Die Opfer der Einfallslosigkeit

Dieses verdammte Weihnachtsfest. Jahr für Jahr kommen die Menschen auf die Idee, sich plötzlich liebhaben zu müssen. Das Resultat: Millionen von Geschenken wechseln den Besitzer – mal mehr, mal weniger gelungene. Wer ein Präsent auf dem Gabentisch findet, das er sich schon immer gewünscht hat, kann sich freuen. Und auch eine Überraschung trifft ja durchaus mal ins Schwarze. Angeschmiert sind hingegen die Opfer der Einfallslosigkeit.

Wie eine nicht repräsentative Umfrage auf dem Berliner Alexanderplatz ergab, stehen T-Shirts, Tennissocken und Kerzenständer ganz oben auf der Hitliste der verhassten Geschenke. Michael R. etwa bekommt von seiner Schwiegermutter immer wieder Hemden geschenkt. „Irgendwann reicht es dann auch“, sagt der 48-Jährige, der seinen vollen Namen lieber nicht genannt wissen möchte. „Immerhin hatte die Gute die Eingebung, in den Farben zu variieren.“

Der 13-jährige Sven ist ebenfalls vom Pech verfolgt. Er kann sich wünschen, was er will – statt der erhofften Computerspiel-Konsole oder dem Skateboard liegen Bücher und Kleidungsstücke unterm Weihnachtsbaum. „Selbst wenn ich mal eine CD bekomme, ist das garantiert Musik, die ich überhaupt nicht mag“, sagt er resigniert. Medizinstudentin Sarah hat dagegen aus der Not eine Tugend gemacht. „Wenn ich mir was Ernsthaftes überlegen würde, wäre das wie gewollt und nicht gekonnt.“ Um das peinlich-gequälte „Oh, ist das aber schön“ bei der Bescherung zu vermeiden, verschenkt die 22-Jährige stets Dinge ohne Schönheitswert, dafür aber mit hohem „Schmunzeleffekt“. Im letzten Jahr zum Beispiel einen Putzlappen und Scheuermittel für die Freundin – „damit sie mal eine anständige Hausfrau wird“. Die Beschenkte habe es mit Humor genommen. Doch Sarah schränkt ein: „Man sollte sich natürlich sicher sein, dass das ‚Opfer‘ die Sache nicht in den falschen Hals bekommt.“

Tobias Jaecker

Erschienen in: taz, 11.12.1999