Die Reichstagswahlen vom 6. November 1932 im Spiegel der ‚C.V.-Zeitung‘

Hausarbeit zum Proseminar „Jüdische Publizistik in Deutschland“
Dozent: Dr. Jürgen Michael Schulz
Freie Universität Berlin, Institut für Publizistik- und Kommunikationswissenschaft
WS 1997/98

vorgelegt von Tobias Jaecker

Gliederung:

1. Einleitung
2. Die Juden in der Weimarer Republik
2.1 Die Weimarer Republik und ihr Ende
2.2 Die Juden und der Antisemitismus in der Weimarer Republik
3. Der Centralverein und die C.V.-Zeitung
3.1 Der Centralverein deutscher Staatsbürger jüdischen Glaubens
3.2 Die C.V.-Zeitung
4. Die Reichstagswahlen vom 6.11.1932 im Spiegel der C.V.-Zeitung
5. Fazit
6. Bibliographie

1. Einleitung

Die „C.V.-Zeitung“ nahm eine herausragende Stellung in der jüdischen Presselandschaft der Weimarer Republik ein. Die „Blätter für Deutschtum und Judentum“, wie der Untertitel verheißt, fungierten als Organ des „Central-Vereins deutscher Staatsbürger jüdischen Glaubens“, der die größte und bedeutendste Interessenvertretung der Juden in Deutschland darstellte. Der Name des Vereins war Programm: Man propagierte die weitestgehende Assimilation der in Deutschland lebenden Juden und ein klares Bekenntnis zu Deutschland.

Um so interessanter erscheint es mir, die Berichterstattung der „C.V.-Zeitung“ über den Aufstieg des Nationalsozialismus am Ende der Weimarer Republik zu untersuchen. Neben der historischen Einbettung werde ich dabei noch einmal gesondert auf den Antisemitismus einzugehen, da seine Rolle für das Verständnis des Themas entscheidend ist.

Um den Untersuchungszeitraum zu begrenzen, beschränke ich mich auf die Zeit des Wahlkampfes zur Novemberwahl 1932. Dies, weil die Nationalsozialisten ihren vorläufigen Höhepunkt erlebten und heftigere antisemitische Ausschreitungen als je zuvor im Gange waren. Dabei nehme ich nicht nur die NSDAP, sondern die gesamte Parteienlandschaft ins Blickfeld. Ich werde untersuchen, welche Stellung die „C.V.-Zeitung“ bezieht, ob sie klare Wahlempfehlungen oder Verhaltensmaßregeln gibt und welche Position nunmehr zu Deutschland und den Deutschen eingenommen wird.

2. Die Juden in der Weimarer Republik

2.1 Die Weimarer Republik und ihr Ende

Bereits in ihren Anfängen war die Weimarer Republik im Innern geprägt durch die Schwäche der die Republik tragenden Parteien sowie von bürgerkriegsähnlichen Aufständen linksrevolutionärer Gruppen, die eine sozialistische Räterepublik anstrebten.

Außenpolitisch bestimmte der am 28. 6. 1919 unterzeichnete Versailler Vertrag die Behandlung des besiegten Deutschland. Durch ihn wurde die deutsche Alleinschuld am Krieg anerkannt. Viele Menschen verbanden die neue europäische Friedensordnung mit dem ebenfalls neu geschaffenen demokratischen Staatswesen. Wer also innenpolitisch zur Mäßigung aufrief, war von vornherein mit dem Makel der Schwäche, wenn nicht des Verrats behaftet.

Anfang der zwanziger Jahre erschütterten zunehmend Angriffe von rechts die Republik. Da es nach den Reichstagswahlen von 1920 nicht mehr möglich war, eine mit parlamentarischer Rückendeckung arbeitende Regierung zu bilden, konnte fortan keine entschieden demokratische Politik mehr vollzogen werden. Die Machtverhältnisse waren derart instabil, daß die Republik sechzehn Reichsregierungen erlebte, durchschnittlich alle achteinhalb Monate eine neue. So entstand ein Teufelskreis, denn durch die Schwäche der gemäßigten Regierungen neigten viele Wähler zu extremen Parteien, die autoritäre Machtausübung versprachen.

