationskommission einen deutschen Rückstand bei den Holz- und Kohlelieferungen fest und erblickte darin einen vorsätzlichen Bruch der Reparationsverpflichtungen. Die französische Regierung unter Poincaré, die eine strikt revisionistische Politik verfolgte und die deutsche Grenze an den Rhein zurückdrängen wollte, unternahm daraufhin am 11. Januar 1923 mit belgischer und italienischer Unterstützung einen Vorstoß ins Ruhrgebiet, um die Kontrolle über das Kohlesyndikat zu erhalten. Das Ruhrgebiet wurde von zunächst 60.000, später 100.000 Mann besetzt.

In Deutschland rief dieser Akt einen Aufschrei nationaler Empörung hervor. Die Reichsregierung unterbrach sämtliche Reparationsleistungen an Frankreich und Belgien und rief die Bevölkerung des Ruhrgebiets zu „passivem Widerstand“ auf. Tatsächlich kostete die Ruhrbesatzung Frankreich mehr, als sie einbrachte, da die Kohleförderung schlagartig zurückging. Für Deutschland waren die Kosten jedoch weitaus höher. Das Reich unterstützte die Millionenbevölkerung des Ruhrgebiets durch Geldzahlungen und Sachleistungen in Milliardenhöhe, während Steuererträge ausblieben. Außerdem musste der niedrige deutsche Devisenvorrat für Kohlekäufe im Ausland verwendet werden. Die Reichsregierung verzichtete jedoch auf Steuererhöhungen, sie ließ der Inflation freien Lauf.

Diese war im Grunde bereits mit dem Ersten Weltkrieg in Gang gesetzt worden. Durch Kriegsanleihen, langfristige Verschuldung und eine Erhöhung der schwebenden Schuld (erhöhter Papiergeldumlauf) lag die Staatsschuld 1919 bereits bei 144 Milliarden. Die wirt-schaftlichen und sozialen Folgelasten des Krieges (Teuerungszulagen, Kriegsopferversorgung, Erwerbslosenunterstützung, Zinsen für Kriegsanleihen) brachten den Reichshaushalt weiter aus dem Gleichgewicht, bis zum Dezember 1922 wuchs das Reichsdefizit auf 469 Milliarden an. Die Regierung ergriff auch deshalb keine Gegenmaßnahmen, um den Alliierten die Zahlungs- und Leistungsunfähigkeit Deutschlands zu demonstrieren. Im April 1923 konnte der Finanzbedarf nur noch zu 1/7 aus den regulären Einnahmen gedeckt werden, den Rest erledigte die Notenpresse. Die Inflation wurde unbeherrschbar. Deutschland trat in die traumatisierende Periode der „Hyperinflation“ ein, in der Gehaltszahlungen sofort in Waren umgesetzt werden mussten, weil das Geld innerhalb weniger Stunden nichts mehr wert war. Anfang August 1923 betrug das Tauschverhältnis Mark-Dollar 1 Mio. zu 1.

Nach der Aufgabe des Kabinetts Cuno trat am 13. August der DVP-Vorsitzende Gustav Stresemann als Kanzler eines Kabinetts der Großen Koalition von SPD bis DVP an, um die katastrophale Lage zu meistern – mit Erfolg. Am 26. September gab die Reichsregierung den Abbruch des passiven Widerstands an der Ruhr bekannt, im Oktober erging an die Reparationskommission der Antrag, die wirtschaftliche Lage Deutschlands zu untersuchen. Im November 1923 wurde die Währung mit der Schaffung der „Rentenmark“ saniert und damit eine Basis für konstruktive Verhandlungen über die Reparationsfrage geschaffen.

Unterdessen war es im Oktober/November im Rheinland und in der Pfalz zu separatistischen Bestrebungen gekommen, während in Sachsen und Thüringen „Volksfront“-Regierungen aus SPD und KPD mit der Aufstellung „proletarischer Hundertschaften“ begannen, um einen „deutschen Oktober“ zu entfesseln. Die Reichsregierung verhängte jedoch am 26. September den Ausnahmezustand über das gesamte Reich und leitete die Reichsexekution gegen Sachsen ein. Reichswehrtruppen marschierten ein, und am 29. Oktober wurde die Landesregierung des Amtes enthoben und durch einen Reichskommissar ersetzt. In Thüringen gab die Regierung von alleine auf. Auch die KPD-Führung hatte sich zwischenzeitlich zum Rückzug entschlossen und blies die geplanten Aktionen ab. Nur in Hamburg kam es in Folge einer fehlerhaften Nachrichtenübermittlung vom 24.-26. Oktober zum völlig aussichtslosen Kampf einiger weniger Kommunisten gegen die Polizei.

Eine wesentlich weniger energische Haltung legten Reichsregierung und Reichswehrführung gegenüber Bayern an den Tag. Die dortige rechtorientierte Regierung stand unter dem Druck von völkischen, nationalistischen und paramilitärischen Gruppen, die als „Vereinigte Vaterländische Verbände“ unter der Schirmherrschaft Ludendorffs einen „Marsch auf Berlin“ planten, um die nationale Diktatur zu errichten. Nachdem die Regierung den Ausnahmezustand ausgerufen und Gustav Ritter von Kahr zum Generalstaatskommissar berufen hatte, verweigerte die Reichswehr-Division unter General von Lossow offen die Befehle der Reichsregierung. Da der Chef der Heeresleitung v. Seeckt die von Ebert gewünscht Reichsexekution gegen Bayern für unmöglich erklärte, trat die SPD am 3. November aus der Großen Koalition aus. Kahr und Lossow zeigten sich unterdessen gegenüber einem „selbständigen Losschlagen“ reserviert, während die Führer der rechtsextremistischen Organisationen, vor allem Ludendorff und Adolf Hitler mit seiner Nationalsozialistischen Deutschen Arbeiterpartei (NSDAP) die sofortige „nationale Erhebung“ erzwingen wollte. Hitler manövrierte seine Verbündeten aus und funktionierte eine Versammlung im Münchener Bürgerbräukeller zum Auftakt eines Staatsstreichs um. Er drang mit bewaffneten SA-Leuten in den Saal ein und nötigte Kahr, Lossow und den Kommandeur der bayerischen Polizei, Hans von Seisser, zur Zustimmung der Proklamierung einer provisorischen Reichsregierung Ludendorff-Hitler-Lossow-Seisser. Diese entschlossen sich jedoch noch in der Nacht zur Niederwerfung des Aufstands und stoppten den Demonstrationszug, der am 9. November 1923 mit Hitler und Ludendorff an der Spitze durch die Münchener Innenstadt zog, an der Feldherrnhalle mit Polizeigewalt. Die bayerische Reichswehrdivision unterstellte sich wieder dem Chef der Heeresleitung v. Seeckt, der im Namen der Reichsregierung und gedeckt durch eine Notverordnung des Reichspräsidenten die vollziehende Gewalt in Deutschland übernommen hatte.

Damit war der Höhepunkt der inneren Krisensituation in Deutschland überschritten. Von Seeckt scheute vor der Diktatur zurück, die NSDAP und andere rechtsextremistische Organisationen sowie die KPD wurden verboten. Die äußere Linke war nachhaltig geschwächt, die KPD blieb bis 1930 keine wirklich entscheidende Kraft. Die Rechte war jedoch nur bedingt abgeschlagen und jederzeit wieder reaktivierbar.

