“Besiegt”

Im Kosovo-Krieg agierten die deutschen Medien als Gehilfen der Nato. Sie verbreiteten Demagogie und Propaganda

Von Tobias Jaecker

Die Schlacht ist geschlagen, der Feind besiegt. In den deutschen Massenmedien war der Kosovo-Krieg eine große moralische Erzählung. Wer aus dieser Erzählung ausbrechen wollte, wurde erbarmungslos stigmatisiert. Wer nicht auf der Seite der Guten stand, war entweder wahnsinnig oder verräterisch, in jedem Fall aber ein Freund Milosevics und der Fünften Kolonne Belgrads angehörig.

In den Medien, die mit diesem Kampfepos einen „Krieg der Moral gegen die Vernunft“ (Georg Seeßlen) führten, wurden Differenzierungen nicht zugelassen. Durch die emotionalisierte Berichterstattung wurde die Komplexität des Themas auf ein einfaches Deutungsmuster reduziert. Worte wie Keulen: „Vertreibung“, „Deportation“, „Völkermord“. Von den Machtinteressen der Kriegsparteien wurde nicht gesprochen. Der Bruch des Völkerrechts: Peanuts. Es ging ja um „die Menschen“.

Täter

Da war klar, daß gehandelt werden mußte. Der „wahnsinnige Schlächter“ („Bild“), der „irre Serbe“ hatte „uns in den Krieg gestürzt“ („Berliner Kurier“) und mußte bekämpft werden. Gab vor wenigen Jahren noch der in Organisierte Kriminalität und Drogenhandel verwickelte ethnische Albaner das Feindbild ab, wurden nun die Serben zu Unmenschen erklärt, deren beispiellose Brutalität ihnen schon seit Jahrhunderten angezüchtet worden sei. Um die Bevölkerung für den Krieg zu gewinnen, mußte an das archaische Gefühl des Hasses gerührt werden. Die Herabsetzung des Feindes, seine Dämonisierung und Dehumanisierung geschah im verbalen und visuellen Krieg der Medien wie von selbst.

Mit der Wahrheit nahm man es da nicht so genau. Udo Röbel, Chefredakteur der „Bild-Zeitung“, verteidigte ein auf dem Titelblatt prangendes Foto eines albanischen Flüchtlingstrecks mit der Überschrift „…Sie treiben sie ins KZ“ mit der Begründung, dieses Bild sei „so eindrucksvoll“ gewesen, es habe „eigentlich für sich selbst“ gesprochen. Und „wenn dann an diesem Tag der Verteidigungsminister von KZs in Serbien oder im Kosovo“ spreche, dann bekomme es „mit diesem Bild und dieser Zeile eine unheimliche Dramatik.“

Nachdem die Nato Falschmeldungen über angeblich von Serben liquidierte albanische Intellektuelle in Umlauf gebracht hatte, tauchten diese lebendig wieder auf. Im angeblich vollgepferchten Konzentrationslager im Sportstadion von Pristina war nicht einmal der Rasen zertrampelt. Die Medien als Verbreiter der Kriegspropaganda: Durchaus nicht ohne Logik, schließlich war der Krieg für sie in erster Linie ein Quoten- und Auflagenhit.

Und Futter wurde pausenlos nachgeschoben. Die täglichen Presse-Briefings des Verteidigungsministeriums in Bonn und der Nato in Brüssel glichen Präsentationen einer Werbeagentur. Da führte Nato-Sprecher Jamie Shea Computer-Animationen mit den präzisen „Luftschlägen“ der Allianz vor. Es gab nur Volltreffer. Verwackelte Videos obskurer Herkunft zeigten die Greueltaten der Serben im Kosovo. Aufs serbische Konto ging auch die „millionenfache Vertreibung, muß man ja fast schon sagen“ (Rudolf Scharping). Und die Medien waren immer dabei. Allzu willig und kritiklos sorgten sie für die Verbreitung des von der Militärzensur ausgewählten und bearbeiteten Materials.

Die von den hiesigen TV-Stationen gesendeten Filmsequenzen des serbischen Fernsehens mit brennenden Wohnhäusern und verkohlten Leichen wirkten dagegen fast irreal, konterkarierten sie doch den sauberen Krieg. Aber selbst diese „Kollateralschäden“ wurden den Serben angedichtet: Nach „Informationen“ des Fernsehsenders SAT.1 habe es Indizien dafür gegeben, daß das serbische Militär im Besitz eines elektronischen Systems gewesen sei, mit dem es Einfluß auf die Flugbahn von Raketen nehmen konnte. Fehlgeleitete Nato-Bomben seien auf solche Störsignale der Serben zurückzuführen gewesen.

Opfer

Nach den ersten Kriegstagen begannen die Medien allmählich, kritische Fragen zu stellen und nach dem „Sinn“ der Angriffe zu suchen. Die Dramatik wankte, die fernsehgerechte Erzählung hatte zu stocken begonnen. Erst die nun einsetzenden Flüchtlingsströme mit ihren aufrüttelnden Bildfolgen ließen die Kritiker wieder verstummen. Im Zentrum der Berichterstattung standen nun die Opfer. Im Fernsehen: Verzweifelte Gesichter, weinende Frauen, schreiende Kinder. Reportagen über das Leben in den Flüchtlingslagern. Anrührende Bilder, die Emotionalität lieferten. „Der gehört mir“, sollen sich Journalisten beim Eintreffen der ersten Kosovo-Flüchtlinge in Deutschland gestritten haben.

