Rothschilds, Rockefeller und die Aliens

Noch drei Jahre nach den Terroranschlägen sind krude Verschwörungstheorien zum 11. September der Renner. Sie scheinen die Welt zu erklären und reproduzieren alte Feindbilder.

Von Tobias Jaecker

Der Bericht, den die überparteiliche Kommission zur Untersuchung der Terrorattacken vom 11. Sep-tember kürzlich vorgelegt hat, ist beeindruckend. Rund 2,5 Millionen Aktenblätter wurden gesichtet, 1.200 Personen befragt, die Ereignisse minutiös recherchiert. Fazit: Dass die Anschläge nicht verhindert wurden, sei einem «Versagen der Politik, der Führung, der Leistungsfähigkeit und – vor allem – der Vorstellungskraft» zuzuschreiben. Zudem gebe es keine «glaubwürdigen Belege» dafür, dass Al Qaida bei den Anschlägen mit der irakischen Regierung unter Saddam Hussein zusammengearbeitet habe.

Starker Tobak für die US-Regierung. Doch kaum war der Bericht erschienen, erhoben die Verschwörungstheoretiker das Wort. Der Untersuchungsbericht verdiene eher den Titel «Harry Plotter und die Teppichmesser des Schreckens», höhnte der Buchautor Mathias Bröckers. Und sein Kollege Gerhard Wisnewski kritisierte, die Kommission stopfe nur die «Löcher der offiziellen Version» und habe immer noch keine Erklärung, «warum der Angriff von den angeblichen US-Staatsfeinden nicht viel effektiver gestaltet wurde, wenn sie schon vier große Flugzeuge unter ihrer Kontrolle hatten. Warum zum Beispiel nicht ein Kernkraftwerk angegriffen wurde oder die CIA- oder FBI-Zentrale.»

Schuld sind die Amerikaner und Juden

Wisnewskis Äußerungen sind bezeichnend. Denn abgesehen von der Menschenverachtung, die aus seinen Zeilen spricht – dreitausend Tote sind ihm offenbar nicht «effektiv» genug – argumentiert er nach einem typischen verschwörungstheoretischen Muster: Sämtliche offiziellen Verlautbarungen gelten nur mehr als Beweis für die Plausibilität der eigenen, entgegen gesetzten Theorien. Und dass der US-Regierung schlicht die Vorstellungskraft gefehlt haben könnte, um mit den Anschlägen zu rechnen, kann schon gar nicht sein. Denn in der Welt der Verschwörungstheoretiker gibt es für alles eine Erklärung. Sie reduzieren komplexe Vorgänge und Strukturen auf simple, überschaubare Zusammenhänge und unterstellen, dass unsichtbare Mächte die Weltgeschichte lenken – und die Bevölkerung kräftig übers Ohr hauen.

Drei Jahre nach den Terroranschlägen sind krude Verschwörungstheorien zum 11. September der Renner. In den Buchläden stapeln sich Bücher mit Titeln wie «Septemberlüge. Was am 11. September 2001 wirklich geschah», «Der inszenierte Terrorismus – Auftakt zum Weltenbrand?» oder «Wir werden schamlos irregeführt! Vom 11. September zum Irak-Krieg». In zahlreichen Internet-Foren wird munter drauf los diskutiert: Warum existieren keine Bilder des Flugzeugs, das ins Pentagon raste? Warum wurden 200 Israelis vor den Anschlägen in den USA verhaftet? Und auch der Dokumentarfilmer Michael Moore bedient in seinem Streifen «Fahrenheit 9/11» den Verschwörungsglauben: Warum reagierte US-Präsident Bush nur so gelassen, als er von den Anschlägen erfuhr? Was bei den Verschwörungstheoretikern in Frageform daherkommt, hat faktisch den Charakter einer Beweisanklage. Denn die Antwort auf die große Frage, wer hinter den Anschlägen steckt, steht für sie schon fest: Die Amerikaner selbst – und immer wieder die Juden.

Die Weisen von Zion

Derartige Behauptungen sind nichts Neues. Im Zusammenhang mit großen geschichtlichen Ereignissen, mit gesellschaftlichen Umbrüchen und Krisen hatten Verschwörungstheorien schon immer Erfolg. Während der Französischen Revolution etwa verbreiteten einige Prediger und Monarchen die Legende, dass Freimaurer und Illuminaten als Drahtzieher für die revolutionären Ereignisse verantwortlich seien. Zwar waren die Freimaurer in nicht öffentlichen Logen organisiert und vertraten die Ideen der Aufklärung. Ihr Ziel war jedoch die Emanzipation des Individuums und nicht etwa der Umsturz der staatlichen Ordnung. Der Illuminaten-Orden hatte einen politischeren Anspruch und arbeitete ebenfalls im Geheimen. Die Organisation war aber nur im bayerischen Raum aktiv und löste sich im Jahre 1785 auf – dennoch tauchen die «Illuminati» noch heute in vielen Verschwörungstheorien auf.