6. Die deutsche Außenpolitik in der „Ära Stresemann“

In den Krisen des Herbstes 1923 hatte sich die Gemeinsamkeit der Parteien der Großen Koalition aufgebraucht. Am 23. Novomber stürzte Stresemann über ein parlamentarisches Misstrauensvotum, er blieb jedoch bis zu seinem Tode am 3. Oktober 1929 Außenminister, und als solcher begann er nun eine Serie außenpolitischer Erfolge einzuleiten. Stresemann betrieb eine „nationale Revisionspolitik als internationale Versöhnungspolitik“ (Karl Dietrich Erdmann) und intensivierte gezielt die deutsch-französische Zusammenarbeit, um langfristig dem Ziel einer Revision der Ostgrenze näher zu kommen. Als erstes Ergebnis des Umschwungs in der „Ära Stresemann“ einigten sich England, Italien und die USA Ende Oktober 1923 auf die Ermittlung der Zahlungsfähigkeit Deutschlands im Rahmen des Versailler Vertrags. Eine unabhängige Expertenkommission unter dem amerikanischen Bankier Charles G. Dawes legte am 9. April 1924 den nach ihm benannten Dawes-Plan vor. Dieser regelte die Höhe, Zusammensetzung und Sicherung der jährlichen Zahlungen Deutschlands für die kommenden Jahre und erkannte die Notwendigkeit einer Erholungspause für die deutsche Wirtschaft an, zu deren Wiederbelebung eine internationale Anleihe in Höhe von 800 Millionen Goldmark beigesteuert wurde. Die vollen Annuitäten in Höhe von jährlich 2,5 Milliarden Mark sollten erst wieder 1928/29 beginnen. Am 16.7.-16.8.1924 wurde der Dawes-Plan in London bestätigt. In der Folge räumte Frankreich Offenburg und Dortmund und stellte den Rückzug seiner Truppen aus dem Ruhrgebiet innerhalb eines Jahres in Aussicht.

Auf der Konferenz von Locarno am 5.-16. Oktober 1925 durchbrach Deutschland endgültig seine internationale Isolierung. Deutschland, Frankreich und Belgien erklärten vertraglich ihren Verzicht auf eine gewaltsame Veränderung der bestehenden Grenzen, wofür England und Italien bürgen sollten. Deutschland schloss Schiedsverträge mit Frankreich, Belgien, Polen und der Tschechoslowakei, wobei die Verträge mit letzteren beiden von niemandem garantiert wurden. Deutschland erkannte also die Westgrenze an, behielt sich aber ausdrücklich seinen Anspruch auf Revision der Ostgrenze vor. Im „Berliner Vertrag“ vom 24. April 1926, einem deutsch-russischen Freundschaftsvertrag, sicherten sich Deutschland und die Sowjetunion im Falle eines Krieges die Neutralität zu. Am 10. September 1926 konnte Deutschland mit dem Eintritt in den Völkerbund einen weiteren wichtigen Schritt in Richtung zu mehr außenpolitischer Handlungsfreiheit vollziehen.

Als Folge von Locarno wurde 1925 die erste Zone des Rheinlands geräumt. Deutschland und Frankreich näherten sich in verschiedenen Verträgen zumindest auf wirtschaftlichem Gebiet an (1926 deutsch-französisches Kaliabkommen und Aluminiumkartell, Abkommen über die internationale Rohrstahlgemeinschaft Frankreich-Deutschland-Belgien-Luxemburg, deutsch-französischer Handelsvertrag 1927). Der Versuch einer zwischen Stresemann und dem französischen Außeniminster Aristide Briand am 17. September 1926 verhandelten deutsch-französischen „Gesamtlösung“ scheiterte aber am innerfranzösischen Widerstand gegen eine schnelle Rheinlandräumung und an den Bedenken der amerikanischen Banken gegenüber einer Kommerzialisierung der Dawes-Obligationen.

1928/29 begann für Deutschland die Phase der hohen „Normal“-Annuitäten. Deutschland forderte auf der Genfer Völkerbundtagung im September 1928 eine vorzeitige Rheinlandräumung ohne Gegenleistungen, Frankreich und England wollten jedoch ein Junktim mit der endgültigen Regelung der Reparationsfrage und setzten im Januar eine unabhängige Kommission von Finanzsachverständigen ein. Der am 6.-31. August 1929 auf einer Konferenz in Den Haag verabschiedete Young-Plan legte die Reparationssumme endgültig auf 112 Milliarden fest, zahlbar über einen Zeitraum von 59 Jahren. Alliierte Kontrollen sollte es nicht mehr geben, das Rheinland sollte bereits bis zum 30. Juni 1930 komplett geräumt werden. Die nationalistische Rechte bekämpfte den Young-Plan in Deutschland mit einer groß angelegten Kampagne, der Reichstag nahm den Plan jedoch an.

7. Die Phase der relativen Stabilisierung

In den Jahren 1924-1929/30 trat die Weimarer Republik in eine Phase der „relativen Stabilisierung“. Neben die Erfolge in der Außenpolitik (die von den meisten Deutschen nicht anerkannt wurden) trat ein begrenzter wirtschaftlicher Aufschwung. Außerdem erlebte die Republik in den Jahren der „klassischen Moderne“ eine kulturelle Blütezeit. Der Durchbruch der Demokratie, aber auch technischer Fortschritt und nicht zuletzt starke amerikanische Impulse machten die zwanziger Jahre zu einer Zeit der kulturellen Umbrüche. Nachdem der Expressionismus 1923 zu Ende ging, kennzeichnete die „Neue Sachlichkeit“ die Epoche. Avantgardistische und traditionalistische Strömungen, proletarisch-revolutionäre, linkliberale, konservative und völkische Richtungen existierten in einer großen Vielfalt nebeneinander. Publizistik, Malerei, Architektur, Theater und Kabarett erlebten eine Blütezeit, Film und Rundfunk etablierten sich. Den Mittelpunkt des kulturellen Lebens bildete dabei Berlin, wo Politik und Kunst wie nirgendwo sonst aufeinander trafen.

Die „Weimarer Koalition“ verfügte schon seit 1920 über keine Mehrheit mehr, es waren also nur noch folgende drei Koalitionen möglich: ein Bürgerblock aus Zentrum, DVP, DNVP mit Übereinstimmung in der Innen- und Dissens in der Außenpolitik, eine „Große Koalition“ von SPD bis DVP mit Konsens in der Außen- und Dissens in der Innenpolitik sowie Minderheitskabinette der bürgerlichen Mittelparteien, die auf Tolerierung von rechts oder links angewiesen waren. Nach dem Sturz Stresemanns als Reichskanzler hatte zunächst ein bürgerliches Minderheitskabinett unter Wilhelm Marx (Zentrum) mit Hilfe eines befristeten Ermächtigungsgesetzes weiterregiert. Nachdem der Reichstag im März 1924 die Verlängerung des Ermächtigungsgesetzes abgelehnt hatte, wurden für den 4. Mai Neuwahlen anberaumt. Bis auf das Zentrum verloren alle Regierungsparteien Stimmen, Gewinne gab es für die Deutschvölkische Freiheitspartei, KPD und vor allem DNVP, die nun mit 105 Abgeordneten die stärkste Reichstags-Fraktion stellte. Die Koalitionsverhandlungen gestalteten sich schwierig. Der größte Streitpunkt war der Umgang mit dem Dawes-Plan, den die DNVP im Wahlkampf vehement bekämpft hatte und über den das Parlament im Sommer zu entscheiden hatte. Bei der Schlussabstimmung am 29. August 1924 stimmte schließlich die Hälfte der DNVP-Fraktion überraschend zu. Doch die Koalitionsverhandlungen blieben ohne Ergebnis und endeten mit der erneuten Auflösung des Reichstags.

