Das Netz-Phänomen „Loose Change“

Der Dokumentarfilm „Loose Change“ zum 11. September will zeigen, dass es einen islamistischen Terroranschlag nicht gegeben hat. Das WTC sei dagegen von einer Cruise Missile gesprengt worden. „Loose Change“, was so viel wie „Beginnender Wandel“ bedeutet, wurde bislang im Internet von etwa zehn Millionen Nutzern gesehen. Über den Film „Loose Change“ sprach Deutschlandradio Kultur mit dem Journalisten Tobias Jaecker in Chicago. Er ist Autor des Buches „Antisemitische Verschwörungstheorien nach dem 11. September – Neue Varianten eines alten Deutungsmusters“.

Deutschlandradio Kultur: Sie haben die Verschwörungstheorien zum 11. September auf ihre antisemitischen Motive hin untersucht. Den Film „Loose Change“ kennen Sie. Welche Rolle spielen hier antisemitische Motive Ihrer Ansicht nach?

Jaecker: Im Film spielen Sie keine so große Rolle, allerdings tauchen Versatzstücke darin auf. Zum Beispiel wird behauptet, dass Larry Silverstein, ein amerikanischer Jude und Besitzer des World Trade Center, von dem Crash profitiert hätte, weil das Gebäude doppelt versichert gewesen sei. Das sind Versatzstücke, die immer wieder auftauchen und die jetzt auch in diesem Film auftauchen. Andere Verschwörungstheorien besagen zum Beispiel, dass überraschend wenig Juden oder Israelis in dem Gebäude gewesen seien, und das wäre doch ein Hinweis darauf, dass sie vorgewarnt worden seien. Zum Teil wird dann behauptet, der Mossad habe von den Anschlägen im Voraus gewusst, aber auch die CIA gewarnt, es ist alles etwas schräg und verworren. Aber es ist immer wieder erstaunlich, dass, zum Teil versteckt, auf Juden hingewiesen wird, die da irgendwie ihre Finger im Spiel gehabt haben sollen.

Warum ist dieser Film so erfolgreich?

Ich glaube, er ist vor allem deshalb so erfolgreich, weil er alles, was so in der Welt ist und was so im Internet kursiert, was zum Teil auch in seriösen Medien gesendet und geschrieben worden ist, in einer relativ geschickten Weise zusammenfasst. Man kann das so ein bisschen mit Michael Moore vergleichen. Es ist ein ansprechend gemachter Dokumentarfilm, mit Musik unterlegt in einer auch sehr suggestiven Weise. Da wird eine runde Geschichte erzählt. Das Ganze ist ja eingerahmt mit historischen amerikanischen Verschwörungstheorien um Kennedy, Kuba-Invasion und so weiter und dann wird die Geschichte des 11. September erzählt. Das Ganze erscheint, wenn man es so anschaut und unvoreingenommen ist, durchaus logisch. Es ist einfach sehr geschickt gemacht und ich glaube, das hat den Erfolg des Films im Wesentlichen ausgemacht.

Gibt es auch Leute, die den Film bekämpfen, also gibt es Gegenkräfte?

Es gibt auch Gegenkräfte, im Internet ist da eine Menge los an Foren, Blogs und so weiter. Eine Seite heißt zum Beispiel „Screw loose change“ und listet diverse Fehler auf, die in dem Film auftauchen, das sind etwas über 80 laut dieser Seite. Es ist halt alles etwas schwierig: Man kann Details an solchen Verschwörungstheorien, an solchen Filmen kritisieren und widerlegen, aber im Grunde kommt man damit nicht weiter, weil solche Verschwörungstheorien immer alles Mögliche, kursierende Gerüchte, Aussagen von Augenzeugen und so genannten Experten, zusammenfassen und zu einem Mix verrühren, und wenn man da irgendwo anfängt, etwas widerlegen zu wollen, dann kommt man im Grunde nicht weiter, weil es so ein Wust an Sachen ist.

Ich weiß, dass die Frage naiv ist, aber könnte man solche Theorien nicht schlichtweg durch Argumente entkräften?

Das ist eben schwierig. Über die Hintergründe des 11. September ist zum Teil tatsächlich wenig bekannt, es ist nur in Ansätzen untersucht und erfasst, wie das Ganze abgelaufen sein könnte, und deshalb haben es Verschwörungstheoretiker leicht in einer solchen Situation. Eigentlich immer, wenn eine sehr verworrene, undurchschaubare Situation besteht, entstehen solche Verschwörungstheorien. Das war bei allen Krisen, Umbrüchen oder auch im Zusammenhang mit Kriegen eigentlich immer der Fall, dass Verschwörungstheorien geboomt haben.

