Hauptsache gegen Amerika

Auf den neuen Montagsdemonstrationen tummeln sich Friedensbewegte und Antiimperialisten, Zinskritiker und selbsternannte Reichsbürger. Was verbindet sie ideologisch?

Von Tobias Jaecker

Pedram Shahyar von Attac und der Berliner NPD-Chef Sebastian Schmidtke: Einige der Demonstranten, die jeden Montag unter dem Namen »Friedensbewegung 2.0« gegen den Krieg in der Ukraine protestieren, passen auf den ersten Blick so gar nicht zusammen. Der Organisator Lars Mährholz behauptet zwar, »weder rechts noch links« zu sein und schreibt auf seiner Facebook-Seite: »Ich distanziere mich ausdrücklich von rassistischem, antisemitischem, faschistischem und nationalistischem Gedankengut!« Doch tatsächlich hängen viele Montagsdemonstranten antidemokratischen und völkischen Ideen an, die sich in wilden antiamerikanischen Verschwörungstheorien äußern, teils mit deutlichen antisemitischen Untertönen. Es ist eine Ideologie, die Elemente linker und rechter Anschauungen verbindet.

Den Demonstranten zufolge wurde der Konflikt in der Ukraine vom Westen entfacht. Genauer: von den politischen Eliten der EU. Noch genauer: von der US-Führung, die die Europäer erst dazu angestachelt habe. Hinter der wiederum das amerikanische Finanzkapital stehe: die US-Notenbank Federal Reserve (Fed), Rothschild, Rockefeller… Wer die Plakate und Flugblätter auf den Montagsdemonstrationen liest, dem kann schwindelig werden. Die ganze Welt vom großen Geld gesteuert – und unsere Politiker bloß willfährige Marionetten, die alles brav ausführen. Das System der parlamentarischen Demokratie ist demnach nur Fassade, die wahren Mächtigen sitzen anderswo.

Vielen erscheinen derartige Verschwörungstheorien gesellschaftskritisch. Tatsächlich reduzieren sie das komplexe Weltgeschehen auf einen simplen Mechanismus: Mächtige Drahtzieher arbeiten im Verborgenen an der Umsetzung ihrer skrupellosen Pläne – und ziehen uns, das »Volk«, gnadenlos über den Tisch. Die Verschwörungstheorien täuschen so eine Logik und innere Stimmigkeit vor, die in der Wirklichkeit nicht existiert. Bei genauem Hinsehen zeigt sich denn auch, dass sie höchst widersprüchlich sind: Willkürlich herausgegriffene Fakten werden in kausale Zusammenhänge gebracht, andere jedoch unterschlagen oder als Propaganda abgetan. Zufälle werden bestritten, der äußere Schein wird in sein Gegenteil verkehrt. Die Demonstrationen auf dem Maidan in Kiew, die Annexion der Krim durch Russland? Alles Lüge. Die Schuldigen stehen bereits fest: Es sind die vermeintlichen Profiteure in Amerika.

Dass die USA im Mittelpunkt stehen, ist nicht überraschend. Der Antiamerikanismus hat sich über die Jahre zu einem Welterklärungsmuster entwickelt, das in der gesamten Gesellschaft Anklang findet. Der globale Siegeszug des Kapitalismus seit dem Ende der Blockkonfrontation, die Krisen und Kriege infolge der Terroranschläge vom 11. September 2001, die Finanz- und Wirtschaftskrise – negative oder schlicht undurchschaubare Vorgänge, an denen fast alle westlichen Staaten ihren Anteil haben, werden so auf Amerika projiziert. Da wird die wirtschaftliche Globalisierung zur »Amerikanisierung« umgedeutet und die Finanzkrise zu einer Krise des »amerikanischen Kapitalismus« erklärt. Und die weltweiten Unruhen von Afghanistan über Nahost bis Libyen gehen ohnehin aufs Konto der USA. So können »wir« uns als unschuldige Opfer und Kritiker aufspielen, ohne etwas zu riskieren: Denn verantwortlich sind ja allein die USA.

Viele Linke halten diese Deutungsweise geradezu für fortschrittlich, weil sie den Imperialismus der amerikanischen Weltmacht geißelt. Bei den Rechten wiederum findet sie Anklang, weil sie ins völkische Weltbild passt: Die degenerierte Einwanderungsnation USA, die die ganze Welt nach ihrem Muster gleichmacht und die »gewachsene« Kultur der »Völker« bedroht.