Bei den Reichstagswahlen am 7. Dezember 1924 konnten sich die Mittelparteien verbessern (SPD 26%, DDP 6,3%, Zentrum 13,6%, BVP 3,7%, DVP 10,1%), die KPD erhielt 9%, die DNVP 20,5% und die NSDAP sowie die Wirtschaftspartei 3% bzw. 3,3%. Die DVP entschied sich gegen eine Große Koalition und legte sich auf eine rechtsbürgerliche Koalition aus Zentrum, BVP, DVP und DNVP fest. Reichskanzler wurde der bisherige Finanzminister Hans Luther (parteilos, für die DVP). Der Bürgerblock scheiterte jedoch bereits am Streit um die Locarno-Verträge, welche die DNVP ablehnte. Nachdem die DNVP-Minister im Oktober 1925 ihren Rücktritt erklärt hatten, nahm der Reichstag die Verträge Ende November mit den Stimmen der restlichen Koalitionsparteien sowie SPD und DDP an. Nach der Unterzeichnung der Verträge am 1. Dezember in London trat das Rumpfkabinett zurück. Die SPD musste sich nun für oder gegen eine Regierungsbeteiligung entscheiden. Vor allem der preußische Ministerpräsident Otto Braun beschwor seine Partei, „Mut zur Verantwortung“ aufzubringen. Die SPD wählte jedoch den Weg der „Selbstausschaltung“ (Michael Stürmer) und ging in die Opposition. Bei der Bildung des neuen bürgerlichen Regierungskabinetts aus Zentrum, DDP und DVP unter Luther hatte nicht zuletzt das Reichspräsidenten-Büro von Paul von Hindenburg seine Finger im Spiel.

8. Der Beginn der „Ära Hindenburg“

Zur Wahl Hindenburgs war es gekommen, nachdem Friedrich Ebert Ende Februar 1925 gestorben war. Nachdem der Kanidat von DVP und DNVP, Karl Jarres, im ersten Wahlgang am 29. März vor Otto Braun (SPD) und Wilhelm Marx (Zentrum) die meisten Stimmen erhalten hatte, einigte sich ein „Volksblock“ aus Zentrum, SPD und DDP für den zweiten Wahlgang auf Marx als gemeinsamen Kandidaten. Die Rechte war alarmiert, stellte dann jedoch als vereinigter „Reichsblock“ den 78-jährigen und in der Bevölkerung hoch angesehenen Generalfeldmarschall Paul von Hindenburg zur Wahl auf. Hindenburg gewann am 26. April mit 14,6 Mio. Stimmen knapp vor Marx. Zu seinem Erfolg hatte nicht zuletzt die überraschende Unterstützung durch die BVP beigetragen sowie die Tatsache, dass die KPD auch im zweiten Wahlgang nicht auf ihren Kandidaten Thälmann (1,9 Mio. Stimmen) verzichten wollte. Hindenburg fühlte sich jedoch an den Eid auf die Verfassung gebunden und bemühte sich, anders als es sich seine rechten Unterstützer erhofft hatten, zunächst um Loyalität. Er brachte jedoch bei den zukünftigen Regierungsbildungen mit tatkräftiger Unterstützung seines Staatssekretärs Meißner immer stärker seine politischen und persönlichen Präferenzen zur Geltung und machte häufigen Gebrauch vom Notstandsartikel 48.

Das Kabinett Luther war bereits nach vier Monaten wegen eines Streits um die im Mai 1926 erlassene „Flaggen-Verordnung“ am Ende, ein Misstrauensantrag des Reichstag erhielt die Unterstützung der DDP. Auch das neue (dritte) Kabinett Marx blieb labil. Als sich DVP-Fraktionschef Ernst Scholz Anfang Dezember 1926 offen für eine Rechtskoalition aussprach, beendete die SPD ihre bisherige lockere Zusammenarbeit. Das Kabinett stürzte Ende De-zember über einen Misstrauensantrag. Im Januar 1927 kam es, erneut unter Marx, zu einer Neuauflage des Bürgerblocks aus Zentrum, BVP, DVP und DNVP. Darauf hatte nicht zuletzt Hindenburgs Vertrauter Kurt von Schleicher hingearbeitet, der seit Anfang 1926 Chef der neuen Wehrmachtsabteilung im Reichswehrministerium war. Das Regierungsbündnis erwies jedoch als brüchig, vor allem in der Wirtschafts-, Sozial- und Kulturpolitik waren die Differenzen groß. Im Februar 1928 brach die Koalition auseinander, weil die DVP einen Schulgesetz-Entwurf ablehnte, der die Zulassung neuer Bekenntnisschulen vorsah.

Die Reichstagswahlen vom 20. Mai 1928 endeten mit einem klaren Erfolg der Linksparteien, die bürgerlichen Mittelparteien und die DNVP verloren dagegen Stimmen. SPD-Fraktions-chef Hermann Müller wurde vom Reichspräsidenten mit der Regierungsbildung „auf möglichst breiter Grundlage“ beauftragt. Nach schwierigen Verhandlungen wurde im Juni zunächst ein „Kabinett der Persönlichkeiten“ mit Politikern aus SPD, DDP, DVP, BVP und Zentrum sowie dem parteilosen General Wilhelm Groener als Reichswehrminister gebildet. Erst Anfgang 1929 kam es zu einer von den Fraktionen getragenen „Großen Koalition“. Doch bereits Anfang August kam es zum Zerwürfnis, als bekannt wurde, dass das Kabinett den noch vom Bürgerblock beschlossenen und dann wegen der desolaten Finanzlage verschobenen Bau des Panzerkreuzers A, der von der SPD im Wahlkampf vehement bekämpft worden war, erneut beschlossen hatte. Die SPD-Fraktion brachte im November im Reichstag einen Antrag gegen den Bau ein. Der Antrag scheiterte, doch die SPD-Minister waren fortan diskreditiert. Die Young-Plan-Gesetze konnten im März 1930 durch den Reichstag gebracht werden, doch in der Sozialpolitik wurde ein Kompromiss zwischen SPD und DVP immer schwieriger. Nach Stresemanns Tod im Oktober 1929 schlug die DVP einen von schwerindustriellen Interessen bestimmten Rechtskurs ein. Die DNVP hatte sich bereits im Oktober 1928 mit der Wahl Alfred Hugenbergs zum Parteichef, eines Exponenten des alldeutsch-nationalistischen Flügels, nach rechts bewegt. Und auch das Zentrum war im Dezember 1928 mit der Wahl von Ludwig Kaas zum Parteichef, der einer autoritären Führerdemokratie anhing, nach rechts gerückt. Unterdessen nahm die Weltwirtschaftskrise ihren Lauf.

9. Die Konfrontation der Sozialpartner

Im Bereich der Arbeitsbeziehungen war es zu einer ständigen Verschärfung der sozialpolitischen Konflikte zwischen Arbeitgebern und Arbeitnehmern gekommen. Bereits um 1923 wurde die „Arbeitsgemeinschafts“-Politik, die zentraler Bestandteil des „Gründungskompromisses“ von Weimar war, von den Unternehmern als nicht mehr vorteilhaft angesehen. Sie drängten auf eine „Gesamtrevision der Sozialpolitik“ (Hans Mommsen). Mit der Arbeitszeitverordnung vom 21. Dezember 1923 war bereits der gesetzlich verankerte Acht-Stunden-Tag durchlöchert worden. Die kurz zuvor erlassene Schlichtungsverordnung führte zu einer immer häufigeren Anwendung des staatlichen (Zwangs-) Schlichtungsverfahrens. 1928 erhielten bereits knapp die Hälfte der durch Tarifverträge betroffenen Arbeitnehmer ihren Lohn auf Grund einer staatlichen Verbindlichkeitserklärung.

Zum schwersten Arbeitskonflikt der Weimarer Zeit kam es im November/Dezember 1928 beim „Ruhreisenstreit“, als die Schwerindustriellen des Ruhrgebiets die Anerkennung eines staatlichen Schiedsspruches verweigerten und zur Erzwingung eines neuen Tarifabschlusses die gesamte Arbeiternehmerschaft der Ruhreisenindustrie, rund 230.000 Arbeiter, aussperrten. Der Konflikt konnte später durch eine Kompromisslösung beigelegt werden, doch den grundlegenden Konsens hatte die Schwerindustrie damit endgültig verlassen.

