Night on Earth: Taxifahren in Berlin

Bevor PhilosophiestudentInnen Taxi fahren dürfen, müssen sie erst mal die Schulbank drücken. Die Berliner Ortskenntnisprüfung ist naturgemäß die härteste in Deutschland. Die Durchfallquote liegt bei einem Drittel

Von Tobias Jaecker 

Berlin, Rosenthaler Straße. Zwei Uhr nachts. Ein kalter Wind fegt durch die menschenleeren Häuserschluchten. Regenschauer trüben die Sicht. Es ist Juli. „Sauwetter“, schimpft Stefan und gibt seinem blassgelben Mercedes ordentlich Stoff. Das Gefährt ist ein Taxi. „Manchmal hasse ich diesen Job und liebe ihn zugleich“, sagt der 23-Jährige und bekommt einen fast melancholischen Gesichtsausdruck. „Das ist schon irgendwie ein besonderes Flair, nachts durch die dunkle Großstadt zu brausen.“

Tagsüber sieht die Welt etwas gewöhnlicher aus. Denn Stefan studiert im sechsten Semester Jura und kutschiert meist nur am Wochenende Personen durch die Gegend. „Der Taxischein war gar nicht so einfach“, erzählt er. „Aber jetzt verdiene ich ganz gut und kann mir dazu noch die Arbeitszeit frei einteilen.“ Meike und Hagen können davon nur träumen. Die beiden besuchen einen Abendkurs beim Friedrichshainer Taxiunternehmen Metrocab und büffeln bei Kaffee und Kuchen das Berliner Straßennetz. Ein gar nicht so leichtes Unterfangen, denn die hiesige Ortskundeprüfung ist die schwierigste in ganz Deutschland.

„So um die 600 Straßen sollte man schon kennen“, sagt Ausbilderin Birgit Köhn. „Dazu kommen 70 Plätze und gut 700 Objekte wie Hotels oder kulturelle Einrichtungen.“ Köhn gibt den Kursteilnehmern die nächste Zielfahrt vor: Vom Bezirksamt Weißensee zur Sammlung Berggruen in Charlottenburg. Meike beginnt mit der Route. „Berliner Allee, Greifswalder Straße, Otto-Braun-Straße …“ Bei der Prüfung müssen drei solcher Fahrten fehlerfrei vorgetragen werden. Nur der kürzeste Weg zählt. Etwa 1.200 Personen bestehen jährlich die Berliner Ortskundeprüfung. Die Durchfallquote liegt bei einem Drittel. „Manchmal bin ich es ziemlich leid, den ganzen Tag vor dem Stadtplan zu stehen und zu pauken“, sagt Hagen. Der 32-jährige Philosophiestudent besucht die Taxischule seit Ende März und steht jetzt kurz vor dem Abschluss.

Bevor es so weit ist, muss der Prüfling noch sein Führungszeugnis und ein ärztliches Attest vorlegen. Prüfungen und Attest kosten zusammen rund 450 Mark. Dazu kommen noch die Kursgebühren, die je nach Taxischule erheblich variieren. Einige Unternehmen bieten sogar kostenlose Schulungen an.

„Vor solchen Angeboten kann ich nur warnen“, sagt Norbert Bleckmann, Vorsitzender des Berliner Taxiverbandes. Grund: Die Schnäppchenangebote sind oft gar keine, weil die zukünftigen Taxifahrer durch geschickt formulierte Vertragsklauseln eng an das ausbildende Unternehmen gebunden werden. Und das nicht unbedingt zu ihrem Vorteil. Die meisten der knapp 50 Berliner Taxischulen seien aber seriöse Anbieter, so Bleckmann. Wer Glück hat, bekommt neben der Ortskunde auch den Umgang mit Funkgerät und Taxameter vermittelt und lernt, gegenüber den Kunden angemessen aufzutreten. Denn Höflichkeit ist im Taxigewerbe viel wert.

Und der Konkurrenzkampf ist hart. Etwa 10.000 Fahrer bemühen sich in der Hauptstadt regelmäßig um Kunden. Rund 6.700 Wagen haben eine Konzession. „Der Trend geht klar zum hauptberuflichen Taxifahren“, sagt Norbert Bleckmann. Dabei sind die Verdienstmöglichkeiten für Studenten gar nicht so schlecht. Üblich ist eine Gewinnbeteiligung von fünfzig Prozent des Bruttoumsatzes.

„Wer vernünftig fährt, kann durchaus auf zwanzig Mark in der Stunde kommen“, so Bleckmann. „Zu besonderen Tagen wie Silvester oder bei der Love Parade lässt sich der Gewinn natürlich noch erheblich steigern.“

Erschienen in: taz, 21.7.2000