Jedoch kehrte nach anfänglicher Krise mit hoher Inflation und zerrütteter Wirtschaft durch die Währungsneuordnung im November 1923 wieder Ruhe ein. Die Reparationen wurden entsprechend der wirtschaftlichen Leistungsfähigkeit Deutschlands ebenfalls neu geordnet. Die Republik stabilisierte sich vorerst: Von 1924 an erlebte der Reichstag eine volle Legislaturperiode.

Nachdem 1925 Hindenburg, der Kandidat der Rechten, zum Reichspräsidenten gewählt worden war, ging die Ära der Bürgerblockkabinette mit den Reichstagswahlen vom 20. Mai 1928 zu Ende. Die fortan regierende „Große Koalition“ aus SPD, Zentrum, DDP und DVP erwies sich als zu schwach, so daß die Zusammenarbeit wegen verhältnismäßig geringer Streitigkeiten 1930 endgültig scheiterte. Ab diesem Zeitpunkt löste sich die Republik schrittweise auf. Die Arbeitslosigkeit nahm dramatisch zu. Streikbewegungen und Straßenkrawalle wuchsen an. Der Youngplan, der 1929 endgültig die Reparationen regeln sollte, gab dem Rechtsradikalismus erneuten Auftrieb. Die KPD auf der einen sowie DNVP und „Stahlhelm“ auf der anderen Seite erhielten kräftig Zuwachs. Vor allem aber Hitlers NSDAP konnte ihre Anhängerschaft in allen Schichten und Berufen bedeutend vergrößern. Die große Wirtschaftskrise im Herbst 1929 hatte sich für sie als „Chance“ erwiesen. Bei den Reichstagswahlen vom 14. September 1930 konnte die NSDAP erstmals sensationelle 130 Mandate erringen.

Die Arbeitslosigkeit stieg 1932 auf 30,8% an, während die industrielle Produktion auf die Hälfte des Standes von 1928 zurückging. Diese letzte Periode bis 1933 war gekennzeichnet durch autoritäre, auf das Notverordnungsrecht des Reichspäsidenten gestützte Regierungen. Der von 1930 an regierende, von Sozialdemokraten und Zentrum tolerierte Reichskanzler Brüning wurde bereits am 30. Mai 1932 von Hindenburg wieder entlassen, da er unpopuläre Maßnahmen wie die radikale Einschränkung der Staatsausgaben und ein Verbot der SA durchgesetzt hatte. Die folgende Regierung wurde nun allein vom Vertrauen Hindenburgs und durch die Unterstützung der Reichswehr und der organisierten Interessen des Großgrundbesitzes getragen. Diese Basis erwies sich jedoch für Reichskanzler Franz von Papen und sein adlig-agrarischen „Kabinett der Barone“ als zu gering. Um sich parlamentarische Rückendeckung durch die NSDAP zu verschaffen, erfüllte er Hitlers Forderung nach Aufhebung des SA-Verbots und Reichstagsauflösung. Die Weimarer Verfassung hatte „zu funktionieren aufgehört“. Bei der Reichstagswahl vom 31. Juli 1932, deren Wahlkampf die Form eines „abscheulichen Bürgerkrieges“ angenommen hatte, konnte die NSDAP ihren Stimmenanteil nahezu verdoppeln, der bürgerliche Block schmolz „dramatisch“ zusammen. NSDAP und KPD hatten nun die absolute Parlamentsmehrheit. Um zu verhindern, daß der Reichstag Papen durch ein Mißtrauensvotum stürzt, wurde das Parlament am Tag seines Zusammentritts bereits wieder aufgelöst. Eine beispiellose Welle politischer Gewalttaten überrollte nun das Land. Grauenhafte Morde wurden begangen, das öffentliche Leben „verwilderte“.