1929/30 stand das Problem der Arbeitslosenversicherung im Vordergrund. Diese war bereits 1927 eingeführt worden und geriet nun unter Druck, weil sie bei einem Beitragssatz von höchstens 3% auf durchschnittlich 800.000 Arbeitslose ausgelegt war, im Winter 1928/29 jedoch bereits 3 Mio. Menschen arbeitslos waren. Der Staat musste einspringen. Die SPD drängte Anfang 1930 auf eine Erhöhung des Beitrags auf 4% und ein Notopfer der Festbesoldeten. Die DVP hingegen wollte die Leistungen beschneiden. Die SPD blieb unnachgiebig, bestand auf einem Beitragssatz von mindestens 3¾% und lehnte einen Kompromissvorschlag des Zentrums-Fraktionschefs Brüning, dem die DVP bereits zugestimmt hatte, ab. Das Kabinett trat deshalb am 27. März 1930 zurück. Der Bruch der Großen Koalition wurde zu einem entscheidenden inneren Wendepunkt in der Entwicklung der Republik.

10. Der Aufstieg des Nationalsozialismus

Im Schatten der Weltwirtschaftskrise gelang den Nationalsozialisten der Aufstieg. Von ihrer Gründung im Jahr 1919 bis zum „Hitler-Putsch“ im November 1923 blieb der Aktionsradius der NSDAP weitgehend auf Bayern beschränkt, zu einer Wahl trat sie in dieser Zeit überhaupt nicht an. Nach dem Putsch zerfiel die Organisation. Hitler jedoch machte aus dem Hochverratsprozess Anfang 1924 vor dem Münchner Volksgericht eine Propagandaveranstaltung ersten Ranges. Während der milden Festungshaft konnte er seinen Nimbus als nationaler Märtyrer weiter ausbauen. Nach der vorzeitigen Haftentlassung im Dezember 1924 begann Hitler dann mit dem Neuaufbau der Partei. Er verfolgte dabei drei Prinzipien: Eine Legalitätstaktik, die zunächst auf Massenmobilisierung abziehen sollte, eine straffe Parteiorganisation auf breiter Basis sowie das uneingeschränkte Führerprinzip. Tatsächlich gelang es Hitler, die heterogene Sozialschichtung der Mitgliedschaft durch seine Stellung als Parteidiktator und eine diffus-vage Programmatik zusammen zu halten. Er verfügte über außergewöhnliche rhetorische und propagandistische Fähigkeiten und traf instinktiv den Ton des Krisenbewusstseins. Hilters Weltanschauung fußte auf der Rassendoktrin und der Raumdoktrin, die beide einem vulgarisierten Sozialdarwinismus entstammten. Daraus ergaben sich die antisemitische und expansionistische Zielsetzung Hitlers: Die Eroberung von „Lebensraum“ im Osten und die Vernichtung der Juden. Die NS-Propaganda vor 1933 griff jedoch vor allem die verbreiteten völkisch-antisemitischen, antimarxistischen und antiliberalen Ressentiments auf, attackierte die staatliche und politische Ordnung und stellte ihr das utopische Bild einer kriegerisch-heroischen „Volksgemeinschaft“ entgegen.

Nach der Neugründung am 27. Februar 1925 stand zunächst der innere Parteiaufbau im Vordergrund. Auf dem ersten „Reichsparteitag“ im Juli 1926 wurde die SA der Kontrolle der Partei unterworfen und der ehemalige Freikorpsführer Franz Pfeffer von Salomon zu deren oberstem Chef ernannt. Die SA übernahm fortan die Erziehung und Ausbildung der Parteimitglieder sowie den Ordner- und Aufklärungsdienst. Der NS-Bewegung gelang es in den folgenden Jahren, eine Vielzahl von Hilfsorganisationen an sich zu binden: 1926 den „Nationalsozialistischen Deutschen Studentenbund“ (der bereits 1929/30 an einigen Universitäten bei den Asta-Wahlen die absolute Mehrheit der Stimmen erhielt) und die Hitlerjugend sowie 1929 den „Nationalsozialistischen Schülerbund“. Dazu kamen berufsbezogene Parteigliederungen wie der „Bund Nationalsozialistischer Juristen“ 1928 und „Nationalsozialistischer Deutscher Ärztebund“ und „Nationalsozialistischer Lehrerbund“ 1929. 1930 wurde der „Agrarpolitische Apparat“ gegründet, der in kurzer Zeit die landwirtschaftlichen Berufsverbände unterwandern konnte. Die erste „Nationalsozialistische Betriebszellenorganisation“ (NSBO) war bereits 1927/28 in Berlin entstanden, Mitte 1932 waren 100.000 Personen Mitglied einer solchen Organisation. Wichtige Verbindungen konnten zudem zur Angestelltenbewegung und zu den Agrarverbänden geknüpft werden. Spätestens 1930 wechselten führende Funktionäre des „Deutschnationalen Handlungsgehilfenverbandes“ von der DNVP zur NSDAP. Auch der agrarische „Reichslandbund“ wurde unterwandert, 1932 rief er zur Wahl Hitlers als Reichspräsident auf.

Bei der Reichstagswahl vom 28. Mai 1928 erhielt die NSDAP 800.000 Stimmen (2,6%). Zu einem ersten größeren Erfolg wurde die Beteiligung der Partei im „Reichsausschuss für das deutsche Volksbegehren“ gegen den Young-Plan zusammen mit DNVP und dem „Stahlhelm, Bund deutscher Frontsoldaten“. An der Seite von DNVP-Führer Hugenberg und Stahlhelm-Führer Seldte erlangte Hitler nun auch in weiten Kreisen des rechts-nationalistischen Bürgertums Reputation. Zwar votierten am 22. Dezember 1929 nur 13,8% der Wahlberechtigten im Sinne des Volksentscheids, doch die NSDAP konnte von der großen Agitation und politischen Emotionalisierung profitieren. Im November war der Partei zudem der Einzug in viele Kommunal- und einige Landesparlamente gelungen, in Thüringen (11,3%) trat die NSDAP gar erstmals in eine bürgerliche Regierung ein.

Die Mitgliederzahl der Partei wuchs von 130.000 im September 1930 auf 849.000 im Januar 1933 an, die Zahl der Ortsgruppen erhöhte sich ebenfalls beträchtlich. Die NSDAP war eine sehr „junge“ Partei: 70% der Mitglieder waren 1930 jünger als 40 Jahre, auf einen ähnlichen Altersdurchschnitt kam lediglich die KPD. Bei den Berufsgruppen waren die mittelständischen und kleinbürgerlichen Mitglieder überrepräsentiert, die Arbeiter hingegen unterrepräsentiert, obwohl sie rein zahlenmäßig die stärkste soziale Gruppe in der Partei stellte. Insgesamt kann die NSDAP als „moderne Integrationspartei“ bezeichnet werden.

Die Wirtschaft hatte bis 1930 kaum Interesse an Hitler und der NSDAP gezeigt. Erst mit dem Jahr 1931 suchte eine Reihe wichtiger Industrieführer und Bankiers den Kontakt zu Hitler, doch die Finanzierung der Partei fußte weiterhin vor allem auf Mitgliedsbeiträgen, Eintrittsgeldern und dem Schriftenverkauf. Daneben gab es Spenden u.a. aus dem Ausland und von Finanzmagnaten, z.B. Ford, Deterding und Kreuger. Die Unterstützung durch große Kapitalisten wie Flick und Thyssen blieb eher die Ausnahme, die DNVP wurde von der Unternehmerschaft weitaus stärker gefördert. Dennoch: Wirtschaftsführer und Großindustrie lehnten das parlamentarische Regierungssystem und die pluralistische Demokratie meist ab und setzten auf die Etablierung eines autoritären Regierungssystems.