Doch steht dem nicht entgegen, dass die Regierungen Deutschlands und anderer Staaten eine recht ähnliche Politik wie die USA verfolgen, ob es um die Unterstützung der neuen ukrainischen Führung oder die Finanzpolitik nach der großen Krise geht? Hier kommt wieder die Verschwörungstheorie ins Spiel, deren Zweck ja gerade darin besteht, selbst die größten Widersprüche passend zu machen und scheinbar schlüssig zu erklären. Die Antwort lautet daher, dass die deutsche Demokratie korrumpiert sei, von den Amerikanern »fremdbestimmt« – und dass das deutsche Volk es eigentlich anders wolle. Es ist ein Bild, das aus dem modernen Antisemitismus bekannt ist. Da dieser in der öffentlichen Debatte nicht erwünscht ist, äußert er sich nur noch in einschlägig konnotierten Anspielungen und Begriffen: Die »Macht der Lobby« an der amerikanischen Ostküste. Rothschild. »Zinsknechtschaft«. Die Fed.

Dass Regierungen in Kriegszeiten die Fakten zurechtbiegen, um ihr Handeln zu legitimieren, ist bekannt. Auch dass die großen Industrieländer die aufgrund der Finanzkrise versprochenen Reformen bis heute nicht umgesetzt haben, liegt auf der Hand. Dass deshalb die Wut wächst, ist verständlich. Auf den Montagsdemos zeigt sich aber deutlich, wie der gesellschaftskritische Impuls reaktionär wird. Zwar ist gegen Verschwörungshypothesen nichts einzuwenden, solange sie korrigierbar bleiben. Im Gegensatz zu offenen Deutungsversuchen handelt es sich bei den dort propagierten »Theorien« jedoch um geschlossene Welterklärungen, die gegen Widersprüche resistent sind. Und die nicht aufklären, sondern altbekannte Feindbilder bedienen.

Mit den sozialen Netzwerken im Internet haben die Verschwörungstheoretiker einen Resonanzraum gefunden, der noch die absurdesten Behauptungen zum Klingen bringt. In Online-Foren, Blogs und auf Facebook bestärken sie sich gegenseitig in ihrer Meinung. Immer in der festen Überzeugung, für die schweigende Mehrheit zu sprechen. Befeuert wird dieses Milieu von Leuten wie Ken Jebsen, dem nach Antisemitismusvorwürfen der Job beim RBB gekündigt wurde und der jetzt landauf landab verkündet, wer die Wahrheit sage oder auch nur kritische Fragen stelle, der werde vom Mediensystem verstoßen. Die angebliche Wahrheit muss allein deshalb wahr sein, weil sie von den Mainstream-Medien »unterdrückt« wird.

Es ist ein Phänomen, das schon nach den Anschlägen vom 11. September 2001 zu beobachten war und das immer wieder auftritt, wenn die Welt durch Krisen oder Kriege erschüttert wird. Dann stellen die Verschwörungstheoretiker ihre Fragen – und liefern die ressentimentgeladenen Antworten gleich mit. Dass auf den Montags­demonstrationen auch spinnerte Chemtrail-Theoretiker auftreten, mag putzig erscheinen. Oder selbsternannte Reichsbürger, die der Bundesrepublik die Legitimität absprechen und am Aufbau eigener »staatlicher« Institutionen werkeln – bis hin zu einem neuen Währungssystem und Führer mit Reichskanzlei. Spätestens wenn Nazis vom »Volkstod der Deutschen« schwadronieren, bleibt einem das Lachen jedoch im Halse stecken. Dass sich auch linke Globalisierungskritiker und vermeintlich unpolitische Friedensfreunde in diese Querfront einreihen, ist bedenklich.

»Mein Vorbild ist die Natur«, sagte Ken Jebsen kürzlich bei einer Montagsdemonstration. »Im Wald gibt es keinen Krieg. Und die Zugvögel, die schaffen es jedes Jahr nach Afrika. Wenn die das demokratisch organisieren würden, kämen sie nur bis Sylt. Nein, die kommen bestens ohne Demokratie zurecht.« Vom organischen Zusammenleben in der Gemeinschaft, die das verderbte Korsett der Demokratie abschütteln müsse, sprachen auch schon andere. Es ist ein Denken, das brandgefährlich ist.

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Erschienen in: Jungle World, 22.5.2014