Die Reichstagswahlen vom 6. November 1932 brachten keine erheblichen Veränderungen, der Stimmenanteil für die Nationalsozialisten ging jedoch leicht zurück. Die Sitzverteilung ergab 196 Sitze für die NSDAP (-34), 52 für die DNVP (+15), 11 für die DVP (+4) und 12 (+3) für sonstige rechte Splittergruppen. Auf der anderen Seite erhielt die Bayerische Volkspartei 20 Sitze (-2), das Zentrum 70 (-5), Die DDP 2 (-2), die SPD 121 (-12) und die KPD 100 (+11). Hindenburg ernannte nun den bisherigen Reichswehrminister Kurt von Schleicher, einen seiner Vertrauten, zum Reichskanzler. Nachdem dessen Politik jedoch ebenfalls keine Unterstützung fand, beauftragte Hindenburg erneut Papen mit der Bildung eines mit Rückendeckung des Parlaments arbeitenden Kabinetts. Papen verhandelte mit Hugenberg (DNVP) und Hitler. Dieser schien gezähmt, wollte aber Reichskanzler werden. Papen stimmte schließlich zu, und Hindenburg, der sich erst sträubte, gab seinen Beratern nach und ernannte Hitler am 30. Januar 1933 zum Reichskanzler. Damit schlug die „Todesstunde der Republik von Weimar“.

2.2 Die Juden und der Antisemitismus in der Weimarer Republik

1925 lebten insgesamt 564.000 Glaubensjuden in Deutschland, das entspricht 0,9% der Gesamtbevölkerung. Einen beliebten Angriffspunkt der Antisemiten bildete die angeblich privilegierte Stellung der Juden. Diese lebten dreimal so häufig in Großstädten wie Nichtjuden. Sie waren überrepräsentiert in Handel und Verkehr sowie bei Selbständigen und Angestellten, in den privilegierten Schichten also tatsächlich überdurchschnittlich vertreten. Die Ursache dafür war jedoch, daß die Juden oft auf wirtschaftliche Betätigungen angewiesen waren, in denen es keine überlieferten Zugangsbeschränkungen gab oder die ihnen seit alters her offengestanden hatten. Dagegen war ihnen beispielsweise der öffentliche Dienst schon im Kaiserreich nahezu versperrt geblieben. Was vielen also als jüdische Machtkonzentration erschien, „war, so gesehen, nur die Kehrseite fortwirkender Benachteiligung“. Von einem beherrschenden Einfluß der Juden auf die deutsche Wirtschaft konnte zudem keine Rede sein. In den Schlüsselindustrien waren Juden faktisch gar nicht vertreten. Großes Gewicht hatten sie jedoch im Pressewesen, in Kultur und Wissenschaft.

Das allgemeine „Gefühl von Unsicherheit und Umbruch“ Anfang der zwanziger Jahre ist als maßgeblich für die Suche nach Sündenböcken anzusehen. Die Juden als angeblich privilegierte Minderheit schienen dazu „geboren“. Winkler spricht zudem von der „Konjunkturabhängigkeit des Antisemitismus“. Schließlich sei nach verhältnismäßig ruhigen Jahren ab 1929 der Vormarsch der radikal antisemitischen NSDAP der schweren wirtschaftliche Depression „auf dem Fuße“ gefolgt. Auch den Stimmenrückgang für die NSDAP im November 1932 erklärt Winkler mit der damaligen leichten konjunkturellen Erholung. Doch woraus bestand die soziale Basis des Antisemitismus? Die SPD arbeitete zwar eng mit jüdischen Organisationen wie dem Centralverein zuammen, doch war ihre Haltung häufig ambivalent und opportunistisch, weil sie auf antisemitisch orientierte Wähler Rücksicht nehmen wollte. Auf die KPD trifft dies in noch stärkerem Maße zu. Im Ganzen war die Arbeiterschaft aber weitgehend immun gegen den Antisemitismus. Die Katholiken verhielten sich ebenfalls ambivalent. Zwar protestierte man gegen antisemitische Ausschreitungen und Rassenhetze, die Grundeinstellung aber war „weiterhin von Mißtrauen gegenüber den Juden geprägt“. Die DNVP hatte offen antisemitische Passagen in ihrem Programm. Der Antisemitismus diente ihr als instrumentelles Lockmittel, „um die Massen nach rechts zu ziehen“. Die DVP hielt sich von offen antisemitischen Parolen fern.