11. Die Desintegration des politischen Systems

Der Durchbruch zur Massenbewegung gelang der NSDAP, als nach dem New Yorker Börsenkrach Ende Oktober 1929 die Weltwirtschaftskrise im Winter ihren ersten Höhepunkt erreichte. Deutschland war davon besonders hart betroffen, weil die in der Vergangenheit reichlich gewährten Auslandskredite nun zurückgezogen wurden. Die Arbeitslosigkeit stieg von 1,3 Mio. 1929 auf 3 Mio. ein Jahr später. Im September 1932 betrug die Arbeitslosenzahl 5,1 Mio., Anfang 1933 6 Mio. Dagegen standen 12 Mio. Beschäftigte. Eine weitere Zuspitzung ergab sich aus dem Nachrücken der starken Geburtsjahrgänge der Jahre um die Jahrhundertwende auf den Arbeitsmarkt. Die sozialpsychologischen Auswirkungen der Krise waren verheerend, es herrschte allgemeine Katastrophenstimmung. Die Republikgegner von Rechts und Links betrieben eine hemmungslose Agitation gegen Republik und Demokratie, die Wirtschaftskrise begann sich zur Staatskrise auszuweiten. Als für den 14. September 1930 eine Reichstagswahl anberaumt wurde, war der Erfolg der NSDAP bereits absehbar (bei der sächsischen Landtagswahl im Juni hatte die Partei 14,4% der Stimmen errungen). Tatsächlich erhielt die NSDAP 6,4 Mio. Stimmen (18,2%) und wurde zweitstärkste Partei hinter der SPD. Die DNVP schrumpfte hingegen auf 7%.

Die Desintegration des politischen Systems war bereits vor dem Scheitern der Großen Koalition in Gang gesetzt und seit 1930 systematisch vorangetrieben worden, und zwar von Reichpräsident Hindenburg und seiner Umgebung sowie der Reichswehr-Führung unter General Schleicher, unterstützt von den bürgerlichen Rechtskräften bis weit in die Mitte hinein, von einflussreichen Wirtschaftsverbänden und industriellen und agrarischen Interessenverbänden. Bereits um Ostern 1929 hatten Vertrauensleute des Reichspräsidenten Kontakt zu dem einflussreichen Zentrumspolitiker Heinrich Brüning aufgenommen, um dessen Bereitschaft zur Führung eines rechten Kabinetts zu sondieren. Im Dezember wurde Brüning von Schleicher und Hindenburgs Staatssekretär Otto Meißner signalisiert, dass der Reichspräsident das Kabinett Müller nach der Verabschiedung des Young-Plans auf keinen Fall im Amt belassen wolle. Vielmehr solle Brüning dann ein „Hindenburg-Kabinett“ ohne Berücksichtigung der Reichstagsparteien mit dem Instrument des Art. 48 führen.

Nachdem Hindenburg dem Kabinett der Großen Koalition den Einsatz dieses Artikels verweigerte, beschloss das Kabinett am 27. März 1930 seine Demission. Bereits am 30. März stand das neue Kabinett unter Brüning: Ein Minderheitskabinett aus Politikern der bürgerlichen Parteien. Brüning ließ keinen Zweifel daran, dass er im Notfall den Reichtag auflösen und Gesetze per Notverordnung auf den Weg bringen würde. Dies war tatsächlich im Sommer der Fall, als er eine Deckungsvorlage zur Sanierung der Staatsfinanzen vorlegte, die eine rigorose Deflationspolitik mit Kürzung der Staatsausgaben und Erhöhung von Steuern und Abgaben vorsah. Die DNVP wollte trotz wiederholter Überredungsversuche nicht zustimmen. Ein Versuch, die SPD zur Unterstützung zu bewegen, wurde hingegen gar nicht erst unternommen. Der Reichstag lehnte die Vorlage am 16. Juli 1930 ab, worauf das Kabinett die gesamte Deckungsvorlage per Notverordnung in Kraft setzte, was rechtlich unzulässig war. Der Reichstag hob die Notverordnung am 18. Juli auf Antrag der SPD mit den Stimmen von KPD, NSDAP und einem Teil der DNVP wieder auf. Brüning reagierte mit der Auflösung des Reichstags erließ wenige Tage später eine verschärfte Notverordnung.

12. Die Verschärfung der Krise

Nach der „Katastrophenwahl“ vom 14. September 1930 war eine „positive“ Mehrheit nach keiner Seite mehr möglich. Versuche Schleichers, die DNVP und sogar die NSDAP zumindest für eine „konstruktive Opposition“ zu gewinnen, scheiterten. Die SPD rang sich schließlich aus Gründen der Staatsräson und aus der Überlegung heraus, die wichtigste noch verbliebene „Machtbastion“ in Preußen (dort regierte immer noch Otto Braun mit einer Koalition aus SPD, Zentrum und DDP) nicht zu gefährden, zu einem Tolerierungskurs gegenüber dem Kabinett Brüning durch. Unter Brüning erlitt der Reichstag einen weiteren Funktionsverlust. Die Zahl der Sitzungstage nahm von 94 im Jahr 1930 auf 13 im Jahr 1932 ab, die Zahl der vom Reichstag beschlossenen Gesetze sank im selben Zeitraum von 98 auf 5, wogegen die Zahl der per Notverordnung beschlossenen Gesetze von 5 auf 66 anstieg. Mit seiner Außen- und Wirtschaftspolitik verfolgte Brüning in erster Linie das Ziel der endgültigen „Befreiung“ von der Reparationslast. Um zu demonstrieren, dass Deutschland die Reparationsverpflichtungen nicht länger erfüllen könne, nahm er Massenarbeitslosigkeit und Verelendung in Kauf. Im Sommer 1931 spitzte sich die Krisenentwicklung erneut zu. Mit der Ankündigung, die Reparationszahlungen bald einzustellen, löste die Regierung eine Massenflucht von ausländischem und deutschem Kapital aus Deutschland aus. Der Zusammenbruch der Österreichischen Creditanstalt führte auch in Deutschland zu einer schweren Bankenkrise. Am 13. Juli 1931 stellte die Danatbank ihre Zahlungen ein. Das Deutsche Reich musste zur Stützung und Sanierung der Banken fast eine Milliarde Reichsmark zur Verfügung stellen.

Die Finanzkrise veranlasste den amerikanischen Präsidenten Herbert Hoover zum Eingreifen, der weitere Rückwirkungen auf die unmittelbar betroffenen Industriezweige und Privatgläubiger in den USA verhindern wollte. Das so genannte „Hoover-Moratorium“ vom 20. Juni 1931 sah die einjährige Aussetzung der deutschen Reparationszahlungen vor. Nachdem ein alliierter Sonderausschuss Ende Dezember 1931 festgestellt hatte, dass Deutschland auch darüber hinaus keine Zahlungen mehr leisten könne, beschloss die Konferenz von Lausanne am 16.6.-9.7.1932 das endgültige Ende der Reparationszahlungen. Zu diesem Zeitpunkt war Reichskanzler Brüning bereits entlassen, „100 Meter vor dem Ziel“, wie er klagte.

Bereits im Herbst 1931 hatte Brüning immer mehr an Rückhalt verloren, auch in Teilen der Wirtschaft. Am 11. Oktober veranstalteten DNVP, Stahlhelm und NSDAP in Bad Harzburg eine Großkundgebung mit gewaltigen Aufmärschen ihrer paramilitärischen Organisationen („Harzburger Front“), um der Republik den Kampf anzusagen. Um den Angriffen der Rechtsopposition und der KPD entgegenzutreten, bildete Brüning das Kabinett um. Er selbst übernahm von Julius Curtius (DVP) zusätzlich das Außenministerium, Reichswehrminister Groener übernahm zugleich das Innenministerium. Der republikanische Exponent des Zentrums, Wirth, wurde geopfert. Im Vorfeld der anstehenden Reichspräsidenten-Wahl Anfang 1932 verloren Kanzler und Kabinett immer mehr das Vertrauen Hindenburgs. Nachdem Hindenburg im Ersten Wahlgang am 13. März 1932 die Mehrheit nur knapp verfehlte (49,6%, Hitler 30,1%, Thälmann 13,2%, Duesterberg 6,8%), nahm der Zweite Wahlgang am 10. April den Charakter eines Plebiszits zwischen Hindenburg und Hitler an. Hindenburg wurde schließlich mit 53% wiedergewählt, er empfand jedoch insbesondere die Unterstützung durch die SPD als „Kampf in verkehrter Frontstellung“ und machte Brüning dafür verantwortlich.