Im 19. Jahrhundert entstand dann der Mythos von der «jüdisch-freimaurerischen Weltverschwörung». Hinter den großen gesellschaftlichen Umwälzungen, hinter der politischen, wirtschaftlichen und kulturellen Modernisierung wurden die Juden als treibende Kraft vermutet. Einen Höhepunkt fand diese Verschwörungsparanoia mit der Verbreitung der «Protokolle der Weisen von Zion», einem antisemitischen Pamphlet, in dem ein angebliches konspiratives Treffen von zwölf Vertretern der Juden geschildert wird, die mit Hilfe von Liberalismus und Demokratie die Weltherrschaft erringen wollen. Zwar begrüßten viele Juden tatsächlich die gesellschaftliche Modernisierung, denn sie erhielten endlich staatsbürgerliche Rechte und hatten die Chance, in den freien Berufen Fuß zu fassen. Aber ihnen deshalb zu unterstellen, sie steuerten diese Entwicklung, war schlichtweg infam.

Das geheime Treiben der Think Tanks

Besonders erfolgreich in der jüngeren Zeit ist der Verschwörungstheoretiker Jan van Helsing. Vor rund zehn Jahren veröffentlichte er zwei Bücher mit dem Titel «Geheimgesellschaften», die eine Verkaufsauflage von 100.000 erreicht haben sollen und 1996 wegen Volksverhetzung beschlagnahmt wurden. Van Helsing halluziniert darin eine Jahrhunderte alte, weltweite Verschwörung von Illuminaten und Freimaurern, dem Bankhaus Rothschild, den Rockefellers, Ölgesellschaften und – man halte sich fest – Aliens herbei. Seine These: Die Verschwörer seien für den Ausbruch der beiden Weltkriege sowie für etliche andere historische Ereignisse wie den Irak-Krieg im Jahre 1991 verantwortlich. Immer wieder nennt van Helsing kaum bekannte Organisationen wie Bilderberg oder die Trilaterale Kommission, zieht Verbindungslinien zu wichtigen US-Politikern und behauptet, die Verschwörer seien der Weltherrschaft nahe.

Bei aller Differenz: Die nach dem 11. September erhobenen Vorwürfe an die «Öl-Mafia», die amerikanische Waffenlobby oder die neokonservativen Berater der US-Regierung sind von den Mutmaßungen eines Jan van Helsing oft nicht weit entfernt. Dass diese Gruppen bestimmte Interessen verfolgen und einflussreich sind, mag ja sein. Aber wenn man ihnen unterstellt, sie würden die USA steuern und in weltweite Kriege stürzen, wird ihre Rolle maßlos überschätzt. Denn Interessenvertretung ist in demokratischen Staaten legitim und noch lange keine Verschwörung. Auch die Art und Weise, in der einige Zeitungen über die geheimnisvollen «Think Tanks» orakelten, in denen die Kriegspläne der USA ausgeheckt worden seien, ist drastisch übertrieben: Als ob es hierzulande keine Institute und Stiftungen gebe, welche die Regierung mit Expertisen und Ratschlägen versorgten.

Wem nützt der 11. September

Die Crux ist, dass die Geschehnisse und Vorgänge im Gefolge des 11. September tatsächlich kaum durchschaubar sind. Die Art und Weise etwa, wie die US-Regierung die Begründung für den Irak-Krieg zurecht gebogen hat, ist höchst problematisch – und ein gefundenes Fressen für Verschwörungstheoretiker. Aber Verschwörungstheorien führen in die Irre. Weil sie als Welterklärungsmuster zu simpel sind, um den komplizierten Verhältnissen gerecht zu werden. Weil sie der Vielschichtigkeit der Ereignisse und den komplizierten Mechanismen der Demokratie nicht gerecht werden, sondern die Sichtweise verengen.

Und so sehen die Verschwörungstheoretiker immer nur das, was in ihr ressentimentgeladenes Weltbild passt. Alles andere wird ausgeblendet. Sie rufen: Wem nützt der 11. September?, und beantworten die Frage gleich selbst: Den USA, weil sie die Welt nun mit ihren Kriegen überziehen und «amerikanisieren» würden. Oder Israel, weil es den Anti-Terror-Kampf nutze, um sich der Palästinenser zu entledigen. Ist es nicht verdächtig, wird geraunt, dass einige von Bushs Beratern Juden sind?

Die Versuchung der Verschwörungstheoretiker

Dass immer wieder die gleichen Gruppen in den Fokus der Verschwörungstheoretiker geraten, ist kein Zufall. Denn Verschwörungstheorien bauen auf einem dualistischen Weltbild auf, das von einem Kampf der «Guten» und «Bösen» ausgeht. Um ihre Funktion der Sinnstiftung und Weltdeutung zu erfüllen, müssen sie an bereits vorhandene gesellschaftliche Stimmungen und Ressentiments anknüpfen. Und so reproduzieren sie Feindbilder, die es so ähnlich schon vor hundert Jahren gab.

Verschwörungstheorien sind daher höchst gefährlich und haben mit investigativer Recherche und Kritik nichts zu tun. Keine Frage: Der verschwörungstheoretischen Versuchung zu widerstehen, ist manchmal schwer. Aber notwendig für alle, die ihren Verstand nicht an der Garderobe abgeben wollen.

Artikel-URL: http://www.netzeitung.de/voiceofgermany/304325.html

Erschienen in: Netzeitung, 10.9.2004