Pop meets nation

Das Duo Paul van Dyk/Peter Heppner propagiert ein neues deutsches „Wir-Gefühl“

Tobias Jaecker

Wer dieser Tage den Fernseher einschaltet und zu MTV oder Viva zappt, der könnte denken, er sei versehentlich beim ZDF-Historiker Guido Knopp gelandet. Zu sehen sind Luftaufnahmen vom zerstörten Berlin, Trümmerfrauen, ein einbeiniger Wehrmachtssoldat. Das Video [1], das hier in der Heavy Rotation über den Bildschirm läuft, ist jedoch keine herkömmliche Geschichts-Doku, sondern das neue Musikvideo von Techno-DJ Paul van Dyk und Wolfsheim-Sänger Peter Heppner.

„Wir sind wir“ heißt der Titel. Textprobe: „Ich frag, ich frag mich wer wir sind. Wir sind wir! Wir stehen hier! Aufgeteilt, besiegt und doch, schließlich leben wir ja noch.“ Besiegt, nicht etwa befreit. Damit wird klar, um was es in dem Song geht: um die Deutschen als Opfer. Von den barbarischen Taten der Nazis ist dagegen nicht die Rede. Nebulös heißt es lediglich: „Über das, was grad noch war, spricht man heute lieber gar nicht mehr.“ Und weiter, trotzig: „Das kanns noch nicht gewesen sein. Keine Zeit zum Traurigsein. Wir sind wir!“

Was „wir“ wirklich sind, wird dem Zuschauer ebenfalls präsentiert: Bilder vom legendären WM-Finale in Bern 1954 flimmern über den Bildschirm. Das Wirtschaftswunder beweist: „Aus Asche haben wir Gold gemacht.“ Dann die Wiedervereinigung. Doch van Dyk und Heppner reicht das nicht: „Jetzt können wir haben was wir wollen, aber wollten wir nicht eigentlich viel mehr?“ Fast schon drohend singen sie: „So schnell kriegt man uns nicht klein“, und: „Wir sind wir! Das ist doch nur ein schlechter Lauf. So schnell geben wir doch jetzt nicht auf.“

Die deutsche Geschichte wird als glatte Erfolgsgeschichte präsentiert

Laut eigener Aussage haben sich van Dyk und Heppner durch Berichte über das Wunder von Bern [2] zu dem Song inspirieren [3] lassen. Paul van Dyk sagt, es gehe ihnen um eine Vermittlung der „Aufbruchstimmung von damals, dieses Gefühl ‚Wir sind wieder wer‘.“ Es gebe „eine Menge, auf das wir hier stolz sein können – ob das nun unsere Demokratie oder unsere Haltung zum Irak-Krieg ist.“

Stolz auf Deutschland sein – das galt bis vor wenigen Jahren noch als schier unmöglich im Land der Täter. Im popkulturellen Diskurs wurde alles verdammt, was auch nur nach Deutschland roch. Die Punkband Slime [4] skandierte: „Deutschland muss sterben, damit wir leben können.“ Und als die Deutsche Einheit Realität wurde, warnten selbst die braven Kölsch-Rocker von BAP vor schwarz-rot-goldenem Nationalismus-Taumel: „Wo man hinhört nur noch Deutschland, so penetrant wie ich es noch nicht kannt, als gäb es sonst nix mehr.“

Doch diese Zeiten sind passé. Wir schreiben das Jahr 2004, und Deutschsein ist „in“. In Berlin erscheint ein Lifestyle-Magazin mit dem bezeichnenden Titel „Deutsch“, die Kölner Modemacherin Eva Gronbach entwirft trendy Klamotten in den Nationalfarben und in den Plattenläden steht eine Compilation mit dem Titel: Heimatkult – German Liedgut 1 [5]. Als die Elektropop-Band Mia unlängst „neues deutsches Land“ betreten wollte und dichtete [6]: „Fragt man mich jetzt, woher ich komme, tu ich mir nicht mehr selber Leid, ich fühle mich bereit“, wurde sie von aufgebrachten Studenten noch mit faulen Eiern beworfen. Die taz verlieh [7] dem Songtext das Prädikat „saudämlich“.

Van Dyk und Heffner dagegen müssen mit solchen Attacken nicht mehr rechnen. Denn ihre Message ist längst Allgemeingut. Spätestens seit Sönke Wortmanns Kino-Erfolg [8] gilt [9] „Das Wunder von Bern“ im Jahre 1954 als eigentliches – und positiv besetztes – Gründungsdatum der Bundesrepublik. Die deutsche Geschichte wird dementsprechend als glatte Erfolgsgeschichte präsentiert, auf die man mit Fug und Recht stolz sein kann. Wären da nur nicht die dunklen Seiten der Vergangenheit, die immer wieder auftauchen und – bewusst oder unbewusst – am deutschen Selbstbild nagen.

Diese Zweifel werden aber konsequenterweise einfach weggewischt. Die Vernichtung der europäischen Juden? Kein Thema. Der Zweite Weltkrieg? Kam irgendwie über uns. Die deutsche Teilung? Von außen aufoktroyiert. Wir sind wir, und damit basta!