Kurz nach der Wahl verbot der amtierende Reichsinnenminister Groener am 13. April per Notverordnung SA und SS, die mit mittlerweile ½ Mio. Mitgliedern vielerorts die „Straße“ beherrschten und die staatlichen Autoritäten offen herausforderten. Dies war Anlass genug für den Sturz der Regierung Brüning. Am 12. Mai reichte zunächst Groener sein Rücktrittsgesuch ein, nachdem Schleicher ihm im Reichstag offen erklärt hatte, er sei für die Führung der Reichswehr jetzt endgültig untragbar geworden. Der Reichspräsident nahm das Gesuch bezeichnender Weise sofort an. Zum geeigneten Anlass für die von der Kamarilla um Hindenburg seit Wochen betriebene Entlassung Brünings geriet dessen Entwurf einer Ostsiedlungs-Notverordnung, der Hindenburg unter dem Einfluss von Großagrariern die Zustimmung versagte. Am 29. Mai 1932 forderte Hindenburg Brüning zum Rücktritt auf, einen Tag später erklärte dieser die Gesamtdemission seines Kabinetts.

13. Die Kabinette Papen und Schleicher

Bereits am 8. Mai hatte Schleicher, der den Plan einer „Zähmung“ der NSDAP verfolgte, mit Hitler über die Tolerierung einer nationalen Präsidialregierung verhandelt. Im Gegenzug wollte er das SA-Verbot aufheben, den Reichstag auflösen und Neuwahlen anberaumen. So kam es dann auch. Ein so genanntes „Kabinett der Barone“ mit Franz von Papen an der Spitze wurde gebildet, außerdem wurden Neuwahlen anberaumt. Doch zuvor schritten Papen und Reichsinnenminister Freiherr von Gayl mit Unterstützung von Hindenburg zum „Preußenschlag“: Die missliebige und seit April nur noch geschäftsführende preußische Regierung Braun-Severing wurde durch eine „Reichsexekution“ abgesetzt, Papen übernahm selbst das Amt des preußischen Ministerpräsidenten und ernannte einen Reichskommissar. Die SPD konnte sich zu einem offenen Widerstand nicht entschließen, da sie einen Einsatz der Reichswehr füchtete und für einen Generalstreik kaum Bereitschaft sah. Eine aktionsfähige Einheitsfront mit der KPD war undenkbar, hatte diese doch die Sozialdemokraten immer offener als „Sozialfaschisten“ attackiert und sich im Sommer 1931 sogar am Volksentscheid der Rechtsparteien gegen die Preußen-Regierung beteiligt. Die SPD geriet durch ihre Haltung jedoch in die völlige Isolierung. Zudem verlor sie ihr letztes Machtmittel, die Verfügungsgewalt über die preußische Polizei.

Bei der Reichstagswahl am 31. Juli 1932 gewann die NSDAP 37,3%, die SPD 21,7%, KPD 14,3%, Zentrum 12,5%, DNVP 5,9% und DVP sowie Staatspartei (bis 1930 DDP) zusammen nur 2,2%. NSDAP und KPD verfügten also über eine Mehrheit der Stimmen. Hitler setzte nun auf alles oder nichts. Er wolle selbst Reichskanzler werden, teilte er Schleicher und in einer Unterredung am 13. August auch Hindenburg mit. Hindenburg gab Hitler jedoch eine glatte Abfuhr. Die NSDAP ging sofort auf scharfen Konfrontationskurs zur Papen-Regierung. Mit den Stimmen des Zentrums gelang der Partei am 30. August zunächst die Wahl Görings zum Reichstagspräsidenten. Nachdem der Reichstag Papen am 12. September das Misstrauen aussprach, konterte Hindenburg mit der Reichstagsauflösung. Um dem Vorwurf des Verfassungsbruchs zu entgehen, entschied sich eine Mehrheit der Minister entgegen ihrer ursprünglichen Absicht für vorgezogene Neuwahlen.

Bei den Reichstagswahlen am 6. November 1932 verlor die NSDAP zwei Mio. Stimmen, sie kam auf 33,1%. Der Mythos ihrer Unaufhaltsamkeit war gebrochen. Dennoch stellte sie weiter die stärkste Fraktion. DNVP, DVP und KPD konnten sich leicht verbessern, die SPD verlor Stimmen. Hitler forderte erneut die Kanzlerschaft, unterstützt durch die Eingabe einiger Wirtschaftsführer unter Führung des ehemaligen Reichsbankpräsidenten Schacht an den Reichspräsidenten. Hindenburg machte jedoch die Bildung einer parlamentarischen Mehrheitsregierung zur Bedingung. Er beauftragte zunächst erneut Papen mit der Regierungsbildung. Dieser wollte den Ausnahmezustand verhängen und den Reichstag ausschalten, um einschneidende Verfassungsreformen durchführen zu können. Schleicher intervenierte jedoch gegen diese Pläne. Hindenburg lenkte ein und ernannte am 3. Dezember Schleicher zum Reichskanzler.

Schleichers Pläne einer „Querfront“ von den Gewerkschaften bis zur NSDAP scheiterten (Gregor Straßer erhielt dafür nicht die Rückendeckung seiner Partei, der NSDAP), damit war auch die letzte Variante seines „Zähmungskonzepts“ gescheitert. Schleicher sah nun selbst keine Alternative mehr zur Verhängung des Staatsnotstands und traf insgeheim entsprechende Vorbereitungen. In der Öffentlichkeit jedoch vertrat er ein Programm des Ausgleichs, wollte die Wirtschaft ankurbeln und mit Arbeitsbeschaffungsplänen die Arbeitslosigkeit bekämpfen. Industrie und Großgrundbesitzer waren alarmiert, sie befürchteten ein Bündnis zwischen Militär und Arbeiterschaft gegen die kapitalistische Führungsschicht.

14. Die „Machtergreifung“ Hitlers

Dies war die Stunde des kurz zuvor entmachteten Franz von Papen. Papen traf sich am 4. Januar 1933 im Hause des Kölner Bankiers von Schröder mit Hitler zu einem Kontaktgespräch. Schrittweise akzeptierte er jetzt dessen Führungsanspruch. In den nächsten Tagen spielte er den zentralen Vermittler zwischen Hitler, der DNVP und dem Reichspräsidentenpalais. Auch Hindenburgs Sohn Oskar sprach sich jetzt für eine Hitler-Papen-Lösung aus, ebenso der „Reichslandbund“. Mitte Januar beauftragte Hindenburg Papen „persönlich und streng vertraulich“, die Möglichkeiten zur Bildung einer neuen Regierung zu sondieren. Schleicher scheiterte Ende des Monats mit seinem Notstandsplan am Veto Hindenburgs und reichte daraufhin am 28. Januar 1933 seinen Rücktritt ein. Gerüchte über angebliche Putschpläne der Reichswehr-Führung veranlassten Hindenburg dann endgültig zum Handeln. Am 30. Januar 1933 vereidigte er ein „eingerahmtes“ Hitler-Kabinett mit Wilhelm Frick als Reichsinnenminsiter und Hermann Göring als Minister ohne Geschäftsbereich sowie neun konservativen Politikern, darunter Papen als Vizekanzler und Hugenberg als Wirtschafts- und Landwirtschaftsminister. Es hatte keinen Staatsstreich gegeben, doch Hitlers Regierung war ein Präsidialkabinett wie alle Vorgänger seit 1930. Und Hitler verfügte über eine ihm bedingungslos ergebene Massenpartei und war erklärter Gegner der Weimarer Demokratie.

