Lügengeschichten im Netz: Wenn der Hass viral wird

Das Internet ist ein Brandbeschleuniger – im Guten wie im Schlechten. Da werden herzzerreißende Geschichten und lustige Videos millionenfach geteilt. Aber im Netz verbreiten sich auch Fakes, Lügengeschichten und Verschwörungstheorien rasend schnell. Wie ist das zu erklären? Was braucht eine Geschichte, um viral, also ansteckend zu wirken – und warum hat es die profane Wahrheit dagegen oft so schwer? Das ist auch Thema auf der diesjährigen re:publica.

Von Tobias Jaecker

Seit die Flüchtlingskrise auf der Agenda ganz oben steht, gibt es kein Halten mehr. Unzählige Gerüchte und Fake-Geschichten über Flüchtlinge fluten das Netz. Eine der bekanntesten Legenden: Ein 13-jähriges russlanddeutsches Mädchen sei im Januar 2016 in Berlin-Marzahn von drei Ausländern vergewaltigt worden. „Eine Behauptung, an der nichts dran ist“, sagt der Tübinger Medienwissenschaftler Prof. Bernhard Pörksen. „Es ist eine Geschichte, die im russischen Staatsfernsehen großgezogen wurde und die dann in den sozialen Netzwerken geradezu explodierte.“

Die Wiener Journalistin Ingrid Brodnig hat ein Buch über die Konjunktur der Lügengeschichten geschrieben. Der Titel: „Hass im Netz“. Sie sagt, dass Falschmeldungen, die einmal im Umlauf seien, kaum noch aus der Welt geschafft werden könnten. „Das ist dann oft so, dass so eine Behauptung über mehrere Blogs um die Welt reist, und wenn das dann ein deutscher User eintippt, findet er etliche Male diese Geschichte und denkt sich, ich habe das schon so oft gelesen, da muss was dran sein.“ Das sei aber noch nicht alles, so Brodnig: „Verstärkt wird all das von einem Effekt namens ‚Echokammer‘, nämlich dass Menschen sich online größtenteils mit Gleichgesinnten austauschen und Informationen vor allem von Seiten beziehen, die das gleich sehen.“ Diese Gleichgesinnten bestärken sich dann immer wieder selbst in ihrer Meinung.

Die Opfer werden mit infamer Hetze geradezu bombardiert

Viele Menschen fallen auch deshalb auf offensichtlich gefälschte Geschichten herein, weil sie ihr Weltbild gerne bestätigt sehen möchten – gleich, ob es sich um ein rassistisches Bild handelt oder auch nur, wenn man sich zum Lager der Impfgegner zählt. Dann werden alle Informationen, die in dieses Weltbild hineinpassen, begierig aufgesogen und alles andere ignoriert.

Auch die Sprache spielt eine wichtige Rolle. Der Dramatiker Falk Richter hat damit ganz eigene Erfahrungen gemacht. Nachdem er sein Stück ‚Fear‘ an die Berliner Schaubühne gebracht hatte, in dem es um die aktuellen rassistischen und nationalistischen Entwicklungen in Teilen der Bevölkerung geht, wurde er von Sympathisanten der rechtspopulistischen AfD mit infamer Hetze geradezu bombardiert.

Richter berichtete darüber gleich auf dem Eröffnungspanel der re:publica. In diesem Zusammenhang würden oft ganz bestimmte Reizwörter benutzt: „Flüchtende werden als Invasoren bezeichnet, die mit Navigationsmitteln ausgestattet hierherkommen, sie werden als eine Flut bezeichnet, also als eine Art Naturkatastrophe, als Tsunami. Es werden ganz bestimmte Bilder geschaffen, vor denen die Menschen dann Angst haben.“ Auch deshalb ziehen die Gräuelgeschichten oft so gut.

Das Netz hat die Wirkung verstärkt

Zwar gab es das alles auch schon im analogen Zeitalter. Doch das Netz hat die Wirkung noch einmal verstärkt und der Entwicklung einen enormen Schub verpasst. Medien-Professor Bernhard Pörksen greift aber auch einige etablierte Medienhäuser heftig an, weil diese teils mit völlig überspitzten oder verfälschenden Überschriften und Anreißern möglichst viele Klicks absahnen wollten: „Das Motiv ist hier Storytelling im Modus des Superlativs, im Schrill-Schrill-Modus“, so Pörksen. „Was das journalistisch bedeutet, können Sie wunderbar bei Focus Online sehen: Düstere Flüchtlings-Stories, sinnlose Liveticker, die millionenfach geklickt werden, das ist es in der Ultrakurzzusammenfassung.“

Vergessen werden darf bei alldem jedoch nicht, dass die Entwicklung keinesfalls nur virtuell ist. Vielmehr zeigen die Pegida-Aufmärsche und die rassistischen Attacken in Freital und anderswo, dass die aufgeheizte Stimmung schnell in Gewalt umschlagen kann

Der gemeinsame Nenner ist der Teilen-Impuls

Ob sich die Fakes und Verschwörungstheorien im Netz auch nur annähernd bekämpfen lassen, war auf der re:publica strittig. Ein Erfolgsrezept lieferte niemand. Klar ist: Volksverhetzung kann und sollte man anzeigen. Schwieriger wird es dagegen bei den vielen Grenzfällen. Verschwörungstheoretiker lassen sich in aller Regel nicht von Gegenargumenten irritieren. Doch es kann durchaus sinnvoll sein, Falschmeldungen sachlich zu berichtigen – schlicht, damit sie im Netz nicht so stehen bleiben.

Die Autorin Ingrid Brodnig sagt zudem, dass sich viele Menschen auch einmal an die eigene Nase fassen müssten: „Ich werde oft gefragt, wie man erkennt, ob etwas falsch ist oder richtig. Und ich sage immer, in dem Moment, wo mich etwas so beutelt, dass ich auf Teilen klicken möchte, in dem Moment sollte ich sofort stutzig werden. Das ist nämlich der gemeinsame Nenner sowohl von den schrecklichen Horrorgeschichten als auch von viralen Fakes, die manchmal auch lustig sind.“

Vielleicht ist das ein guter Hinweis: Nicht gleich die Emotionen mit sich durchgehen lassen, sondern erst einmal nachdenken und dann erst in die Tasten hauen.

Artikel-URL: http://www.rbb-online.de/politik/thema/2016/republica2016/beitraege/wenn-luegengeschichten-viral-gehen.html

Erschienen in: rbb24, 4.5.2016

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