Die Macht des Bildes ersetzte jedes Argument. Dabei brauchte man nicht einmal besonders weit zu schauen, um Vergleichbares zu finden. Von den ehemals 650.000 Serben in Kroatien flüchteten in den letzten Jahren insgesamt 600.000, aus Zentralbosnien ebenso viele. Dies paßte jedoch genauso wenig in die Erzählung wie die mordenden UCK-Kämpfer, die ja auf der Seite der Guten standen. Sie wurden von Terroristen zu Freiheitskämpfern geadelt.

Den Opfern auf Seiten des Feindes hingegen widerfuhr dieses Glück medialer Aufmerksamkeit nicht. Für sie wurden die Spendengalas im Fernsehen nicht veranstaltet, Mitleid blieb ihnen verwehrt. Im Gegenteil: Schließlich sang das verblendete Volk noch im Luftschutzkeller „nationalistische Lieder“ (ARD). Wahrlich, sie hatten es nicht anders verdient. Und durch nichts wurde dieser Zynismus besser verdeutlicht als durch das häßliche Reden vom „Kollateralschaden“.

Retter

Bei all dem menschlichen Leid der Kosovaren schien es indes nur eine Lösung zu geben: Die chirurgisch saubere Luftoperation. Walther Stützle, Oberleutnant der Reserve, drückte das im ARD-„Brennpunkt“ so aus: „Es geht nicht um militärische Einsätze, sondern es geht in der Tat um den politischen Versuch, das Morden im Kosovo zu beenden.“ Er bitte „doch herzlich darum, nicht von Nato-Bombardierungen zu sprechen.“ Dies sei ein „Schlagwort“ und „der Situation gar nicht angemessen.“ So konstruiert man Medienrealität.

Wie vielschichtig die Interessen der Kriegsparteien auch lagen: Der Krieg schien auch kathartische Wirkung für die Beteiligten gehabt zu haben. Den Deutschen gab er das langersehnte Gefühl, einmal auf der richtigen Seite zu stehen. Und die eigene blutige Geschichte konnte gleich mit entsorgt werden. Mit Wortgewalt wurde der Beweis erbracht, daß Auschwitz eben nicht einzigartig sei. Milosevic, der „zweite Hitler“ („Berliner Zeitung“), mußte besiegt, das Kosovo befreit werden. Deutschland konnte „wiedergutmachen, was es während des Nazifaschismus verbrochen hatte“, wie der US-amerikanische Journalist Don Jordan im deutschen Fernsehen befand.

Und mit den neuesten Errungenschaften der Waffenindustrie lief es wie am Schnürchen. Die passenden Bilder lieferten die in den Nato-Bombern und Bombensprengköpfen installierten Kameras per Satellit gleich mit. Die Ästhetik des Tarnkappenbombers. Ein audiovisuelles Spektakel, in dem lediglich einer fehlte: der neutrale Beobachter. Die bildergeilen Medien nahmen, was sie kriegten. Aus Angst, überhaupt nichts mehr zu bekommen.

Erst nach dem Beschuß der chinesischen Botschaft wurde der Ton der Kriegsberichterstatter fragender. Der „für die ganze Gesellschaft stellvertretend“ ausgetragene Streit der Grünen um den Krieg wurde mit deren Himmelfahrtsparteitag zum medialen High-noon. Und doch war bereits alles entschieden. Die wenigen restlichen Querulanten dienten nur noch der Simulation von Opposition. Sie wurden vom Medientenor übertönt. So konnte sich der kritische Zuschauer über den Mut eines Klaus Bednarz freuen, derweil die Geschäfte weitergingen.

Doch dann war der Krieg auch schon beendet, der Schlächter „besiegt“ („B.Z.“). Die Inszenierung konnte indes noch gesteigert werden: Endlich gab es die langersehnten Bilder aus dem Kosovo. Deutsche Soldaten als Befreier, von jubelnden Menschen begrüßt. Eine Frau steigt auf den Panzer und küßt den deutschen Soldaten. Die Deutschen „haben alles im Griff“ (ARD-„Brennpunkt“). An der Heimatfront derweil, im Bundestagsplenum, überreicht die Grüne Fraktion ihrem Außenminister zwei Blumensträuße.

Und endlich der Beweis: Mit den zahlreichen entdeckten Massengräbern bekommt der Krieg seine letztgültige Legitimation. Die Frage nach Ursache und Wirkung aber wird wieder nicht gestellt. Furchtbare Verbrechen wie die des serbischen „freundlichen Massenmörders“ Zoran Petkovic, einem „Mann mit einer Mission und einer Kalaschnikow“ („taz“), dringen an die Öffentlichkeit. Die „Bestie in Menschengestalt“ spricht für sich.

Aus Serbien hingegen erreicht uns kaum noch ein Bild. Der national geprägte Blick der Medien richtet sich auf die „Friedens-Invasion“ („B.Z.“) der im „deutschen Sektor“ um Prizren stationierten Soldaten. Drängende Fragen: Wie lebt es sich dort? Was wird gegessen? Sigmund Gottlieb meldet sich mit der ARD-Livesendung „Operation Kosovo“ direkt aus dem Lagezentrum der Bundeswehr. Deutsche Soldaten auf Patrouille, in der Feldküche, beim Skatspiel. Und am heimischen Bildschirm wird mitgefiebert.

„Die Menschen genießen die neue Freiheit“, heißt es. Aber auch: „Die Zeichen kehren sich um“. Es häufen sich Berichte von Serben, die zu Opfern rachsüchtiger Kosovo-Albaner wurden. Die Erzählung wendet sich. Die Friedensbringer aber bleiben die Guten.

Erschienen in: blatt 3/1999