Die Gegner Hitlers waren über seine Ernennung bestürzt, aber eine gemeinsame Aktion kam nicht zustande. Die nun folgende Zeit war geprägt von Terror und Gleichschaltung. Nach dem Reichstagsbrand erließ die Regierung eine Notverordnung, die die Grundrechte außer Kraft setzte. Funktionäre der KPD und SPD wurden verhaftet, ihre Wahlpropaganda behindert. Die Reichstagswahlen am 5. März 1933 brachten der NSDAP-DNVP-Koalition die absolute Mehrheit. Gegen die Stimmen der SPD nahm der Reichstag ein Ermächtigungsgesetz an, das der Regierung Hitler die Gesetzgebungsbefugnis gab. Die Länder wurden „gleichgeschaltet“, die Gewerkschaften und alle Parteien außer der NSDAP aufgelöst. Als hohe SA-Führer sich die Reichswehr unterstellen wollte, ließ Hitler sie ermorden („Röhm-Putsch“ am 30. Juni 1934). Nach dem Tode Hindenburgs am 2. August 1934 vereinigte Hitler in seiner Person das Amt des Präsidenten mit dem des Kanzlers. Die Phase der „Machtergreifung“ war damit abgeschlossen.

15. Forschungsüberblick und ausgewählte Kontroversen

Die wissenschaftlichen Kontroversen um die Weimarer Republik sind zahlreich. Bei der Beschäftigung mit der revolutionären Entstehungsphase der Republik behauptete Karl Dietrich Erdmann, es habe als Entscheidungsalternativen nur den bolschewistischen „Rätestaat“ oder die parlamentarische Demokratie gegeben, die Zusammenarbeit der MSPD mit den alten Machteliten sei mithin unumgänglich gewesen. Bereits Arthur Rosenberg bezeichnete die Situation im Jahre 1935 als weit offener, und heute werden die Arbeiter- und Soldatenräte zumindest in der Zeit bis zum Frühjahr 1919 allgemein als eher gemäßigt eingeschätzt. Reinhard Rürup verweist darauf, dass die Machtträger einen größeren Handlungsspielraum hatten, als oft angenommen wurde. Die Sozialierung des Bergbaus etwa sei durchaus im Rahmen des möglichen gewesen. Laut Heinrich August Winkler hätte die SPD-Führung den Abbau obrigkeitsstaatlicher Strukturen weitaus stärker vorantreiben können. Es habe nicht eines „Dritten Weges“ bedurft, sondern entschiedener Maßnahmen zur demokratischen Fundierung der Republik.

Bei der Diskussion um die Konstruktionsfehler der Weimarer Verfassung stand lange die starke Stellung des Reichspräsidenten in Folge des Notverordnungsrechts an erster Stelle. Auch am Verhältniswahlsystem wurde Kritik geübt, Ferdinand A. Hermens bezeichnete das Wahlverfahren und die daraus resultierende Parteienzersplitterung gar als eigentliche Ursache für das Scheitern der Republik. Die These der „Hermens-Schule“ wird heute aber kaum noch vertreten. Das Parteiensystem ist insgesamt sehr intensiv erforscht worden. Rainer M. Lepsius beschreibt die Auflösung des Parteiensystems als Folge der Erosion Sozialmilieus und zeigt auf, dass dieser Prozess bereits vor Ausbruch der Weltwirtschaftskrise begann.

Auch das problematischen Verhältnis von Reichswehr und Republik wurde ausführlich untersucht. Andreas Hillgruber wies nach, dass die Reichswehrführung gezielt auf die Verschmelzung von militärischem und zivilem Sektor hinarbeitete, vor allem unter Schleicher habe sich eine Art „Wehrstaat“ herausbilden können.

Der Dualismus zwischen Wirtschafts- und Sozialpolitik als wesentliche Hauptschwäche des politischen Systems wurde auf breiter Basis erstmals auf dem Bochumer Symposion „Industrielles System und politische Entwicklung in der Weimarer Republik“ im Jahre 1973 herausgestellt. Die Wirtschaft, v.a. die Schwerindustrie, hätten Zugeständnisse auf Zeit gemacht und seien dann in der Krise zu einem „Klassenkampf von oben“ übergegangen. Als entscheidende Knotenpunkte in der Entwicklung der Beziehungen zwischen den Arbeitsmarktparteien werden zum einen die Begründung der Zentralarbeitsgemeinschaft 1918/19 und der Ruhreisenstreit 1928 genannt, zum Beispiel schon 1967 bei Ernst Fraenkel. Dabei wird deutlich, dass das Fundament der Republik bereits in der so genannten Stabilisierungsphase brüchig geworden war. Die Inflationsforschung konnte nachweisen, dass der Inflationsprozess schon 1914 einsetzte und dann ab Ende 1922 in der „Hyperinflation“ kulminierte, also noch vor der Besetzung des Ruhrgebiets. Carl Ludwig Holtfrerich verwies darauf, dass die Inflation auch positive Folgen gehabt habe und die deutsche Nachkriegswirtschaft in Gang gehalten sowie praktisch zu Vollbeschäftigung geführt habe. Für die Zeit von 1925 bis 1929 besteht mittlerweile ein Konsens darüber, dass die gesamtwirtschaftliche Situation schon vor dem Ausbruch der Weltwirtschaftskrise prekär war, die Phase der Stabilität also nur scheinbar eine solche war.

In der Außenpolitik stand lange die Beschäftigung mit dem Versailler Vertrag im Mittelpunkt. Von der ursprünglichen Beurteilung als „Diktat“ ist man mittlerweile jedoch abgerückt und mit Gerhard Schulz zu der Ansicht gelangt, dass die endgültigen Friedensbestimmungen vor allem den „irreparablen Umständen“ entsprungen waren, die der Krieg geschaffen hatte.

Auch als Voraussetzung für Hitler wird „Versailles“ heute als nicht mehr entscheidend angesehen. Über den Rapallo-Vertrag wurde lange gestritten: Die Urteile variierten zwischen „deutsch-sowjetischer Verschwörung“ und der Beurteilung als wichtigem Schritt bei der Schaffung eines euroäischen Gleichgewichts. Eine vermittelnde Position nimmt Klaus Hildebrand ein: Rapallo sei aus der Furcht vor einer machtpolitischen Isolierung und zur Schaffung eines Gleichgewichts entstanden. Auch mit Gustav Stresemann und dessen Außenpolitik hat sich die Forschung ausführlich befasst. Weitgehend konsensual ist heute die Ansicht, dass Stresemann ein realistischer nationaler Machtpolitiker war, der den Wiederaufstieg Deutschlands zur souveränen und gleichberechtigten Großmacht anstrebte, dabei den europäischen Frieden jedoch nicht gefährden wollte. Ab 1930 erfolgte dann die Wendung zu einer offensiven Revisionspolitik, wobei Franz Knipping behauptete, die aggressive Revision habe bereits Mitte 1928 mit den Versuchen der Reichregierung begonnen, eine vorgezogene Rheinlandräumung zu erreichen.