Auch in der Politik ändern sich die Vorzeichen. In den tiefen Siebzigerjahren hatte Bundespräsident Gustav Heinemann auf die Frage eines Reporters, ob er Deutschland liebe, noch geantwortet: „Ich liebe meine Frau. “ Die Parole „Ich bin stolz, ein Deutscher zu sein“ blieb in der alten „Bonner Republik“ den „Republikanern“ und anderen rechten Kameraden vorbehalten. Im vergangenen Jahr war es dann ausgerechnet das von Jürgen Trittin geführte Bundesumweltministerium, das mit dem Slogan „3 Gründe, stolz auf Deutschland zu sein“ für alternative Energien warb. Auch SPD-Generalsekretär Klaus-Uwe Benneter, wie Trittin ein ehemals bekennender Linker, spielt heute mit Vorliebe auf der Klaviatur des Patriotismus.

Als Benneter deutsche Unternehmer, die Arbeitsplätze ins Ausland verlagern, vor einigen Monaten als „vaterlandslose Gesellen“ beschimpfte und Bundeskanzler Schröder ihnen ein „unpatriotisches Verhalten“ bescheinigte, wunderte [10] sich selbst die Bild-Zeitung über diese Verbalattacke und bildete den Kanzler und seinen Adjutanten in einer Fotomontage mit Bismarck-Uniform und Pickelhaube ab.

Die Täter sind immer die anderen

Dass Politiker die deutsche Karte spielen, ist allerdings nicht weiter erstaunlich. Schließlich ist es ein alter Hut, dass Regierungen „ihr“ Volk mit Appellen an das Nationalgefühl erfolgreich mobilisieren und hinter sich scharen können – gerade in Zeiten der Krise. Dass derlei Töne nun immer öfter auch von deutschen Popmusikern zu hören sind, verwundert dagegen schon mehr. Woher rührt der positive Bezug auf Deutschland? Und warum wird er neuerdings so laut, so fordernd formuliert?

Zumindest der äußere Anlass ist leicht zu ermitteln. Sowohl das Duo van Dyk/Heppner als auch die Musiker von Mia bezeichnen die ablehnende Haltung der Deutschen zum Irak-Krieg als wesentlichen Grund für ihren neu entflammten Nationalstolz. Das pazifistische Deutschland als positive Bezugsgröße? Da ist wohl eine gehörige Portion Wunschdenken mit im Spiel. Denn immerhin hat Deutschland seit dem Amtsantritt von Schröder und Fischer schon so einige Kriege mitgemacht – ob im Kosovo oder in Afghanistan. Das „Nie wieder Krieg“, das während des Irak-Krieges zu hören war, bekommt vor diesem Hintergrund einen bitteren Beigeschmack.

Bedenklich ist vor allem das Überlegenheitsgefühl, das sich hier mit der Kriegsablehnung paart und das erst den Nährboden für das neue nationale Selbstbewusstsein abgibt. Wenn Paul van Dyk verkündet, er sei stolz auf die deutsche Demokratie, dann ist das zunächst einmal natürlich berechtigt. Zumindest aber sollte er zur Kenntnis nehmen, dass es sich dabei keinesfalls um eine deutsche Eigenleistung handelt – schließlich waren es die Alliierten, die den Deutschen nach dem Zweiten Weltkrieg die Demokratie beibrachten.

So entpuppt sich der neue Nationalstolz bei näherer Betrachtung als aufgeblähte Luftnummer, die schnell in sich zusammenfällt. Ein solcher Nationalstolz ist nur selten so entspannt und „normal“, wie es vordergründig vielleicht scheint, sondern meist verkrampft und oft sogar aggressiv.

Das zeigt van Dyks und Heppners Umgang mit den deutschen Brüchen. Diese werden schlicht und einfach umgedeutet, und am Ende scheint es so, als sei da etwas „passiert“, an dessen Folgen nur die Deutschen selbst zu leiden hatten. Die Täter sind immer die anderen. Das war schon in der Debatte um den „Bombenkrieg“ der Alliierten gegen Deutschland so, die durch Jörg Friedrichs Bestseller „Der Brand“ ausgelöst wurde. Und auch in der anhaltenden Diskussion [11] um das „Zentrum gegen Vertreibungen“ wird immer wieder der Eindruck erweckt, als seien die Deutschen in erster Linie Opfer

Die Auswirkungen sind verheerend. Dass in Polen und Tschechien heute Ängste vor deutschen Besitzansprüchen und Entschädigungsforderungen wach werden, sollte ein Warnzeichen sein. Wenn es auf einmal modisch wird, stolz auf Deutschland zu sein, dann mag das zwar auch auf Gedankenlosigkeit beruhen. Van Dyks und Heppners aktueller Hit zeigt jedoch, wie durchlässig die Grenze zwischen Patriotismus und Selbstüberschätzung ist. Wir sind eben immer noch wir – mit Errungenschaften, auf die man zweifelsohne stolz sein kann, aber auch mit einer Vergangenheit, die aus gutem Grunde zu Selbstbeschränkung und Bescheidenheit mahnt.

Telepolis Artikel-URL: http://www.telepolis.de/deutsch/inhalt/musik/18185/1.html

Erschienen in: telepolis, 24.8.2004