In der Gesellschaft war die Judenfeindschaft besonders stark im Kleinhandel und unter Akademikern verbreitet. Dort stellten Juden oft eine starke Konkurrenz dar. So fand der Antisemitismus nach 1918 „im Bildungsbürgertum glühendere Verfechter als in irgendeiner anderen Schicht“. Anfang der zwanziger Jahre, aber erst recht ein Jahrzehnt später wurde der Antisemitismus „immer mehr zum Reflex der Angst vor sozialem Abstieg“. Die Weltwirtschaftskrise trieb das Ressentiment zum Exzeß, und in diesem geistigen Klima konnte Hitler mit einer „kruden Mischung aus allen massenwirksamen Ideen und Ideologien, die im geistigen Klima der Nachkriegszeit vagabundierten“, erfolgreich agieren. Das von ihm propagierte Leitbild der „Volksgemeinschaft“ schien die Lösung der sozialen Schwierigkeiten der modernen Industriegesellschaften zu verheißen. In Wahlkundgebungen und Manifesten Hitlers kam der Antisemitismus zwar zunächst eher hintergründig zum Vorschein, jedoch erfüllte dieser eine wichtige integrative Funktion innerhalb der „Bewegung“. Die zwischen 1930 und 1932 stattfindenden antijüdischen Ausschreitungen wurden fast immer von Nationalsozialisten verübt. Für Hitler war die Judenfeindschaft, anders als für viele konservative Agitatoren, „niemals Mittel zum Zweck, sondern immer Selbstzweck“. So kann man für das Gros der Gesellschaft sagen, daß „der Nationalsozialismus dem Antisemitismus Auftrieb gab“ und nicht umgekehrt. Die gleichgültige Hinnahme des Antisemitismus macht aber deutlich, wie tief verwurzelt zumindest eine latente, diffuse Judenfeindschaft in der Bevölkerung war.

3. Der Centralverein und die C.V.-Zeitung

3.1 Der Centralverein deutscher Staatsbürger jüdischen Glaubens

Den Anstoß zur Gründung des Centralvereins gab eine Programmschrift Raphael Löwenfelds. In sechs Thesen formulierte dieser ein weltanschauliches Grundkonzept. Danach definiert er sich und seine Mitstreiter in erster Linie als deutsche Bürger ohne homogene politische Weltanschauung oder Moral. Das Judentum sei eine Religion unter vielen, mit den Juden anderer Nationen gäbe es außerhalb des Glaubens keine Gemeinsamkeiten. Am 26. März 1893 konstituierte sich daraufhin der „Centralverein deutscher Staatsbürger jüdischen Glaubens“ unter Mitwirkung von Professoren, Rechtsanwälten und Stadtverordneten. Die hauptsächliche Motivation zur Gründung des Vereins war, daß man der nichtjüdischen Bevölkerungsmehrheit beweisen wollte, „daß man Angehöriger der jeweiligen Nation war und daß das Judentum damit nicht im Widerspruch stand“. Außerdem wurde der Vorsatz gefaßt, jüdischen Staatsbürgern Schutz vor Anfeindungen zu bieten.

