Irak-Desaster und Sex-Skandal: Bei den Kongresswahlen am 7. November könnten die US-Republikaner ihre Mehrheit an die Demokraten verlieren. Präsident Bush ist längst von seinem Motto «Kurs halten» abgekommen.
Von Tobias Jaecker, Chicago
Im kleinen Studio von Chicago Public Radio drängeln sich dutzende Reporter, Fotografen und TV-Teams. So etwas hat es hier noch nicht gegeben: Sogar aus Kanada, Norwegen und Frankreich sind Medienleute angereist. Dabei soll es an diesem Oktobermorgen nur eine Live-Debatte der beiden Kandidaten für den US-Kongress in den westlichen Vororten von Chicago geben.
Doch der Wettstreit ist hoch symbolisch. Denn neben dem Republikaner Peter Roskam tritt die Demokratin Tammy Duckworth in dem Wahlkreis an. Die 38-Jährige ist Kriegsveteranin. Als Hubschrauberpilotin der Nationalgarde verlor sie vor zwei Jahren bei einem Einsatz im Irak beide Beine. Duckworth verkörpert das, was die Amerikaner bei dieser Wahl bewegt, wie keine andere.
Bei den «midterm elections», den so genannten Zwischenwahlen, stehen sämtliche Mitglieder des Repräsentantenhauses sowie ein Drittel der Senatoren zur Abstimmung. In beiden Kammern des Kongresses haben die Republikaner zurzeit eine Mehrheit. In einigen Bundesstaaten finden zudem Gouverneurswahlen statt.
«Truppen so schnell wie möglich abziehen»
Normalerweise geht es dabei vor allem um innenpolitische Themen. Doch diesmal ist es anders. Umfragen zeigen, dass die meisten Wähler die Irak-Politik als wichtigstes Thema ansehen – und dass zwei Drittel mit dem Kurs von US-Präsident George W. Bush in dieser Angelegenheit nicht einverstanden sind.
«Sobald genug Iraker ausgebildet sind, müssen wir unsere Truppen so schnell wie möglich abziehen», sagt Tammy Duckworth in der Radiodebatte. «Außerdem will ich Rechenschaft über die Millionen von Dollar, die dort täglich ausgegeben werden.» Ihr Kontrahent windet sich um konkrete Antworten, weicht aus. Doch Duckworth bleibt hartnäckig: «Ich weiß ein bisschen über den Irak. Ich war dort.» Auch in anderen Wahlkreisen haben die Demokraten Kriegsveteranen aufgestellt. Wird es ihnen so gelingen, die Wähler auf ihre Seite zu ziehen?
«Wir halten Kurs!»
Rückblick: August, eine Pressekonferenz von Präsident Bush im Weißen Haus. Die Reporter fragen immer wieder nach der verfahrenen Lage im Irak und den Plänen der US-Regierung. Bushs stereotype Antwort: «Wir befinden uns in einem globalen Krieg und bleiben, bis der Job getan ist. Wir halten Kurs!» Die Demokraten gäben mit ihren Rückzugs-Forderungen das falsche Signal: «Die Terroristen würden uns bis nach Hause folgen.» In mehreren Reden im Vorfeld des fünften Jahrestags der Anschläge vom 11. September wiederholte Bush diese Botschaft. Seine Umfragewerte stiegen.
Doch kurz vor der Wahl am 7. November ist davon nicht mehr viel übrig. Laut einer aktuellen CNN-Umfrage sind 58 Prozent der Amerikaner mit Bushs Amtsführung unzufrieden. Die Arbeit der Abgeordneten wird ebenfalls negativ bewertet: 74 Prozent sagen, der Kongress habe den Kontakt zur Realität verloren. Lediglich ein Viertel der Bevölkerung ist mit der allgemeinen Richtung, die das Land eingeschlagen hat, zufrieden. Solche Negativ-Werte gab es zuletzt 1994. Damals beherrschten die Demokraten den Kongress – und den Republikanern gelang es, bei der Wahl beide Kammern zu erobern.
Wut der Wähler
Die gegenwärtige Wut der Wähler speist sich allerdings nicht nur aus dem Irak-Desaster. Der für die Gesetzgebung zuständige Kongress hat in den letzten Monaten kaum etwas zustande gebracht. Die groß angekündigte Reform des Einwanderungssystems – ein Prestigeprojekt von Präsident Bush – ist auf halber Strecke liegen geblieben. Die einzige Maßnahme, auf die sich das Parlament verständigen konnte, war der Bau eines gigantischen Zauns an der Grenze zu Mexiko. Für die zwölf Millionen Menschen, die ohne gültige Papiere im Land leben, gibt es immer noch keine Lösung.
Ähnlich sieht es beim Thema Stammzellforschung aus. Hier wollte der Kongress eine Liberalisierung, doch diesmal stoppte Bush das Vorhaben – durch sein Veto. Nun erhält er die Quittung: Zahlreiche Demokraten greifen das Thema im Wahlkampf auf. Unterstützt werden sie dabei von dem an Parkinson erkrankten Schauspieler Michael J. Fox, der in einem Aufsehen erregenden Werbespot für die demokratischen Kandidaten in Missouri wirbt.
Auch die Steuersenkungspolitik, von den Republikanern neben dem Anti-Terror-Kampf als zweites zentrales Wahlkampfthema auserkoren, vermag nicht mehr zu ziehen: Ein Großteil der Erleichterungen für die Mittelklasse wird von steigenden Gesundheitskosten und Steuererhöhungen auf lokaler Ebene wieder aufgefressen. So trauen die Wähler den Demokraten derzeit selbst in der Wirtschaftspolitik mehr zu, und das trotz steigender Börsenkurse und sinkender Benzinpreise.
