Der neue alte Antiamerikanismus

Die NSA-Affäre und ihre Folgen: Die USA werden hierzulande immer verhasster. Hinter der Kritik verbergen sich oft muffigste Ressentiments.

Von Tobias Jaecker

Die transatlantischen Beziehungen liegen am Boden, mit jeder weiteren NSA-Enthüllung wächst das Misstrauen. Dass die Bundesregierung jetzt offenbar sogar die Spionageabwehr gegen die USA ausbauen will, wäre vor Kurzem noch undenkbar gewesen – heute fügt es sich ins Bild. Inzwischen mehren sich selbst die Forderungen nach einem offenen Bruch. „Europa muss sich vom amerikanischen Einfluss endlich lösen“, hieß es kürzlich auf Focus Online, nachdem die US-Diplomatin Victoria Nuland in einem öffentlich gewordenen Telefongespräch polemisch über die Ukraine-Politik der Europäer hergezogen war („Fuck the EU“).

Die große Obama-Euphorie – sie ist endgültig passé. „Deutschland trifft den SuperStar“, hatte der Spiegel noch zu Obamas Berlin-Besuch 2008 getitelt. Und die Bild-Zeitung brachte ein regelrechtes Stoßgebet: „Barack, Obama uns“. Heute belegen Umfragen, dass die USA so unbeliebt wie zu Bush-Zeiten sind. Wie konnte das nur geschehen?

Kritiker nennen neben der NSA-Überwachung den Drohnenkrieg der USA sowie Obamas enttäuschende Politik auf allen Ebenen. Das ist nicht falsch – und doch nur die halbe Wahrheit. Denn hinter der Kritik verbirgt sich oft ein tiefsitzender Antiamerikanismus. Dieser war lange kaum sichtbar, aber nie ganz verschwunden. Dank NSA & Co. wird er heute so unverblümt wie lange nicht mehr geäußert.

Beispiel gefällig? Da schreibt Jakob Augstein auf Spiegel Online, die rüpelhafte Äußerung der US-Diplomatin zeige einmal mehr, dass Europa gegenüber den USA gestärkt werden müsse. Dies könne aber nur funktionieren, wenn das Europäische Parlament mehr Macht erhalte. Recht so! Doch dann kommt’s. Augstein entwirft sein Wunschbild von Europa nämlich vor der Negativfolie der USA. Dort sei „längst entschieden“, wer die Macht habe: „Die wichtigen Weichen werden zwischen Big Money, Big Data und den Big Guns gestellt. Und der Wert eines Rechts entspricht den technologischen Kosten, es zu brechen. Europa hat noch die Wahl, einen anderen Weg zu gehen.“

Das ist Antiamerikanismus pur. Denn die Kritik verkehrt sich hier in ein stereotypes Welterklärungsmuster, in dem alles Negative – ob Kapitalmacht, Waffengewalt, Überwachungsstaat oder Rechtsdefizite – auf die USA projiziert wird. Und das nur, um sich eine europäische Identität herbeizufantasieren, die dazu im Gegensatz steht: moralisch höherwertig, gut. Dies ist heuchlerisch. Denn Augstein gesteht ja selbst ein, dass es mit der Demokratie in Europa nicht zum Besten steht.

Zur NSA-Affäre schreibt Augstein, in den USA herrsche ein totalitäres „Regime“, das „Anspruch auf totale Kontrolle“ erhebe: „Dieses unerwartete Aufblitzen des amerikanischen Imperialismus erinnert uns an die Notwendigkeit Europas.“ Man müsse „eigene Netzsysteme aufbauen, die sich der amerikanischen Überwachung entziehen.“ Die Verantwortung der Europäer für die kritisierten Missstände wird hier einfach ausgeblendet.

Dass auch europäische Geheimdienste bei der Massenüberwachung fleißig mitmischen und vom Datenaustausch profitieren, bis hin zum deutschen BND – schon vergessen? Dass Schwarz-Rot nach EU-Vorgabe die Vorratsdatenspeicherung einführen will, die europäische Datenschutzreform dagegen bis heute hinausgezögert wird? All dies spräche dafür, erst einmal vor der eigenen Haustür zu kehren. Aber wie bequem ist doch das Täter-Opfer-Schema: Das gesetzlose Amerika zerstört unser feines rechtsstaatliches Europa. Hinter der Forderung nach technologischer Aufrüstung scheint freilich auch der Wunsch auf, im internationalen Machtspiel mit den Amerikanern gleichzuziehen.

Und wie war das noch gleich mit Edward Snowden, unserem amerikanischen Superhelden und Kronzeugen gegen die Verfehlungen der USA? Der sitzt immer noch in Russland fest, statt Asyl in Europa zu erhalten oder wenigstens im Parlament gehört zu werden. Die Motive seiner Unterstützer erscheinen sowieso oft zweifelhaft. Der Schriftsteller Thomas Brussig begründete seine Forderung nach Asyl für Snowden etwa folgendermaßen: „Die ganze Sache ist eine Ohrfeige für die USA. Snowden hat Deutschland eine wichtige Debatte verschafft. Er verkörpert den Geist von Freiheit und Aufklärung und würde sich bei uns sehr gut machen.“ Und der Regisseur Leander Haußmann: „Strafe muss sein, liebe Amis!“ Snowden soll „uns“ hier offensichtlich nur als moralisches Feigenblatt dienen. Er wird instrumentalisiert, um es den „Amis“ mal richtig heimzuzahlen.

Ein willkommener Nebeneffekt dabei: Der in den Weltkriegsniederlagen und der Besatzungszeit wurzelnde Minderwertigkeitskomplex gegenüber dem „großen Bruder“ kann endlich abgeschüttelt werden. Denn dass es die Amerikaner waren, die den Deutschen die Demokratie beibrachten, haben ihnen viele nie verziehen. Der Unternehmensberater Klaus Kocks, ein Dauergast in deutschen Talkshows, brachte das kürzlich auf den Punkt: Das demokratische Europa sei ein „zivilisatorisches Wunderwerk“ – Amerika hingegen zum „Albtraum“ verkommen. Kocks: „Die Zügellosigkeit des Erfolgsstrebens der Puritaner, Geld als Gnade Gottes, viel Geld als Auserwählung. Was GM nutzt, kann dem Land nicht schaden. Darwin hat Unrecht und Guantánamo gibt es gar nicht.“ Seine Schlussfolgerung: „Wir werden den europäischen Geist gegen den amerikanischen Ungeist stellen müssen.“

Es sind muffigste Ressentiments, die da zum Vorschein kommen. Das alte dualistische Bild: Ein degeneriertes, materialistisches und bigottes Amerika auf der einen Seite – und das kulturvolle, zivilisierte Europa auf der anderen. Transformiert ins 21. Jahrhundert – der NSA-Skandal macht’s möglich. Das ist der neue Antiamerikanismus: Die moralische Supermacht Europa erhebt sich gegen den Koloss USA. Dieser Antiamerikanismus ist brandgefährlich, weil er vordergründig zwar ein gutes Gefühl verschaffen mag, die eigenen Verfehlungen jedoch verdeckt und faktisch alles beim Alten lässt – ob Datenschnüffelei oder Demokratiedefizite. Eine solche Haltung ist alles andere als kritisch, nämlich konformistisch und reaktionär.

Artikel-URL: http://www.zeit.de/politik/deutschland/2014-02/antiamerikanismus-deutsche-medien

Erschienen in: Zeit Online, 24.2.2014