Ende des Wachstums ist nicht in Sicht

Der Bedarf an Weiterbildung wächst stetig. Zahlreiche Bildungsinstitute bieten in Berlin ihre Dienste an

Von Tobias Jaecker

Rund 268.000 Arbeitslose verzeichnete die Berliner Statistik 1999. Da Not bekanntlich erfinderisch macht, buhlen auch immer mehr Weiterbildungseinrichtungen um die Gunst der Jobsuchenden. Nur wer gut qualifiziert ist, entspricht schließlich den Anforderungen des Arbeitsmarktes und hat Chancen, eine der raren freien Stellen zu ergattern. Doch auch die berufsbegleitende Weiterbildung boomt, denn der Siegeszug des Computers hat die Arbeitswelt weitgehend umgekrempelt.

„In Berlin haben wir eine breite Palette an Weiterbildungsinstituten“, attestiert auch Klaus Döring, Professor für Organisation und Didaktik der Weiterbildung an der Technischen Universität. In der Berliner Weiterbildungsdatenbank werden derzeit rund 2.500 Qualifizierungsmaßnahmen offeriert. Starkes Wachstum gibt es vor allem in den Bereichen Multimedia und Internet.

Auf der Berliner Bildungsmesse, die am vergangenen Wochenende im „Haus am Köllnischen Park“ stattfand, spiegelte sich dies sowohl auf Aussteller- wie auch auf Besucherseite wider. „Auf dem Gebiet der elektronischen Datenverarbeitung besteht eine große Nachfrage“, sagt Messechef Michael Leinhoß. „Etwa zwanzig Prozent der Besucher kommen nur deswegen.“ Der neueste Trend auf dem Gebiet sind Seminare zum so genannten Electronic Commerce, sprich: der kommerziellen Nutzung des Internets für den Vertrieb von Waren und Dienstleistungen.

Die Paetec-Wirtschaftsakademie etwa bietet seit Herbst vergangenen Jahres erstmalig einen Kurs zum elektronischen Geschäftsverkehr an. „Wenn ein Unternehmen diesen Bereich nicht nutzt, verbaut es sich eine große Chance“, sagt Akademieleiter Walter Brückner. „Hier entsteht eine völlig neue Geschäftswelt – plötzlich sind Betriebe keine regionalen Anbieter mehr, sondern stehen in einem weltweiten Konkurrenzverhältnis.“ Die Entwicklung sei jedoch erst am Anfang. Immer noch werde die Bedeutung dieses Bereichs unterschätzt. „Vor knapp drei Jahren konnten wir dasselbe Phänomen bei der Entstehung der Callcenter beobachten“, so Brückner. „Zunächst wurde dieses Feld von niemandem ernst genommen, und heute boomt die Branche.“

Das Prinzip des Abwartens scheint vor allem bei mittelständischen Unternehmen weit verbreitet zu sein: „Viele Betriebe scheuen die Kosten für eine angemessene Weiterbildung“, sagt TU-Professor Klaus Döring. Ausschlaggebend dafür sei auch die oftmals dünne Personaldecke. Viele Unternehmen sehen sich nicht in der Lage, ihre Mitarbeiter für die Zeit einer Maßnahme zu entbehren.

Große Berliner Arbeitgeber wie Schering oder Siemens haben es leichter. Im Berliner „Training Center“ bei Siemens werden neben der Schulung der eigenen Mitarbeiter sogar zusätzliche Qualifizierungsmaßnahmen für andere Kunden wie Bewag, Herlitz oder die SPD-Bundestagsfraktion durchgeführt. Ausgebildet wird in den Bereichen betriebliche Standard-Software, Software-Entwicklung und Netzwerk-Systemadministration. Die Vermittlungschancen der Kursabsolventen sind gut. „Neunzig Prozent der von uns ausgebildeten Personen kommen anschließend auf dem ersten Arbeitsmarkt unter“, sagt Gesine Schmithals, Bildungsberaterin bei Siemens. Pro Jahr nehmen mehrere tausend Menschen an den Siemens-Schulungen in Berlin teil. Darunter auch studierte Geisteswissenschaftler. „Die Informationstechnologie bietet Soziologen oder Germanisten gute Möglichkeiten zum Quereinstieg“, so Schmithals.

Das Seminarangebot der Akademie für Kultur & Bildung richtet sich ausschließlich an Akademiker. „Wir vermitteln an erster Stelle Schlüsselqualifikationen für Tätigkeiten im Wirtschafts- und Kulturmanagement“, sagt Thorsten Murr, Dozent für Marketing und Kommunikation. Breit angelegtes Wissen sei in jedem Fall von Vorteil. „Bei der rasanten Entwicklung auf dem Arbeitsmarkt kommt es darauf an, nach vielen Seiten offen zu sein.“

Bildungsexperte Klaus Döring bekräftigt diese Position: „Spezialisiertes Wissen ist zweitrangig gegenüber den grundlegenden Einstellungen und Verhaltensweisen.“ Döring beklagt die mangelnde Innovationsbereitschaft der Wirtschaft. „Viele Betriebe könnten sich durch Weiterbildungsmaßnahmen für ihre Mitarbeiter enorm entwickeln“, so Döring.

Ein Umdenken müsse auch bei der Finanzierungsfrage einsetzen. Allein das Land Berlin gibt jährlich acht bis neun Millionen Mark für die berufliche Bildung aus, daneben fließen Mittel aus dem Europäischen Sozialfonds der EU. Klaus Döring: „Weiterbildung ist Investition in die betriebliche Zukunft, also sollten die Unternehmen auch selbst dafür zahlen.

Erschienen in: taz, 28.1.2000