Ein Rechtspopulist mischt Europa auf

Die Beteiligung der „Freiheitlichen“ (FPÖ) an der österreichischen Regierung hat die halbe Welt in Aufregung versetzt. Über den Umgang mit der rechtsextremen Partei wird heftig gestritten. Soll Österreich politisch isoliert werden oder ist ein kritischer Dialog angebracht? Unterdessen frisst Ex-FPÖ-Chef Jörg Haider Kreide und tingelt als antifaschistischer Demokrat durch die Talkshows. Dort trumpft er auf, zum Entsetzen seiner Kritiker. Haiders Unangreifbarkeit ist einfach zu erklären: Sein politisches Programm ist in Europa längst Mainstream geworden.

Ein Kommentar von Tobias Jaecker

Die verbalen Ausfälle der Vergangenheit waren es, die Jörg Haider und seine Gesinnungsgenossen in Verruf gebracht hatten. Von einer „ordentlichen Beschäftigungspolitik“ im Dritten Reich hatte Haider da geredet. Thomas Prinzhorn, FPÖ-Spitzenkandidat bei der Nationalratswahl, behauptete gar, Ausländer würden in Österreich mit Hormonpräparaten gefüttert, damit sie mehr Kinder bekommen.

Doch einen Jörg Haider ficht das nicht an. Haider ist nicht plump wie DVU-Chef Frey oder gewalttätig wie der französische Rechtsextreme Le Pen. Haider lächelt einfach charmant, und dann lässt er Sätze von sich wie: „Das habe ich nicht gesagt, das hat die Presse kolportiert.“ Oder er entschuldigt sich für eine seiner „überspitzten“ Formulierungen. Und dann sagt er, der Holocaust habe „in seiner Einmaligkeit als Verbrechen eine solche Dimension, dass er weit über das 20. Jahrhundert hinaus wirken wird.“ Und die selbsternannten Entzauberer sitzen da mit offenen Mündern. Haben sie ernsthaft geglaubt, er würde die Maske herunterreißen und seine faschistische Fratze offenbaren?

Die verzweifelten Entlarvungsversuche mussten zwangsläufig scheitern. Denn Haider ist nicht der Stiefelnazi, als der er vorgeführt werden soll. Sein Gedankengut ist im Politdiskurs der europäischen Mitte-Rechts-Parteien längst fest verankert. Er hält ihnen nur den Spiegel vor, und da können sie nicht anders, als betreten zu schweigen.

Über den Koalitionsvertrag der österreichischen Regierung müsste man diskutieren. Da soll etwa eine zentrale Meldestelle eingerichtet werden, „an die Ärzte alle Fälle zu melden haben, in denen ein Verdacht physischen, sexuellen oder psychischen Kindesmissbrauchs besteht, und die entsprechende Auskünfte an Sicherheitsbehörden, Jugendwohlfahrtseinrichtungen und Ärzte erteilt.“ Lauschangriff und Rasterfahndung werden eingeführt, straffällig gewordene Ausländer sollen konsequent und zügig abgeschoben werden. Der migrationspolitische Teil des Regierungsprogramms sieht vor, dass einbürgerungswillige Ausländer Deutschkenntnisse nachweisen müssen. Überschrieben ist das ganze mit „Integration“. War da nicht was?

Dass all diese Punkte kein Thema sind in der öffentlichen Auseinandersetzung, liegt in der Logik der Sache. Eine fundierte Kritik würde schließlich die eigene Politik in Frage stellen. Sämtliche demokratie- und freiheitsfeindlichen Maßnahmen der ÖVP-FPÖ-Regierung sind hierzulande bereits umgesetzt oder werden diskutiert. Wer sich mit Haider auseinandersetzen will, sollte auch den bayerischen Ministerpräsidenten Edmund Stoiber nicht schonen, der einst von der „Durchrassung der Gesellschaft“ sprach. Oder Innenminister Schily, für den „die Grenzen der Belastbarkeit“ durch Zuwanderung überschritten sind.

Der britische Premier Tony Blair wurde von Jörg Haider jüngst mit Bewunderung bedacht. Blair schütze England vor Kriminellen, „genau wie wir es tun wollen,“ so Haider. Dem ist wohl nichts hinzuzufügen. Leider.

Erschienen in: blatt 3/1999