Ein General für alle Fälle

Innensenator Jörg Schönbohm auf Feldzug gegen die Demonstrationsfreiheit

Von Tobias Jaecker

„Alle Deutschen haben das Recht, sich ohne Anmeldung oder Erlaubnis friedlich und ohne Waffen zu versammeln“, heißt es in Artikel 8 des Grundgesetzes. Dieses elementare Grundrecht auf Versammlungs- und Demonstrationsfreiheit will Berlins Innensenator Jörg Schönbohm (CDU) nun einschränken. Grund: Die Ausschreitungen im Zusammenhang mit der „Revolutionären 1.-Mai-Demonstration“. Der General a. D. möchte prüfen, „wie weit das Grundrecht auf Meinungsfreiheit geht“. Schließlich gebe es „kein Grundrecht auf Krawall und Zerstörung.“

Dabei verfolgt Schönbohm eine weitreichende Strategie. Im Wesentlichen geht es ihm gar nicht darum, die ritualisierten „Maifestspiele“ zu verhindern. Diese wurden schließlich nicht zuletzt auch durch das harte, eskalierende Verhalten der Berliner Polizei provoziert. Im Gegenteil. Die sich jährlich wiederholenden Vorfälle sind dem Innensenator willkommener Anlaß, um sein Hauptanliegen voranzutreiben: Unliebsame Proteste generell zu verhindern.

Denn eins ist klar. Jeder der angeblich radikalen Gruppen läßt sich nur allzu leicht unterstellen, auf Krawalle aus zu sein. Schönbohm schürt jetzt schon Befürchtungen, daß die Auseinandersetzungen nach dem Regierungsumzug „möglicherweise noch heftiger“ würden. Das Szenario zeichnet sich deutlich ab: Das Mittel des Demonstrationsverbots würde weitaus extensiver als bisher eingesetzt. Denn eben die „Grenze“, die Schönbohm „zwischen Krawallen und Demonstrationen ziehen“ will, ließe sich dann beliebig verschieben.

Schönbohms Vorstoß ist nicht überraschend. Denn der Abbau von Grundrechten befindet sich schon heute im fortgeschrittenen Stadium. Die Vertreibung unliebsamer Menschen wie Bettler, Junkies oder Hausbesetzer aus dem Stadtbild, die Absperrung und Kontrolle innerstädtischer Areale am 1. Mai, demonstrationsfreie Zonen bei Großereignissen wie Bundeswehrgelöbnissen – all dies ist bereits Realität. Mit der zunehmenden Repression und der damit einhergehenden Kontrolle des öffentlichen Raumes haben sich die konservativen Law-and-order-Anhänger durchgesetzt. Daß dabei Grundrechte wie die Versammlungsfreiheit unter die Räder geraten, scheint ihnen kein Hindernis zu sein. Dies wirft ein bezeichnendes Licht darauf, wieviel ihnen die Verfassung wirklich bedeutet.

Erschienen in: blatt 1/1998