Die Auflösungsphase der Republik wurde auf vorzügliche Weise bereits 1955 von Karl Dietrich Bracher in seinem Werk „Die Auflösung der Weimarer Republik“ analysiert. Bracher entwickelte mit einem strukturanalytischen Ansatz ein Phasenmodell, nach dem die „Machtergreifung“ als Endergebnis eines längeren Prozesses zu werten ist, der bereits mit dem Regierungsantritt Brünings im Jahre 1930 begonnen habe. Bereits Brünings Bruch mit dem Reichstag und sein Übergang zur Notverordnungspolitik habe eine Phase des „Machtverlusts“ des Reichstages eingeleitet – nach Kräften unterstützt durch den Kreis um Hindenburg und die Reichswehrführung, in dem auf eine autoritäre Umformung des Regierungssystems hingearbeitet wurde. Unter Papen und Schleicher habe sich der „Kampf um die Macht“ in den außerparlamentarischen Raum verlagert, während die Regierung keine der großen politischen Gruppen mehr an sich zu binden vermochte und ganz dem „Antagonismus der mächtigen Blockbildungen“ ausgeliefert war. Diese Phase des „Machtvakuums“ sei erst am 30. Januar 1933 von den Nationalsozialisten mit der „Machtergreifung“ durchbrochen worden. Brachers Phasen-Modell hat dabei große Ähnlichkeiten mit der Bonapartismustheorie von Marx und Engels, obgleich er sich nicht explizit darauf bezieht.

Einen gegensätzlichen Standpunkt nahm Werner Conze ein, der Brüning im Gegensatz zu Bracher vehement verteidigte. Der Historiker vertrat die Ansicht, das parlamentarische System sei bereits 1929/30 aufgrund einer „Krise des Parteienstaats“ zusammengebrochen. Brüning habe vielmehr versucht, die Wirtschaftskrise durch einen konsequenten Sparkurs zu überwinden und eine baldige „Renormalisierung“ des Parlamentarismus zu erreichen. Diese Ansicht wurde jedoch durch die 1970 erschienenen Erinnerungen Heinrich Brünings widerlegt. Aus den Memoiren geht hervor, dass Brünings eigentliches Ziel die Wiederherstellung der Monarchie im Innern und die schrittweise Beseitigung des Systems von Versailles im Bereich der Außenpolitik war. Eine weitere Kontroverse drehte sich ausschließlich um die Wirtschafts- und Finanzpolitik Brünings. Knut Borchardt vertrat die These, die von Brüning mit rücksichtsloser Konsequenz betriebene Deflationspolitik sei alternativlos gewesen. Eine gegensätzliche Position nahm Carl-Ludwig Holtfrerich ein, der die Lehren des zeitgenössischen Wirtschaftsexperten John Maynard Keynes heranzog und behauptete, durch eine aktive Konjunktur- und Arbeitsbeschaffungspolitik Politik (sog. „deficit spending“) hätte die Wirtschaftskrise durchaus überwunden werden können – wenn Brüning dies gewollt hätte. Eine politische Zwangslage habe es nicht gegeben.

Der Tolerierungspolitik der SPD ab 1930 wird heute mehrheitlich Verständnis entgegengebracht, etwa bei Eberhard Kolb und Heinrich August Winkler. Umstritten ist jedoch die Haltung von Preußen-Regierung, SPD- und Gewerkschaftsführung beim „Staatsstreich“ Papens gegen Preußen am 20. Juli 1932. Matthias/Morsey und Hans-Peter Ehni bezeichneten den Verzicht auf Widerstand als schweren Fehler. Hagen Schulze wiederum sprach einem gewaltsamen Widerstand jegliche Erfolgschance ab. Bei der Beschäftigung mit dem Aufstieg der NSDAP wurde zunächst die Frage aufgeworfen, worauf die hohe Anziehungskraft der Partei beruhte. Martin Broszat kam zu dem Schluss, dass die neue antimarxistische und antiliberale Sammelpartei in erster Linie bereits vorhandene Potenziale übernahm, wobei sich die Volksgemeinschafts-Parole als wirksamstes Instrument der NS-Propaganda erwiesen habe. Jürgen Kocka verwies auf die „Janusköpfigkeit“ der NS-Bewegung, die gerade deshalb so erfolgreich gewesen sei, weil sie sich zugleich antikapitalistisch und antietalitär wie auch antisozialistisch und national gab. Bei der Frage nach den Wählern der NSDAP herrschte lange Zeit die Ansicht vor, es habe sich vor allem um Angehörige des alten und neuen Mittelstands gehandelt. Der amerikanische Soziologe Seymour M. Lipset sprach hieran anknüpfend vom „Extremismus der Mitte“. Jürgen Falter verwies jedoch darauf, dass die Wählerbewegungen zur NSDAP äußerst komplex waren. Das stärkste Kontingent hätten ehemalige Nichtwähler und DNVP-Wähler ausgemacht. Daneben habe die NSDAP auch in groß- und kleinbürgerlichen Milieus viele Stimmen gewonnen sowie unter Landarbeitern, unselbständigen Handwerkern und Arbeitern kleinerer Betriebe, nicht jedoch unter Industriearbeitern oder arbeitslosen Arbeitern. Angestellte hätten unterdurchschnittlich, Beamte überdurchschnittlich NSDAP gewählt. Die NSDAP sei eine „moderne Integrationspartei“ gewesen.

Auch über das Verhältnis von Industrie und NS vor 1933 hat es Kontroversen gegeben. Vor allem DDR-Historiker behaupteten im Sinne der sowjetmarxistischen „Agententheorie“, die nationalsozialistische „Machtergreifung“ sei durch die deutsche Großindustrie manipuliert worden. Eberhard Czichon etwa versuchte detailliert die Finanzierungswege der NSDAP und den Einfluss deutscher Industrieller auf die Machtübernahme Hitlers zu beschreiben. Dem widersprach Henry Ashby Turner. Danach erhielt die NSDAP selbst im Jahr 1932 nur einen kleinen Teil der von der Großindustrie verausgabten Spenden. Die Partei habe sich vor allem selbst finanziert. Dirk Stegmann wiederum betonte, der Hitler-Flügel innerhalb der Großindustrie habe zielstrebig und letztlich entscheidend an der Vorbereitung von Hitlers Kanzlerschaft mitgewirkt. Als gesichert gilt mittlerweile, dass die Großindustrie letztlich keinen entscheidenden materiellen Beitrag zum Aufstieg des NS geleistet hat, jedoch ein hohes Maß an Mitverantwortung für die Ermöglichung Hitlers und der NS-Herrschaft trug, weil sie die parlamentarische Demokratie mehrheitlich ablehnte und einem autoritären System zuneigte.

In der Forschung wurde außerdem die Frage erörtert, ob es politische Alternativen zu einer Auslieferung der Regierungsmacht an die Nationalsozialisten gegeben habe; konkret, ob Reichspräsident und Reichswehr nicht den Staatsnotstand hätten ausrufen und Hitler dadurch verhindern können. Unzweifelhaft ist, dass diese Möglichkeit Ende 1932 tatsächlich erwogen wurde. Über die Sinnhaftigkeit und nachhaltige Erfolgsaussichten eines solchen Unterfangens kann hingegen nur spekuliert werden.

Bei den tiefer gehenden Erklärungsversuchen der „Machtergreifung“ der Nationalsozialisten wird heute allgemein von einem komplexen und vielschichtigen Ursachengeflecht gesprochen. Determinanten waren unter anderem institutionelle Rahmenbedingungen wie die starke Stellung des Reichspräsidenten, die ökonomische Entwicklung, Besonderheiten der von einem demokratie- und republikfeindlichen Klima geprägten politischen Kultur, ferner ideologische Faktoren wie autoritäre deutsche Traditionen und extremer Nationalismus sowie massenpsychologische Elemente, welche die Nationalsozialisten geschickt zu nutzen wussten. Festzuhalten bleibt, dass es sich bei der Ernennung Hitlers zum Reichskanzler formal gesehen um einen legalen Regierungswechsel handelte, auch wenn dieser dem Geist der Weimarer Verfassung zuwider lief. Das, was gemeinhin als „Machtergreifung“ bezeichnet wird, war jedoch in Wirklichkeit ein anderthalb Jahre währender umfassender Machteroberungsprozess, wie Albrecht Tyrell betont. Dieser habe bis zum Tode Hindenburgs am 2. August 1934 angedauert und sei mit diesem Datum beendet worden.

16. Literatur

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