Querfront durch die Mitte

Ukraine-Krieg, IS-Terror, Flüchtlingskrise: An allem ist Amerika schuld, tönt es von rechts wie links. Die neue Querfront mag auf den ersten Blick überraschen. Tatsächlich boomen Ressentiments und Verschwörungstheorien in der ganzen Gesellschaft.

Von Tobias Jaecker

Die AfD ist im Aufwind. Die Stimmungsmache gegen Flüchtlinge beschert den Rechtspopulisten immer mehr Zuspruch. Die Kommentare der AfD-Sympathisanten auf der Facebook-Seite der Partei lassen tief blicken: Da wird etwa in Nazi-Manier von einem geheimen Plan einer „systematisch gelenkten Überfremdung und Umvolkung Deutschlands“ geraunt. Ein anderer schreibt: „In meinen Augen ist das eine Invasion, und zwar eine gezielte.“

Auch in der Szene der Verschwörungstheoretiker wird das Thema heiß diskutiert. Dort kursiert der Begriff der „Migrationswaffe“. Es sei „der genialste Krieg aller Zeiten“, schreibt Bestseller-Autor Gerhard Wisnewski bei „Kopp Online“. Die Bilder von geflüchteten Frauen und Kindern sollten „uns moralisch wehrlos machen“. So könne die Terrorgruppe IS ihren Krieg klammheimlich auf Europa ausweiten – „wobei man IS bekanntlich immer mit CIA beziehungsweise USA übersetzen muss“. Der Publizist Ludwig Watzal, ein ehemaliger Mitarbeiter der Bundeszentrale für Politische Bildung, berichtet in seinem Blog von angeblichen Meldungen, „nach denen die USA pro Flüchtling den internationalen Schleuserbanden Tausende von Euro zahlen, um Europa politisch zu destabilisieren, um es willfähriger für weitere US-Eroberungskriege, wie zum Beispiel in der Ukraine, zu machen.“ Und der CDU-Politiker und Ex-Verteidigungs-Staatssekretär Willy Wimmer behauptet in einem Interview mit dem früheren Radiomoderator Ken Jebsen auf dessen Web-Portal „KenFM“, der Einsatz der „Migrationswaffe“ zeige, dass die Deutschen „nicht mehr Herr im eigenen Haus“ seien. Man müsse „davon ausgehen, dass die vollziehende Gewalt in unserem Land eigentlich durch den amerikanischen Präsidenten dargestellt wird.“

Antiamerikanische Verschwörungstheorien sind in Krisenzeiten der Renner – nicht nur am rechten Rand des politischen Spektrums. Als die US-Regierung Deutschland im Dezember 2015 zu mehr Unterstützung im Kampf gegen den IS aufforderte, schrieb Linken-Fraktionschefin Sahra Wagenknecht auf Facebook: „Das ist der Gipfel der Dreistigkeit!“ Die USA hätten Syrien „bewusst destabilisiert“ und den IS anfänglich unterstützt. „Ich hab’s wirklich satt, dass unsere Regierung sich zum Deppen der US-Oligarchen und ihrer Regierung in Washington macht.“ Das Ergebnis: rund 24.000 Likes und Hunderte Kommentare, in denen sich der Hass gegen Amerika Bahn bricht.

Wagenknecht agitiert geschickt – mit ihrer Anspielung auf die „US-Oligarchen“, die in Washington die Strippen zögen, bedient sie das verbreitete Ressentiment gegen die angeblich undemokratischen USA, die in Wahrheit von einer kleinen Gruppe von Personen beherrscht würden. Der Chefredakteur des rechten Magazins „Compact“, Jürgen Elsässer, wurde auf einer Demo der angeblich friedensbewegten „Montagsmahnwachen“-Bewegung im April 2014 deutlicher: „Wer gehört denn zu dieser Finanzoligarchie? Die Herren Rockefeller, Rothschild, Soros, Chodorkowski…“ Elässer führt hier mehrere jüdische Namen an, verweist im Folgenden aber nur indirekt darauf: „Warum soll es Antisemitismus sein, wenn man darüber spricht, wie diese winzig kleine Schicht von Geldaristokraten die Federal Reserve benutzen, um die ganze Welt ins Chaos zu stürzen!“ Ein altes Stereotyp: Juden dominieren das Finanzsystem und ziehen so weltweit die Strippen.

