Wolfowitz und die jüdischen Spione

Antisemitische Verschwörungstheorien haben seit dem 11. September 2001 Konjunktur

Von Tobias Jaecker

Die Geschichte klingt wie ein Schauermärchen. Eine „Clique hochintelligenter disziplinierter Kameraden“ habe die Außenpolitik der USA an sich gerissen. Es handele sich um ein „kleines und engmaschiges Netz“ von Personen, das „inzestuös“ und „gefährlich“ sei. Ihr Mastermind sei der Vize-Verteidigungsminister – ein „Zionist“ und „Strippenzieher“. Der „amerikanische Jude“ habe im Elternhaus viel über den Holocaust erfahren. Er sehe die USA als „Wächter“, aber auch als „Rächer“ und sei „getrieben“ von der „Obsession, die Welt vom Terror zu befreien“ und nach amerikanischem Gusto zu verändern. Die Anschläge des 11. September habe er genutzt, um ein Komplott hinter dem Rükken der Regierung auszuhecken und für einen Krieg gegen den Irak zu trommeln. Nun stehe er „ohne große Gegenwehr“ da und sei „am Ziel – der ersten Etappe“.

Die Rede ist von Paul Wolfowitz und Amerikas Neokonservativen. Die Beschreibung dieser „Wolfowitz-Verschwörung“ entstammt nicht etwa der Nationalzeitung, sondern dem stern (16.4.2003). Die Überschrift des Artikels: „Der Überzeugungs-Täter“. Der mächtige, rachsüchtige, ja gefährliche Jude, der im verborgenen nach der Weltherrschaft strebt – das Bild, das hier gezeichnet wird, strotzt vor antisemitischen Stereotypen. Zusammengehalten wird es durch die Vorstellung einer geheimen jüdischen Verschwörung.

Seit den Anschlägen vom 11. September 2001 haben antisemitische Verschwörungstheorien Konjunktur. Im Internet und in Enthüllungs-Bestsellern von Autoren wie Mathias Bröckers und Co. kursieren die wildesten Spekulationen. Der Mossad höre fast alle amerikanischen Telefone ab und habe deshalb von der Anschlagsplanung gewußt. Oder: Die im World Trade Center arbeitenden Juden seien gewarnt worden. Kein Hinweis ist zu absurd, um nicht in die Beweiskette eingereiht zu werden. Das Ergebnis steht bereits fest und muß auf Biegen oder Brechen bestätigt werden: „Die Juden“ stecken dahinter.

Die Verschwörungstheoretiker geben zwar vor, doch nur Fragen zu stellen. Aber ihre brennendste Frage „Wem nützt es?“ beantworten sie selbst stets gleich mit. Allein die USA und Israel hätten von den Anschlägen profitiert. Die USA, weil sie die Welt nun mit ihren Kriegen überziehen und „amerikanisieren“ würden (siehe Irak). Und Israel, weil es im Schatten des „War on terror“ ungehindert die Palästinenser vertreiben und „vernichten“ könne. Da kommt es gerade recht, daß einige der neokonservativen Strategen um US-Präsident George W. Bush auch noch zufällig Juden sind.

Das Weltbild, das hinter dieser Vorstellung steht, ist antisemitisch strukturiert. Sämtlichen Juden werden identische Meinungen und Ziele unterstellt. Mit maßlosen Beschuldigungen und Nazi-Vergleichen werden sie zu bösen Tätern gemacht. Politiker wie Bush treten oft nur als Marionetten in Erscheinung.

Gefährlich sind diese Verschwörungstheorien, weil sie eben nicht nur auf dubiosen Internetseiten kolportiert werden, sondern, seriös verpackt, auch in den großen Tageszeitungen und Magazinen zum Vorschein kommen. Daß man bis heute so wenig über die Hintergründe des 11. September weiß, heizt die Spekulationen zusätzlich an. Zwar sind kritische Fragen legitim. Wenn aber die Terroranschläge und die nachfolgenden Konflikte auf das Wirken „der Juden“ zurückgeführt werden und der Eindruck entsteht, sie würden die Welt ins Verderben stürzen, dann hat das mit sachlicher Kritik nichts mehr zu tun.

Vor kurzem wurde gemeldet, ein Pentagon-Mitarbeiter habe Spionage für Israel betrieben und ein vertrauliches Papier zur Iran-Politik weitergegeben. Mathias Bröckers zitiert dazu im Internet einen US-„Nahostexperten“ mit den Worten: „Es geht nicht um Spionage. Es geht um eine Verschwörung, der US-Regierung die Interressen fremder Mächte aufzuzwingen.“ Da ist sie wieder, die „Macht der Juden“. Die Verschwörungsparanoia geht weiter.

Erschienen in: Jüdische Allgemeine, 9.9.2004