Die Pixel tanzen aus der Reihe

Die Aufbruchsstimmung bei Pixelpark hat Risse bekommen, die Belegschaft schaffte sich einen Betriebsrat. Ein Ereignis, das Signalwirkung in der New Economy haben dürfte.

Von Tobias Jaecker

BERLIN. Pixelpark ist der größte deutsche Internet-Dienstleister. Als Paulus Neef die Firma im März 1991 in Berlin gründete, hatte er die Vision einer offenen, harmonischen Struktur. Die Mitarbeiter, sie nannten sich selbst bald Pixel, sollten Spaß und größtmögliche Freiheit haben. Den Geschäften des Unternehmens konnte das nur gut tun.

Bei flachen Hierarchien wurde der Chef geduzt. Die Beschäftigten arbeiteten nicht von neun bis fünf, sondern dann, wenn es sinvoll war. Probleme löste man in der Küche. Man sprach miteinander, nicht gegeneinander. Doch irgendwann tanzten die Pixel aus der Reihe, die Aktienkurse fielen, Mitarbeiter wurden entlassen, Überstunden verschlechterten das Klima. Seit dem 11. Mai hat Pixelpark einen Betriebsrat.

Als Katja Karger 1997 bei Pixelpark anfing, hätte sie von einem Betriebsrat in dem mythenumwobenen Unternehmen nicht einmal zu träumen gewagt. Geschweige denn, dass sie diesem Betriebsrat vorstehen würde. Nach der Schule in Bremen hatte sie zunächst Filme gedreht und hatte bei einer Rundfunkanstalt gejobbt. Als Redaktionsassistentin beim Privatsender FFN in Hannover kam sie zum ersten mal mit einem Betriebsrat in Berührung und wurde in das Gremium gewählt.

Von der Meckerbox zum Betriebsrat

Als Katja Karger zu Pixelpark wechselte, tat sie dies in dem Bewusstsein, dass hier vieles anders lief. «Die Leute gingen kooperativer miteinander um und hatten eine viel stärkere Identifikation mit dem Laden – da schien ein Betriebsrat hinfällig zu sein». Dennoch war Mitbestimmung immer ein Thema. Es gab eine Personal-AG, Mecker-Boxen und Mitarbeiterbefragungen. Und man konnte mit «Paulus» persönlich sprechen. Der Chef beschwor die Interessensidentität zwischen Geschäftsleitung und Mitarbeitern: «Da brauchen Sie keinen Betriebsrat».

Pizza und Taxen

Kleinigkeiten ließen sich auf diese Weise tatsächlich gut regeln. Wer etwa nach 22 Uhr noch in der Firma saß, durfte kostenlos Pizza bestellen und mit dem Taxi nach Hause fahren. Doch Katja Karger bemerkte: «Bis auf die kleinen Bonbons sind alle Vorschläge im Sande verlaufen». Aber die Pixel glaubten noch an ihren Traum. An ihre Form der Mitbestimmung. Dass sich die «neue» Wirtschaft an den Interessen und Bedürfnissen der Menschen orientieren kann, obwohl es nach wie vor um Profitmaximierung geht.

Der Aufstieg «ihres» Ladens machte die Pioniere der neuen Wirtschaft erfolgstrunken. Pixelpark gewann Siemens und die Lufthansa als Kunden. Dann übernahm der Bertelsmann-Konzern die Mehrheit. Paulus Neef eröffnete Dependancen nicht nur in Hamburg und Köln, sondern auch in Paris, London und New York. Als Pixelpark im Oktober 1999 an die Börse ging, schoss die Aktie nach oben.

Grafiker unterm Dach, Belegschaft drunter

Mit der Firma wuchs auch die Zahl der Mitarbeiter. Um die tausend waren es mittlerweile, fünfhundert allein in Berlin. Pixelpark zog vom Stadtteil Moabit nach Oberbaum-City. Eine Gegend, in der sich die Internet-Firmen tummeln. In dem neuen Gebäude arbeiten nur noch die Grafiker in großen Räumen unter dem Dach, der Rest der Belegschaft sitzt in kleinen Büros. Der Fabriketagen-Charme von einst ist dahin. Auf den Fluren gibt es noch ein paar Lichtinstallationen. Überbleibsel aus der Vergangenheit.

