New Betriebsrat

Mitbestimmung: In der New Economy geht alles etwas schneller. Der gerade gewählte Betriebsrat des Internet-Unternehmens „Pixelpark“ steht schon vor der ersten Bewährungsprobe

Von Tobias Jaecker

Pixel sind die kleinsten darstellbaren Bildpunkte auf einem Computer-Bildschirm. Sie sind gelb, blau oder rot und quadratisch. Und sie sind nichtssagend. Erst in der Gesamtheit erhalten sie einen Sinn. Als Teil einer Komposition, eines stimmigen Bildes.

Pixelpark ist der Name des größten deutschen Internet-Dienstleisters. Als Paulus Neef die Firma 1991 in Berlin gründete, hatte er die Vision einer offenen, harmonischen Struktur. Gute Webseiten wollte er machen. Die Mitarbeiter – sie nannten sich selbst bald Pixel – sollten Spaß und größtmögliche Freiheit haben. Den Geschäften des Unternehmens konnte das nur gut tun.

Es tat gut. Es gab flache Hierarchien. Der Chef wurde geduzt. Die Beschäftigten arbeiteten nicht von neun bis fünf, sondern dann, wenn es sinnvoll war. Probleme löste man in der Küche. Man sprach miteinander. Doch die Zeiten begannen sich zu ändern. Das Klima wurde rau. Es gärte. Man diskutierte. Und irgendwann tanzten die ersten Pixel aus der Reihe. Die Welt der Harmonie bekam offene Risse. Seit Anfang Mai gibt es nun einen Betriebsrat bei Pixelpark.

Als Katja Karger vor drei Jahren bei Pixelpark anfing, hätte sie von einem Betriebsrat in dem mythenumwobenen Unternehmen nicht einmal zu träumen gewagt. Geschweige denn gedacht, dass sie diesem Betriebsrat vorstehen würde. Zwar war Katja Karger schon einmal Betriebsrätin in ihrer Zeit als Redaktionsassistentin beim Privatradio FFN. Doch als sie zu Pixelpark wechselte, war ihr bewusst, dass in der New Economy vieles anders laufen würde.

„Die Leute gingen kooperativer miteinander um und hatten eine viel stärkere Identifikation mit dem Laden – da schien ein Betriebsrat hinfällig zu sein.“ Dennoch war Mitbestimmung immer ein Thema. Es gab eine Personal-AG, Mecker-Boxen und Mitarbeiterbefragungen. Und man konnte mit „Paulus“ persönlich sprechen. Der Chef beschwor die Interessensidentität zwischen Geschäftsleitung und Mitarbeitern: „Da brauchen Sie keinen Betriebsrat.“

Kleinigkeiten ließen sich auf diese Weise tatsächlich gut regeln. Wer etwa nach 22 Uhr noch in der Firma saß, durfte kostenlos Pizza bestellen und mit dem Taxi nach Hause fahren. Doch Katja Karger bemerkte sehr genau: „Bis auf die kleinen Bonbons sind alle Vorschläge im Sande verlaufen.“ Aber die Pixel glaubten noch an ihren Traum, an ihre Form der Mitbestimmung. Dass sich die „Neue Wirtschaft“ an den Interessen und Bedürfnissen der Menschen orientieren kann, obwohl es auch hier um Gewinnmaximierung geht.

Der Aufstieg „ihres“ Ladens machte die Pioniere der neuen Wirtschaft erfolgstrunken. Pixelpark gewann Siemens, Lufthansa und die Allianz als Kunden und wuchs und wuchs. Dann übernahm der Bertelsmann-Konzern die Mehrheit. Paulus Neef eröffnete Dependancen nicht nur in Hamburg und Köln, sondern auch in Paris, London und New York. Als Pixelpark im Oktober 1999 an die Börse ging, schoss die Aktie nach oben.

Mit der Firma wuchs auch die Zahl der Mitarbeiter. Um die tausend waren es mittlerweile, fünfhundert allein in Berlin. Pixelpark zog vom Stadtteil Moabit nach Oberbaum-City. Eine Gegend, in der sich die Internet-Firmen tummeln. Doch im neuen Gebäude arbeiten nur noch die Grafiker in großen Räumen unter dem Dach, der Rest der Belegschaft sitzt in kleinen Büros. Der Fabriketagen-Charme von einst ist dahin. Auf den Fluren gibt es noch ein paar Lichtinstallationen – Überbleibsel aus vergangenen start-up-Zeiten.