Erst am Ende der Weimarer Republik begann der Centralverein, das Judentum als Schicksals- und Stammesgemeinschaft mit eigener Geschichte anzuerkennen. Entscheidend blieb aber die patriotische Gesinnung. So nahm der Verein gegenüber der zionistischen Bewegung eine eher ablehnende Haltung ein, da deren Wirken die Juden „von neuem zu Fremdlingen in Deutschland“ stempele und dem vom Centralverein propagierten Assimilationsgedanken widerspreche.

Als Organe des Vereins fungierten die Hauptversammlung, der Hauptvorstand und der Arbeitsausschuß. Letzterer regelte die laufenden Geschäfte, wogegen der Hauptvorstand die groben Linien der Vereinspolitik festlegte. 1932 waren im Centralverein 60.000 Mitglieder, fast ausschließlich aus den bürgerlichen Schichten, in 23 Landesverbänden und 634 Ortsgruppen organisiert. Während seines Bestehens von 1893 bis 1938 lenkten fünf Vorsitzende die Geschicke des Vereins. Die „bedeutendste und wirkungsstärkste Persönlichkeit des Centralvereins seit den zwanziger Jahren“ war Dr. Ludwig Holländer, der ab 1921 das neugeschaffene Amt des Vereinsdirektors und geschäftsführenden Mitglieds ausübte.

Dem erklärten Ziel, der Bekämpfung des Antisemitismus, kam der Centralverein dadurch nach, daß er benachteiligten Juden Rechtsschutzhilfe bot. Außerdem wurden die Programme der Rechtsparteien auf latente und manifeste antisemitische Strukturen hin überprüft. Im Kampf gegen den Antisemitismus glaubte der Centralverein, durch sein Eintreten für das Wohl der Juden den gesamtdeutschen Belangen zu dienen. Antijüdische Ausschreitungen wurden deshalb als „undeutsch“ verurteilt.

3.2 Die C.V.-Zeitung

Vorläufer der C.V.-Zeitung war die Monatsschrift „Im deutschen Reich“, die von 1895 bis 1922 als Vereinszeitschrift des „Centralvereins deutscher Staatsbürger jüdischen Glaubens“ fungierte. Die „Central-Verein-Zeitung. Blätter für Deutschtum und Judentum. Allgemeine Zeitung des Judentums“ wurde als Wochenzeitung gegründet, um „den Bedürfnissen und Forderungen der Vereinsmitglieder nach umfassender Unterrichtung über die Aktivität des politischen Antisemitismus und über die Tätigkeit der C.V.-Zentrale und der C.V.-Landesverbände Rechnung zu tragen“. Vor allem der Aufstieg der NSDAP wurde umfassend beleuchtet. Dagegen wurde jüdischem Leben und jüdischer Kultur ungleich weniger Aufmerksamkeit eingeräumt, man „widmete sich vornehmlich der nach außen zielenden Darstellung des deutschen Judentums als eines integralen Bestandteils des deutschen Volkes“. Eine spezifisch jüdische Politik wurde, ganz im Sinne des Centralvereins, strikt abgelehnt. Jährlich wurden Verzeichnisse der judenfeindlichen Erholungsorte publiziert, des öfteren erschienen auch Beilagen mit thematischem Schwerpunkt, etwa zur „Rassenfrage“.

Die Position des Hauptschriftleiters übernahm zu Beginn Dr. Ludwig Holländer. Die Redaktion leitete vorerst Ernst Groth, dann Dr. Artur Schweriner, Dr. Margarete Edelheim und ab dem Sommer 1933 Dr. Alfred Hirschberg. Viele der Redakteure waren Juristen, einige waren Mitglieder der DDP bzw. der SPD. Neben den Redakteuren leisteten die Funktionäre der C.V.-Landesverbände und ihrer Untergliederungen die journalistische Hauptarbeit. Die auf den ersten Seiten plazierten Leitartikel und Kommentare waren aber meist den Redakteuren vorbehalten. Auch christliche Mitarbeiter wirkten bei der publizistischen Gestaltung mit.

