Von Mücken und anderen Saugern

Eine antiamerikanische Karikatur der Zeitschrift „metall“ stößt auf heftige Kritik

Von Tobias Jaecker

Die Geister, die SPD-Chef Franz Müntefering mit seiner Antikapitalismus-Offensive aus der Flasche ließ, sind offenbar nicht wieder einzufangen. Seit Wochen wird weniger über Fehlentwicklungen in der hiesigen Wirtschafts- und Finanzordnung diskutiert als vielmehr über skrupellose „angelsächsische Finanzinvestoren“ und gierige „Heuschrecken“. Vorläufiger Höhepunkt: Die Mai-Ausgabe des Gewerkschaftsmagazins metall, Auflage zwei Millionen. „US-Firmen in Deutschland: Die Aussauger“ heißt es auf dem Titel. Daneben prangt die Karikatur einer grinsenden Mücke mit „Stars and Stripes“-Zylinder, gebogenem Rüssel, blitzendem Goldzahn, Euro-Zeichen in den Augen und Geldkoffer. Im Heft wird das „asoziale Verhalten“ und die „Renditegier von US-Firmen“ gegeißelt: „Sie kaufen deutsche Firmen auf, saugen die Euros aus den Betrieben ohne Rücksicht auf Menschen und Regionen wie Mücken das Blut, um den Rest dann weiter zu verscherbeln.“

Sebastian Wertmüller, DGB-Regionalchef für Niedersachsen-Mitte, ist entsetzt. „Hier wird ausschließlich das amerikanische Finanzkapital kritisiert, obwohl auch deutsche Unternehmen wie VW Betriebsteile ins Ausland verlagern“, sagt Wertmüller. Mit der Gegenüberstellung von „raffendem“ und „schaffendem“ Kapital werde zudem ein „völlig eindimensionales Bild von Wirtschaft“ vermittelt: „Ungesunde, böse Kräfte, die aus einem gesunden Unternehmen Geld saugen – das ist eine Metaphorik, die häufig antisemitisch besetzt ist.“

Bei der IG Metall will man das nicht gelten lassen. „Wir haben das Vorgehen einiger anonymer Fonds dargestellt und wollten keinesfalls jüdische Mitbürger angreifen, sondern diese Finanzhaie“, sagt metall-Chefredakteur Werner Hoffmann der Jüdischen Allgemeinen. Und: „Es geht nicht nur gegen die Amis.“ Bestärkt fühlt sich Hoffmann durch die große Leserresonanz. „Der Artikel beschreibt die Situation so, wie das viele Kollegen selbst erleben. Wir haben einen Nerv getroffen.“ Satire müsse überspitzen, damit sie Aufmerksamkeit erreiche. „Wir müssen da nichts zurücknehmen.“

Andrei S. Markovits, US-Politikwissenschaftler an der University of Michigan, hält das für gefährlich. „Es ist kein Zufall, dass die Mücke auf dem Titelbild keinen Mercedes- Stern trägt“, sagt Markovits im Gespräch mit der Jüdischen Allgemeinen. „Die Globalisierung wird von vielen Menschen als ,Amerikanisierung‘ empfunden.“ Die komplexen Vorgänge würden damit aber nur scheinbar erklärt. Markovits: „Amerika wird zu einem bequemen Kürzel für eine abstrakte Sache. Der globalisierte Kapitalismus wird als schlecht empfunden, also ist Amerika böse.“

Beispiele für diese Art Antiamerikanismus gibt es zur Genüge. „Methode Wild-West“ titelte der stern auf dem Höhepunkt der Opel-Krise 2004 – und zeigte eine zu einem Opel-Zeichen formierte Menschenmenge, die von einem überdimensionierten Cowboy-Stiefel in den amerikanischen Farben mit dem Logo des US-Automobilkonzerns General Motors zertreten zu werden droht. Nicht selten kommen auch antisemitische Bilder mit ins Spiel. So plakatierten die Globalisierungskritiker von attac einen böse dreinschauenden „Uncle Sam“, der eine Weltkugel an der Strippe hält. Das Bild vom angloamerikanischen – jüdischen – Finanzkapital, das hinter den Kulissen die Weltpolitik bestimmt, reicht lange zurück. Der deutsche Geopolitiker Karl Haushofer schrieb bereits 1918, die Amerikaner seien wie ein „Raubtier, das mit jeder Miene heuchelt und in Wirklichkeit bloß nach Fraß für seinen unersättlichen, dollarlüsternen Bauch umherschnappt“.

Die NPD lobt SPD-Chef Müntefering angesichts der Debatte schon als „Stichwortgeber und Wahlkampfhelfer“. Doch es regt sich auch Protest. Der metall-Bericht sei „ein Griff zum letzten Strohhalm, weil man in den Fabriken nichts mehr ausrichten kann“, sagt Jörg Finkenberger von der DGB-Jugend Würzburg. Er hat einen Protestbrief verfasst, den Dutzende Gewerkschafter unterzeichnet haben. „Seit es den Stürmer nicht mehr gibt, sieht man solche Karikaturen hierzulande eher selten“, heißt es darin. „Euer Titelbild ist ein Schlag ins Gesicht aller derjenigen KollegInnen, die sich gegen Antisemitismus engagieren.“

Erschienen in: Jüdische Allgemeine, 19.5.2005