Doch die Probleme blieben. Und während die Kommunikation zusehends schlechter wurde, begannen die Mitarbeiter, ihren Unmut zu äußern – erst verhalten und vorsichtig, dann immer lauter. Den einen störten die Überstunden, den andern die ungleichen Gehälter. Es war schwierig geworden, noch an die Vision von Pixelpark zu glauben. Eines abends, bei einem Bier in der Kneipe, kam Katja Karger zu dem Schluss: „So geht´s nicht mehr weiter.“

Die 32-Jährige war inzwischen zur Projektmanagerin aufgestiegen und musste lange darüber nachdenken, ob ein Betriebsrat die richtige Interessensvertretung für die Pixel sein könnte. Ob die Kollegen so etwas überhaupt wollten. Sie zweifelte und schob die Sache auf die lange Bank. Dann kriselte der Neue Markt. Die Pixelpark-Aktie fiel von 185 auf elf Euro. Und während die ersten Aufträge ausblieben, brodelte es in der Firma immer stärker.

Doch dann wollte Katja Karger nicht mehr einfach nur zusehen und wandte sich zusammen mit einigen Kollegen an Wille Bartz. Den kannte sie noch aus FFN-Zeiten. Heute ist er Mitarbeiter bei Connexx, einem Gewerkschaftsprojekt, das sich an die Beschäftigten in der Multimedia-Branche richtet. Das war im November 1999. „Von da an gab es kein Zurück mehr“, erinnert sich Karger. Es gab Treffen und Gespräche mit vertrauten Kollegen. „Das war alles furchtbar konspirativ.“ Katja Karger hatte Feuer gefangen. Doch die Zweifel blieben.

Im Februar folgte eine eMail von Connexx samt Link auf eine Webseite, auf der die Pixel ihre Meinung hinterlassen sollten. Die Mail endete mit der Aufforderung: „Get Organized!“ Bereits nach wenigen Stunden hatten 4.000 Nutzer die Seite angeklickt. Die Reaktionen waren hoch emotional. Die einen befürchteten, ein Betriebsrat sei bürokratisch und unflexibel. Und dann auch noch die Gewerkschaft, die sich hier einmischte. Pixelpark war doch kein Montagewerk. Hier war doch alles anders. Auch die Geschäftsleitung verhielt sich, wie zu erwarten war und beschimpfte die Gewerkschafter, die gar nichts begriffen hätten.

Aber viele Mitarbeiter reagierten wohlwollend oder sogar begeistert. Und als Connexx im März eine Betriebsversammlung einberief, wurde dort ein Wahlvorstand aus echten Pixeln gebildet. „Connexx hat uns nicht vereinnahmt, sondern unterstützt“, sagt Katja Karger. Die Belegschaft war beruhigt, die Zustimmung wuchs. Selbst die Geschäftsleitung änderte in aller Stille ihre Strategie. „Deren kooperative Haltung ist schon fast unheimlich“, sagt Karger. Heute behauptet Paulus Neef gern, dass er den Betriebsrat „mit angestoßen“ habe.

An den Wahlen jetzt beteiligten sich 68 Prozent der Belegschaft. Ein Erfolg. Vielleicht hat eine eMail, die während der Wahl an die „lieben Pixel“ ging, dazu beigetragen. Im Rahmen eines „Effizienzsteigerungsprogramms“ sollen 200 Mitarbeiter entlassen werden. „Mit Unterstützung des neu gewählten Betriebsrats“ wolle er dabei agieren, schrieb Paulus Neef. „Eine Anmaßung“, sagt Katja Karger. Die Bewährungsprobe wird schneller kommen als gedacht.

Karger weiß, was sie als Vorsitzende des neunköpfigen Gremiums zunächst bewältigen muss: „Wissen, was Sache ist“. Sie muss sich in die Zahlen einarbeiten und darf sich nicht übers Ohr hauen lassen von den jammernden Aktionären und dem Vorstand. Denn die haben andere Interessen. Die Harmonie ist zerstoben. In Köln werden die Kollegen bald nachziehen mit der Wahl eines Betriebsrats. Danach steht die Wahl eines Gesamtbetriebsrats an. Vielleicht ist das der Sieg der Old Economy. Auf jeden Fall ist es die Abkehr von einer Illusion. Die „Neue Wirtschaft“ ist erwachsen geworden.

Erschienen in: Freitag, 25.5.2001