«Es fehlt ein schlüssiges Konzept»
Downtown Chicago, State Street. Zum Mittagessen eilende Business-Leute bestimmen das Bild, vom Wahlkampf ist hier nichts zu sehen. «Der Regierung fehlt ein schlüssiges Konzept», sagt Edward Novak, der als Anwalt in einer großen Wirtschaftskanzlei arbeitet. «Steuersenkungen schön und gut, aber was haben wir davon, wenn gleichzeitig der Schuldenberg immer größer wird?» Jenny De Luca, Kellnerin in einem Straßencafé, spottet nur müde: «Das ist doch ein Haufen korrupter Leute, die an ihren Sesseln kleben.»
Tatsächlich wird der Kongress seit Monaten von Skandalen erschüttert. Da ist zum einen die im Frühjahr bekannt gewordene Korruptionsaffäre um den Lobbyisten Jack Abramoff, der in den letzten Jahren über vier Millionen Dollar an zahlreiche Mitglieder des Kongresses gezahlt haben soll – die meisten davon Republikaner.
Skandal um Foley
Ausgestanden ist die Sache noch lange nicht. Vor zwei Wochen erst musste der Abgeordnete Bob Ney zugeben, Geld und andere Zuwendungen für politische Gegenleistungen angenommen zu haben.
Im Oktober wurde das alles noch in den Schatten gestellt: Durch den Skandal um den inzwischen zurückgetretenen Abgeordneten Mark Foley, der minderjährigen Kongress-Helfern Emails mit sexuell anzüglichem Inhalt geschickt hatte. Zur ganz großen Nummer wurde die Sache allerdings erst, als bekannt wurde, dass der Sprecher des Repräsentantenhauses, Dennis Hastert, offenbar mehrfach auf Foleys Umtriebe hingewiesen worden war. Seitdem steht Hastert im Kreuzfeuer der Kritik – und den im Wahlkampf befindlichen republikanischen Kandidaten hängt ein weiterer Mühlstein um den Hals.
«Versagen im Irak»
«Wie schlecht wird es sein?», fragte kürzlich sogar der «Weekly Standard», eine der wichtigsten Publikationen der US-Konservativen, in Bezug auf die bevorstehende Wahl. Fred Barnes analysierte in seinem Kommentar: «Der Foley-Skandal hat den Republikanern in zweierlei Hinsicht geschadet – er hat sie in ihrer Schwungkraft gestoppt und er hat die Erzählung des Wahlkampfs geändert. Der Fokus liegt nicht mehr auf der nationalen Sicherheit, einer Stärke der Republikaner, sondern auf dem gesetzeswidrigen Verhalten in Washington und dem Versagen im Irak.«
Dazu tragen auch Querschüsse aus den eigenen Reihen bei. So geißeln christliche Konservative lautstark die «Unmoral» in der republikanischen Partei, in rechten Internet-Blogs kursieren Gerüchte über angeblich schwule Abgeordnete.
»Untergang des Abendlandes«
«Den Republikanern fällt es schwer, ihre Leute zusammenzuhalten», sagt Thomas F. Schaller, Politikwissenschaftler an der University of Maryland. Sehr deutlich werde das beim Thema Einwanderung: «Die christliche Rechte redet vom Untergang des Abendlandes und die Wirtschaftskonservativen scheren sich nicht darum», so Schaller zur Netzeitung. «Die Partei ist da in einer Zwickmühle, weil die Christen viele Wähler mobilisieren können, der Wirtschaftsflügel dagegen Spendengelder.»
In den meisten Umfragen liegen die Demokraten derzeit etwa 15 Prozent vor den Republikanern. Haben sie den Sieg schon in der Tasche? «Das glaube ich erst am Wahltag», sagt Schaller. Der Grund: Bedingt durch Mehrheitswahlrecht und Zuschnitt der Wahlkreise verfügen die Republikaner über eine deutlich höhere Anzahl sicherer Mandate.
Mindestens 15 Sitze im Repräsentantenhaus und sechs im Senat müssen die Demokraten hinzugewinnen, um eine Mehrheit zu erringen. Vor allem bei der Senatswahl dürfte es knapp werden. Hier benötigen sie einen Sieg in mindestens vier der fünf heiß umkämpften nordöstlichen Bundesstaaten Missouri, Tennessee, New Jersey, Rhode Island und Virginia. Die Parteien konzentrieren ihre Kampagnen denn auch stark auf diese Gebiete.
Negativ-Werbung
Wie nie zuvor setzen die Wahlstrategen zudem auf Negativ-Werbung in Form von TV-Filmen, in denen aggressiv die Kandidaten der gegnerischen Partei angegriffen werden. Oft geht es dabei tief unter die Gürtellinie. In Tennessee zum Beispiel schalteten die Republikaner einen Spot, in dem angedeutet wird, der demokratische Senats-Kandidat Harold Ford Jr. sei ein Playboy und habe Geld von Porno-Produzenten bekommen. Zum Schluss lächelt eine Blondine in die Kamera und haucht: «Call me!»
So ganz lässt sich die trübe Realität dann aber doch nicht überdecken. Die Lage im Irak wird immer chaotischer – allein im Oktober wurden 93 US-Soldaten getötet, eine Rekordzahl. Als Präsident Bush am Mittwoch in Washington vor die Presse trat, zeigte er sich «ernsthaft besorgt». Der Weg zum Sieg werde «nicht leicht» sein, doch die USA seien in ihrem Kampf gegen den Feind «flexibel» und würden ihre Taktik ständig der aktuellen Entwicklung anpassen, so Bush. Von «Kurs halten» war keine Rede mehr.
Artikel-URL: http://www.netzeitung.de/ausland/449137.html
Erschienen in: Netzeitung, 27.10.2006