In Deutschland wird diese Verschwörungstheoretiker-Szene vor allem von drei Gestalten beherrscht: Dem taz-Journalisten Mathias Bröckers, dem Bundesminister a.D. Andreas von Bülow und dem WDR-Reporter Gerhard Wisnewski. Sind das einzelne Streiter für ihre Sache oder gibt es in Deutschland schon eine wirkliche Szene, eine Art Gemeinde für derlei Denken?

Grundsätzlich sind das schon Einzelstreiter. Jeder schreibt seine Bücher, hat seine Webseite und verweist eigentlich lieber auf amerikanische Quellen oder Quellen im europäischen Ausland. Die Theorien sind auch ein bisschen unterschiedlich gestrickt und aufgebaut. Bröckers zum Beispiel geht eher ironisch mit dem Ganzen um, da weiß man immer nicht so genau: Glaubt er das jetzt wirklich oder macht er sich eigentlich nur einen Spaß daraus. Wisnewski und von Bülow wirken dagegen eher verbissen…

Was wollen diese Leute, außer Recht zu haben?

Das ist wirklich schwer zu sagen. Zum Teil wollen sie natürlich ihre Bücher verkaufen, wollen publizieren, genießen vielleicht auch so ein bisschen den Ruhm, den sie durch ihre so genannten Recherchen gewonnen haben. Was sie wirklich wollen, kann ich nicht sagen. Man kann aber sagen, dass es inzwischen auch einen regen Austausch gibt zwischen den Verschwörungstheoretikern, es gab diverse Treffen in den USA, aber auch in Deutschland, wo sich Verschwörungstheoretiker ausgetauscht haben, und man kann sagen, inzwischen ist schon so eine Art weltweite Community entstanden, die diese große Theorie weiterstrickt und mit immer neuen Details anreichert, aber eben auch Sachen wiederholt. Der Film „Loose Change“ wärmt eigentlich auch nur alte Sachen auf, und Gerhard Wisnewski zum Beispiel hat auch auf seiner Webseite darauf hingewiesen, dass er in seiner eigenen Dokumentation eigentlich alles schon behandelt hätte, was in diesem Film auftaucht.

Gibt es bei diesen Verknüpfungen auch gewisse Meinungen oder Ansichten, bei denen linke wie rechte Radikale übereinstimmen, also ganz entschieden sich treffen?

Das gibt es auf jeden Fall, und gerade das ist der Fall, wenn es um antisemitische Verschwörungstheorien geht, da gibt es ganz frappierende Ähnlichkeiten. Wenn man sich zum Beispiel Berichte aus der National-Zeitung anschaut, der NPD-Zeitung, oder die Webseite von Horst Mahler, und dann Theorien daneben hält wie etwa von Bröckers. Beide behaupten etwa, dass der Mossad im Voraus von den Anschlägen gewusst haben müsse, dass die israelische Regierung mit dieser „Tatsache“ auch sehr offensiv umgehen würde und davon ausgehen würde, man müsse keine Angst haben vor Druck aus Amerika, wenn man hart gegen die Palästinenser vorgeht, denn Israel weiß eigentlich alles, was da in Amerika abläuft, auch im Geheimen, der Mossad höre zum Beispiel alle amerikanischen Telefone ab oder habe eine Möglichkeit dazu. Das sind ganz krude Theorien, wo Linke und Rechte dasselbe behaupten. Das gleiche, muss man sagen, ist beim Irak-Krieg der Fall, wo linke wie rechte Verschwörungstheoretiker behaupten, dass insbesondere jüdische Neokonservative in den USA, zum Beispiel der damalige stellvertretende Verteidigungsminister Paul Wolfowitz, Richard Perle und so weiter diesen Irak-Krieg angezettelt haben, und zwar nicht im amerikanischen, sondern im israelischen Interesse, um nämlich den Nahen und Mittleren Osten zu befrieden und so Israel eine sichere Heimstätte zu geben. Das sind Theorien, die links wie rechts verbreitet sind, da gibt es eigentlich kaum Unterschiede.

Fragen: Jürgen König

Deutschlandradio Kultur, Fazit, 8.8.2006