Elsässer war es auch, der bei Wagenknecht während der Griechenland-Krise im Sommer 2015 für ein Querfront-Bündnis zwischen Rechten und Linken warb: „Der neue Faschismus ist der totalitäre Globalismus, sein Transmitter ist das Eurosystem.“ Wer eine „nationale Lösung“ favorisiere, sei „der wahre Antifaschist und Vertreter der arbeitenden Klassen.“ Wagenknecht wiederum plädierte in einem Interview dafür, mit Pegida zu reden. Viele Leute gingen dort hin, „weil sie die herrschende Politik ablehnen“ – jedoch werde der Protest „genau in die falsche Richtung“ gelenkt, nämlich gegen die Flüchtlinge, „statt die Schuldigen und die Profiteure zu nennen.“

Dass Wagenknecht und Elsässer in derart ähnlicher Weise populistisch im Trüben fischen, überrascht nur auf den ersten Blick. Denn obgleich sie sich in vielen politischen Fragen fernstehen, vertreten doch beide ein verschwörungstheoretisch grundiertes, völkisch-nationalistisches Weltbild: Das „Volk“ wird von den Mächtigen an der Spitze belogen und betrogen. Merkel und Co. sind dabei nur willfährige Marionetten, die wahren Drahtzieher sitzen in Washington. So verschwimmen die politischen Grenzen, wenn es gegen Amerika geht.

Im Netz sind solche ressentimentgeladenen Welterklärungen zuhauf zu finden. Dort haben sich zahlreiche populäre Blogs, Infoportale und Videokanäle etabliert, die vorgeben, eine „Gegenöffentlichkeit“ zu bilden. Der Publizist Wolfgang Storz hat in einer Studie für die Otto Brenner Stiftung der IG Metall gezeigt, wie stark vernetzt diese Querfront-Medien sind – vom rechts-esoterischen „Kopp Verlag“ über „Compact“ bis hin zu den linkspopulistischen „Nachdenkseiten“. Die Akteure verbinde eine „politisch-kulturelle Haltung, die einen möglichst homogenen Nationalstaat und tradierte Lebensweisen wertschätzt und demokratisch-liberale Gesellschaftsentwürfe ablehnt.“ Seit spätestens zwei Jahren ist der Querfront-Populismus aus dem Internet ausgebrochen: erst mit den Montagsmahnwachen gegen den Krieg in der Ukraine, dann mit den Demos von Pegida und anderen „besorgten Bürgern“.

Auch wenn die Ressentiments gegen Flüchtlinge, „Lügenpresse“ und Amerika dort besonders lautstark geäußert werden, ist ein solches Denken nicht nur an den politischen Rändern verbreitet. Vielmehr gehören antiamerikanische Welterklärungen auch in der Mitte der Gesellschaft zum guten Ton – selbst unter Menschen, die sich als fortschrittlich und kritisch verstehen. Eine ganze Generation Jugendlicher ist bereits mit den einschlägigen Verschwörungstheorien zu den Terroranschlägen vom 11. September 2001 aufgewachsen, die im Internet, in Buch-Bestsellern und Popsongs à la Xavier Naidoo verbreitet werden: Die USA haben den Terror „selbst gemacht“, um neue Kriege zu legitimieren und die Weltherrschaft an sich zu reißen. In dieses Deutungsmuster werden alle negativen oder unerklärlichen Ereignisse eingepasst: Die angeblich von den USA gesteuerte Ukraine-Krise, die Terroranschläge in Paris und anderswo, die Kriege im Nahen und Mittleren Osten. Amerika als Projektionsfläche für die Übel der Welt.

