Schrecklich schöne Evergreens

Musik an der Uni: Michael steht auf a capella, Birgit spielt die erste Geige und die Berlingelaszlos parodieren Schlager, Kabarett, Chansons

Von Tobias Jaecker

Nur büffeln und jobben, welch öder Studentenalltag. Abwechslung ist eine feine Sache. Zum Beispiel: musizieren. Ob nur aus Spaß oder professionell, viele Studenten versüßen sich so ihr Dasein.

Michael Riedel ist so einer. Vor zwei Jahren gründete der 28jährige Musikstudent mit vier Freunden das Männerquintett „Sweetheart Sharks“. Nicht ohne Erfolg. Das Repertoire, das von Liedern der Romantik über Barbershops und Gospels bis zu populären Arrangements aus Rock und Pop reicht, findet jede Menge Zuhörer. „Ein bißchen schwimmen wir auf der Comedian-Harmonists-Welle“, sagt Michael Riedel. Folgerichtig stehen Evergreens wie „Veronika, der Lenz ist da“ oder „Mein kleiner grüner Kaktus“ ganz oben auf dem Programm.

Die A-capella-Gruppe tritt mittlerweile regelmäßig im Café Bellevue in Tiergarten und im Lions Club auf. „Leben können wir von der Musik noch nicht“, sagt Riedel. „Ein kleines Zubrot ist aber allemal drin.“ Die Hälfte der Einnahmen wird reinvestiert. Im Sommer will die Band eine CD produzieren. „Wir denken gerade darüber nach, uns professioneller zu vermarkten“, so Riedel.

Auch die Psychologiestudentin Birgit Kruse macht Musik. Eine ganz andere. Seit Beginn ihres Studiums 1995 spielt die 23jährige im Symphonieorchester des Collegium Musicum an der Freien und der Technischen Universität die erste Geige. „Mir ging es vor allem darum, nette Leute kennenzulernen“, sagt sie. Schon mit sechs Jahren bekam sie Geigenunterricht. Seitdem hat sie in verschiedenen Orchestern gespielt.

„Das Symphonieorchester besteht aus den unterschiedlichsten Leuten. Musikstudenten sind kaum dabei. Das macht die Sache so interessant.“ Zudem habe sie das Abschlußkonzert am Ende jedes Semesters in der Berliner Philharmonie gereizt. Das Collegium Musicum besteht neben dem großen Symphonieorchester aus einem kleinen Orchester und zwei Chören, in denen insgesamt etwa vierhundert Studierende musizieren. Auch die Humboldt-Uni unterhält Chor und Orchester.

Die Hochschule der Künste (HdK) bietet einen besonderen Service. Ein „Künstlerisches Betriebsbüro“ vermittelt den musikalisch aktiven Studenten Auftrittsmöglichkeiten – ob bei Familienfeiern, in Bars oder bei Firmenjubiläen. „Vor allem in der Weihnachtszeit kommen viele Anfragen“, sagt Büroleiterin Beate Roesner. „Barpianisten sind ebenso gefragt wie Gesangsduos oder Salonmusiker.“

Beliebt ist auch das Kleinkunstensemble „Berlingelaszlos“. Die Truppe, die aus zwei Transvestiten, zwei Frauen und einem Mann besteht, zeigt in einem anderthalbstündigen Programm, „wie das wahre Leben und die große Liebe wirklich sind“. In aufwendigen Kostümen bieten die Fünf Schlager, Kabarett und Chanson als Parodie auf die zwanziger bis fünfziger Jahre dar. Texte von Otto Reutter stehen ebenso auf dem Programm wie die „Capri-Fischer“.

„Angefangen hat alles mit einem Partyauftritt vor fünf Jahren“, erzählt Mirko Quirin, der auf der Bühne als reife Diva Orlanda la Monte über die Bühnenbretter walkürt. „Wir fühlten uns ermutigt weiterzumachen“, so der Dreißigjährige. Inzwischen wird das Ensemble in Restaurants und Festsälen engagiert. Ihr Studium haben die Berlingelaszlos fast beendet. Danach wollen sie versuchen, ihr Hobby zum Beruf zu machen: als freischaffende Künstler, die durch die Welt touren.

Erschienen in: taz, 9.4.1999