Branche mit Chance

Neue Medien brauchen neue Fachleute. Einige Universitäten reagieren und bieten maßgeschneiderte Studiengänge an. 136 gibt es bundesweit. Das Angebot an den Berliner Hochschulen durchstöbert hat Tobias Jaecker

Multimedia – 1995 war es Wort des Jahres, heute kann man es fast nicht mehr hören. Doch fest steht: Die neuen Medien, ob Internet, CD-ROM oder interaktives Fernsehen, sind im Kommen. Der Aufwärtstrend scheint ungebrochen. Nach wie vor jedoch gibt es nur wenige Fachleute, die Ideen interdisziplinär umsetzen können. Informatikern mangelt es meist an gestalterischen Fähigkeiten, Kommunikationsdesignern fehlen oft die technischen Voraussetzungen.

„Die Zeiten, in denen man mit einem abgeschlossenen Germanistikstudium in der Multimedia-Branche unterkam, sind längst vorbei“, sagt Lutz Goertz, Ausbildungsreferent beim Deutschen Multimediaverband in Düsseldorf. „Zur Zeit schießen allerdings derart viele neue Studiengänge aus dem Boden, dass wir bald mehr Masse als Klasse in der Multimediaausbildung haben werden.“ 136 Studiengänge im Dunstkreis der neuen Medien gibt es bundesweit. Was die Abschlüsse bringen, bleibt abzuwarten. Noch gibt es nur wenige Absolventen.

Ein bereits etabliertes Studienfach ist die „Medienberatung“ an der Technischen Universität Berlin (TU). „Unsere Philosophie ist es, Wissen aus unterschiedlichen Bereichen zu vermitteln“, sagt Clemens Schwender, wissenschaftlicher Mitarbeiter für Mediengeschichte. „Das reicht von Informatik über multimediale Dramaturgie bis hin zu gestalterischen Fertigkeiten.“ Der Blick auf das Ganze soll die Studierenden für beratende Tätigkeiten im Multimediabereich qualifizieren.

Weitere Besonderheit: Der Studiengang beginnt erst im Hauptstudium. Zuvor müssen die Studierenden das Grundstudium in einem beliebigen anderen Fach abgeschlossen haben. „Vom Mediziner über den Geisteswissenschaftler bis hin zum Juristen ist bei uns alles vertreten“, so Schwender.

Ein Viertel der Studienzeit verbringen die angehenden Medienberater zur fachwissenschaftlichen Vertiefung weiterhin an ihrem alten Fachbereich. Hinzu kommt Medienwissenschaft mit den Schwerpunkten Forschung und Medienkritik, Medienmanagement sowie „Konzeptionen von Multimedia-Anwendungen“.

„Wir können in alle Bereiche mal reinschnuppern“, sagt Hilger Voss. Der 26-jährige zählt zu den dreißig Studierenden, die im vergangenen Semester für das Fach zugelassen wurden. „Mein Traumjob liegt in der Internetbranche, da ist dieses Fach das Richtige.“

Die Hochschule der Künste (HdK) legt den Schwerpunkt auf die Gestaltung. Auch hier öffnet man sich den neuen Medien. Der Studiengang „Visuelle Kommunikation“ vermittelt multimediales Wissen und qualifiziert zum Diplomdesigner, in der „Experimentellen Mediengestaltung“ geht es um den künstlerischen Umgang mit Film und Video.

Eher in die technische Richtung geht das Studium der „Internationalen Medieninformatik“ an der Fachhochschule für Technik und Wirtschaft (FHTW). „In der Informationstechnologie spielen Ländergrenzen keine Rolle“, sagt Professor Jürgen Siek, der den erst ein Semester alten Studiengang konzipiert hat. „Qualifizierter Nachwuchs fehlt jedoch. In diese Lücke sind wir hineingestoßen.“

Das Studium vermittelt zunächst technisches, wirtschaftliches und gestalterisches Basiswissen. Danach vertiefen die Studierenden den professionellen Umgang mit multimedialer Hard- und Software. Ergänzend gibt es Projektstudien und Sprachunterricht. Ein Semester verbringen die Studierenden im Ausland. Internationalität wird auch im eigenen Hause gepflegt. „Einen Teil der Lehrveranstaltungen bieten wir auf Englisch an“, so Siek. Ausländische Gastdozenten bringen frischen Wind in das Studium.

„Das ist schon eine spannende Sache“, sagt Sandra Arndt. Der 24-jährigen Studentin gefällt vor allem die Vielfalt des Studiums. „Allerdings sollte es bald stärker ins Detail gehen. Bisher sind wir noch nicht sehr tief unter die Oberfläche gedrungen.“ Das Tor in die Zukunft scheint sich den Studierenden schon nach dem ersten Semester zu öffnen. Das hat Sandra häufig beobachtet: „Die Leute sind noch kaum qualifiziert und bekommen schon die besten Jobs.“

Erschienen in: taz, 8.10.1999