Die Probleme waren auch noch da, und die Kommunikation wurde zusehends schlechter. Die Mitarbeiter äußerten ihren Unmut erst verhalten und vorsichtig, dann immer lauter. Dem einen stanken die Überstunden, dem andern die ungleichen Gehälter. Es war schwierig geworden, noch an die Vision von Pixelpark zu glauben.

Von 185 auf elf Euro

Katja Karger war zwischenzeitlich zur Projektmanagerin aufgestiegen und musste lange darüber nachdenken, ob ein Betriebsrat die richtige Interessensvertretung für die Pixel sein könnte. Ob die Kollegen so etwas überhaupt wollten. Dann brach der Neue Markt zusammen. Die Pixelpark-Aktie fiel von 185 auf elf Euro. Die ersten Aufträge blieben aus. In der Firma brodelte es immer stärker. Zuletzt platzte ein Auftrag der Allianz.

«Ich bin eine Macherin», sagt Katja Karger. Deshalb wandte sie sich mit ein paar Kollegen an Wille Bartz. Den kannte sie noch aus FFN-Zeiten. Heute ist er Mitarbeiter bei Connexx, einem Gewerkschaftsprojekt, das sich an die Beschäftigten in der Multimedia-Branche richtet. «Ab diesem Zeitpunkt gab es kein Zurück mehr», sagt Karger. Das war im November 1999. Es gab Gespräche mit vertrauten Kollegen. «Das war alles furchtbar konspirativ». Doch die Zweifel blieben: «Wir hatten alle Schiss».

Kein Montagewerk

Was folgte, war eine E-Mail. Der Absender der Botschaft vom 13. Februar hieß Connexx, und es gab einen Link auf eine Webseite, auf der die Pixel ihre Meinung hinterlassen sollten. Die Mail endete mit der Aufforderung: GET ORGANISED. Nach wenigen Stunden hatten 4.000 Leser die Seite angeklickt. Die einen befürchteten, ein Betriebsrat sei bürokratisch und unflexibel. Und dann auch noch die Gewerkschaft, die sich hier einmischte. Pixelpark sei doch kein Montagewerk. Hier war doch alles anders. Auch die Geschäftsleitung verhielt sich, wie zu erwarten war. Personalchef Atilla Simson über die Gewerkschafter: «Die haben gar nichts begriffen».

Aber viele Mitarbeiter reagierten auch wohlwollend oder gar begeistert. Und als Connexx für den 5. März eine Betriebsversammlung einberief, wurde dort ein Wahlvorstand aus waschechten Pixels gebildet. «Connexx hat uns nicht vereinnahmt, sondern unterstützt», sagt Katja Karger. Die Belegschaft war beruhigt. Die Zustimmung wuchs. Selbst die Geschäftsleitung änderte in der Stille ihre Strategie. «Deren kooperative Haltung ist schon fast unheimlich», sagt Karger. Paulus Neef behauptet heute gern, dass er den Betriebsrat «mit angestoßen» habe.

Der erste Konflikt

An den Wahlen im Mai beteiligten sich zwei Drittel der Belegschaft. Vielleicht hat eine E-Mail, die während der Wahl an die «lieben Pixel» ging, die Wahlbeteiligung gefördert. Im Rahmen eines «Effizienzsteigerungsprogramms» will Pixelpark 200 Mitarbeiter entlassen. «Mit Unterstützung des neu gewählten Betriebsrats» wolle er dabei agieren, schrieb Paulus Neef. «Eine Anmaßung», sagt Katja Karger. Die Bewährungsprobe wird schneller kommen als gedacht.

Karger weiß, was sie als Vorsitzende des neunköpfigen Gremiums zunächst bewältigen muss: «Wissen, was Sache ist». Sie wird sich in die Zahlen einarbeiten. Und sie darf sich nicht übers Ohr hauen lassen von den jammernden Aktionären und dem Vorstand. Denn die haben andere Interessen. Die Harmonie ist zerstoben. In Köln werden die Kollegen bald nachziehen mit der Wahl eines Betriebsrats. Danach steht die Wahl eines Gesamtbetriebsrats an. Vielleicht ist das der Sieg der Old Economy. Auf jeden Fall ist es die Abkehr von einer Illusion. Die neue Wirtschaft ist erwachsen geworden.

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Erschienen in: Netzeitung, 15.5.2001