Wohnklos zu Privateigentum

Preiswerte Studentenbuden sind in Berlin rar geworden. Wer etwas Geld lockermachen kann, hat jetzt eine Alternative: Den Erwerb einer landeseigenen Bestandswohnung

Von Tobias Jaecker 

Wer jung ist und studiert, wohnt heute in Friedrichshain oder Prenzlauer Berg. Vielleicht auch in Kreuzberg. Aber im gutbürgerlichen Westend? In der Gegend unweit des Olympiastadions sind vor allem wohlgekleidete ältere Damen anzutreffen, die ihre Hündchen spazieren führen. Auf den Gehwegen stehen mit Herbstlaub gefüllte Plastiksäcke zur Abfuhr bereit. Altehrwürdige Bäume recken ihre kahlen Äste in den Himmel. Die Wohnblocks sind beige verputzt und mit dunkelrotem Backstein abgesetzt. Rentner und Familien sind hier zu Hause. Und, tatsächlich, eine Studentin.

„Die Gegend ist eigentlich recht nett“, sagt Beatrice Olbrich. Die 20-jährige VWL-Studentin bewohnt eine 2-Zimmer-Wohnung in der Westendallee. 65 Quadratmeter, mit Einbauküche und frisch gefliestem Bad. Miete: keine – die Behausung ist ihr Eigentum. „Das ist auf lange Sicht günstiger, als Monat für Monat Miete zu zahlen“, sagt Olbrich. Da preiswerte Studentenbuden auf dem Berliner Mietwohnungsmarkt kaum noch zu ergattern sind, kam ihr das Kaufangebot der VVG Grundvermögens- und Vertriebsgesellschaft gerade recht.

Die VVG bemüht sich seit 1996 um den Verkauf von rund 11.000 Mietwohnungen im Westteil der Stadt aus dem Bestand der städtischen Wohnungsbaugesellschaft GSW. Im Angebot sind Alt- und Sozialbauten der Zwanziger- bis Sechzigerjahre. „Die Wohnungen haben meist eine Größe von ein bis zwei Zimmern und sind uninah gelegen, deshalb werben wir gezielt um Studenten als Käufer“, sagt Ljiljana Martinac, Vertriebsleiterin bei der VVG. Allein in diesem Jahr konnten rund 600 Wohnungen veräußert werden.

Wie viele von Studierenden bewohnt werden, ist jedoch schwer abzuschätzen. „Wir gehen davon aus, dass die Wohnungen meist von den Eltern erworben werden“, sagt Martinac. So geschehen auch im Fall von Beatrice Olbrich: Als der Auszug der Kinder bevorstand, verkaufte Beatrices Mutter kurzerhand das Eigenheim in Spandau und erstand für den Erlös zwei kleinere Wohnungen für sich und ihre Tochter. Kaufpreis: je 165.000 Mark.

Wer solch eine Summe nicht so ohne weiteres auf den Tisch blättern kann, hat in Berlin seit Sommer diesen Jahres die Möglichkeit, ein zinsverbilligtes Darlehen aufzunehmen. Um den Verkauf der landeseigenen Bestandswohnungen anzukurbeln, hat der Senat nämlich ein Förderprogramm aufgelegt. „Die Wohnung muss bereits einmal vermietet gewesen sein und darf nur vom Käufer oder einem Familienangehörigen genutzt werden“, erläutert Volker Leimert von der Investitionsbank Berlin die Konditionen. „Dazu zählen natürlich auch Studenten, deren Eltern eine Wohnung erworben haben.“ Das Darlehen beträgt bis zu 1.800 Mark pro Quadratmeter, Zinssatz und Laufzeit sind einkommensabhängig. Eine allein stehende Person mit einem Jahreseinkommen von 44.400 Mark kann beispielsweise ein mit zwei Prozent verzinstes Darlehen mit einer Laufzeit von 16 Jahren aufnehmen. Der finanzielle Eigenanteil muss mindestens zehn Prozent des Kaufpreises betragen.

Solche Bedingungen können wohl nur die wenigsten Studenten aus eigener Kraft erfüllen. Doch der Preis lässt sich spürbar senken, wenn die Wohnung in Eigenarbeit renoviert wird. „Wir kümmern uns in jedem Fall um den einwandfreien äußeren Zustand des Wohnhauses“, sagt Ljiljana Martinac von der VVG. „Inwieweit wir auch die Wohnung auf Vordermann bringen, handeln wir dann mit dem Käufer aus.“ Auch Beatrice Olbrich musste noch einige Arbeit in ihre Wohnung stecken. „Das war schon alles recht verwohnt hier“, sagt sie. Doch nun ist sie zufrieden mit ihrer neuen Bleibe. „Ich bin zwar die einzige Studentin im Haus, aber die Nachbarn sind durchweg freundlich und freuen sich, dass hier noch ein jüngerer Mensch wohnt.“ Auch eine laute Party sei überhaupt kein Problem.

Bleibt nur die Frage, warum man sich bereits im Studentenalter eine Eigentumswohnung ans Bein bindet. Doch Beatrice Olbrich sieht das alles weniger eng. „Ich werde zwar auf absehbare Zeit in Berlin bleiben. Wenn ich aber mal wegziehen sollte, kann ich die Wohnung ja immer noch vermieten.“ Und damit vielleicht einen wohnungssuchenden Studenten glücklich machen.

Erschienen in: taz, 4.12.1999