Dabei kommen regelmäßig auch antisemitische Stereotype ins Spiel. Der Entertainer Didi Hallervorden veröffentlichte 2015 den Videoclip „Ihr macht mir Mut“, in dem er singt: „Willst du ’nen off’nes Wort riskieren, Spekulanten kritisieren, hängt ein Shitstorm gleich an dir. Magst du Netanjahu nit, bist du schnell Antisemit.“ Zur Massenüberwachung durch den US-Geheimdienst NSA heißt es: „Du musst, siehst du das nicht ein, antiamerikanisch sein. Nur wer rutscht auf seinen Knien, dem haben die USA verziehen.“ Gegen „Spekulanten“ und das angebliche Meinungsdiktat durch Juden und Amerikaner – „so steht’s in der Zeitung drin“, singt Hallervorden weiter, und wirft diese ins Lagerfeuer. In der WDR-Sendung „Mitternachtsspitzen“ ließ auch der Kabarettist Uwe Steimle seinen Ressentiments freien Lauf: „Wieso zetteln die Amerikaner und die Israelis die Kriege an und wir dürfen als Deutsche die Scheiße bezahlen?“ Tosender Applaus im Publikum.

Hier kommt ein Extremismus der gesellschaftlichen Mitte zum Vorschein, der auch durch die Einstellungsforschung belegt wird. Laut den „Mitte-Studien“ der Uni Leipzig stimmen 47,3 Prozent der Deutschen der Aussage zu: „Die US-Amerikaner sind daran schuld, dass wir so viele Weltkonflikte haben“. 27,6 Prozent finden: „Juden haben zu viel Kontrolle und Einfluss an der Wall Street“. Umfragen zu 9/11 zeigen, dass fast ein Viertel der Deutschen die USA verdächtigen, den Terror selbst verübt zu haben.

Wer die Schuld für den Boom der Ressentiments nur „dem Internet“ gibt, liegt falsch. Verschwörungstheorien waren bereits in früheren Krisenzeiten populär. Heute bilden die Terroranschläge vom 11. September und die folgenden Kriege, die Verwerfungen im Weltfinanzsystem und schließlich die Flüchtlingskrise den idealen Nährboden für verschwörungsideologisches Denken. Darin drückt sich der Wunsch aus, die undurchschaubaren politischen und wirtschaftlichen Ereignisse schlüssig zu erklären. Das Bild, dass hinter dem entfesselten Kapitalismus, der Auflösung gesellschaftlicher Strukturen und anderen ungeliebten Begleiterscheinungen der Moderne Amerika steckt und „wir“ in Deutschland nur die Opfer sind, erscheint vielen plausibel. Tatsächlich ist es ein verkürztes, falsches Weltbild, das die eigentlichen Probleme nur noch mehr verdeckt.

Beispiel VW-Abgasskandal. Da fragt der bekannte Börsenmakler „Mr. Dax“ Dirk Müller auf n-tv, wem der Skandal wohl nütze, und führt aus: „Ist es nicht ein bemerkenswerter Zufall, dass dieses Thema just an jenem Tag in den USA hochkommt, an dem VW dort seinen lang erwarteten neuen Passat vorstellt?“ Und die ARD-Börsenexpertein Anja Kohl munkelt bei „Günther Jauch“, hinter dem Betrugsvorwurf gegen Volkswagen stehe wohl ein US-Angriff auf die deutsche Wirtschaft. Der Schuldige scheint gefunden, ein erleichterndes Gefühl. Die Verfehlungen bei VW werden so kleingeredet.

Wie gefährlich diese Art von Pseudokritik ist, zeigt der Streit um die Geheimdienstüberwachung. Nach den ersten Snowden-Enthüllungen war die Empörung über die NSA groß, sämtliche Vorurteile gegen die vermeintlich „totalitären“, nach „Weltherrschaft“ strebenden „Amis“ schienen bestätigt. Doch obwohl inzwischen bekannt ist, dass der BND ebenfalls massenhaft nach Daten fischt und diese mit der NSA austauscht, bleibt der gesellschaftliche Aufschrei hier aus. Das Handeln von Bundesregierung und deutschen Behörden wird ausgeblendet – der Datenaustausch läuft weiter. So gerät die berechtigte Kritik an der Überwachungspolitik der USA zur konformistischen Rebellion ohne Folgen. Der Kampf für mehr Demokratie und einen besseren Schutz der Grund- und Freiheitsrechte scheint den Empörten zu mühsam. Lieber zeigen sie mit dem Finger auf andere und richten sich behaglich in ihrer ressentimentgeladenen Weltsicht ein.

Erschienen in: liberal-Magazin, 2/2016, S. 48–51

Blick ins Magazin und PDF-Download: http://de.scribd.com/doc/298834875/Debattenmagazin-liberal-2-2016