1923 betrug die Auflage der C.V.-Zeitung 80.000 Exemplare, 1930 nur noch 60.000 und 1938 40.000 Exemplare. Für Mitglieder des Centralvereins war der Bezug der Zeitung im Mitgliedsbeitrag enthalten. Die C.V.-Zeitung war auch im Handel frei käuflich, davon wurde jedoch nur in geringem Maße Gebrauch gemacht. Der Anteil nichtjüdischer Leser blieb so „insgesamt gesehen bedeutungslos“, obwohl es die dezidierte Absicht des Centralvereins war, nichtjüdische Deutsche aufzuklären. In den ersten Jahren wurde die C.V.-Zeitung regelmäßig in großer Zahl Behörden, Organisationen und einflußreichen Persönlichkeiten des öffentlichen Lebens zugestellt. Seit 1925 wurde für diese Zielgruppe sowie für einen noch größeren Kreis von Politikern, Professoren, Ärzten und Rechtsanwälten eine zusammenfassende Monatsausgabe publiziert, die ausschließlich der Information dieser nichtjüdischen Adressaten dienen sollte. Damit sollte dem zunehmend lauter werdenden Antisemitismus publizistisch angemessen begegnet werden.

Nach 1933 erschien die C.V.-Zeitung nur noch unter großen Einschränkungen, 1938 mußte sie ihr Erscheinen einstellen.

4. Die Reichstagswahlen vom 6. November 1932 im Spiegel der C.V.-Zeitung

Nach der erneuten Auflösung des Reichstags widmet sich die C.V.-Zeitung am 16. 9. in einem ausführlichen Leitartikel den bevorstehenden Neuwahlen. Dort wird zwar die Zuversicht geäußert, „den ‘unaufhaltsamen Siegeszug‘ der Partei diesmal zu hemmen“. Wer jedoch den „völligen Zusammenbruch der NSDAP“ erwarte, der täusche sich. Zu befürchten sei die noch stärker eingesetzte „judenfeindliche Walze in diesem Wahlkampf“. Unerläßlich sei es, „in unseren Reihen keine Wahlmüdigkeit“ aufkommen zu lassen. In einer Grundsatzbetrachtung nimmt auch ein Gemeinderabbiner zu den am jüdischen Selbstverständnis nagenden Angriffen der Antisemiten Stellung. Die „rücksichtslose Kriegserklärung wider Glaube und Sitte“ rufe „einen jeden auf den Plan“. Man müsse aktiv werden, wenn auch in „erzwungener Abwehr“.

In der Ausgabe vom 23. 9. wird das Bekenntnis des Centralvereins zu Deutschland unterstrichen. Neben der Torpedierung des Parlamentarismus durch die Nationalsozialisten schädige auch der Verläumdungsfeldzug gegen die Juden diese „nicht allein“, sondern das gesamte deutsche Volk, da das Rechtsempfinden der Menschen abstumpfen würde. In der Rubrik „Das Ausland über Nationalsozialismus“ werden zudem die negativen Folgen der antisemitischen Ausschreitungen für das Ansehen Deutschlands in der Welt deutlich gemacht. In einem am 7. 10. erscheinenden Artikel heißt es dazu: „Niemand bedauert mehr als wir, daß deutsche Angelegenheiten in fremde Länder getragen werden, noch dazu solche, mit deren Veröffentlichung keineswegs der Stellung Deutschlands unter den Völkern irgendwie gedient ist“.

Am 30. 9. berichtet die C.V.-Zeitung ausführlich über die zuvor stattgefundene Arbeitsausschuß-Sitzung des Centralvereins. Man sieht keinen Anlaß, eine veränderte Wahlempfehlung zu geben: Es sei „selbstverständlich, daß jeder jüdische Wähler ‘deutsch'“ wähle, „wie jeder andere Deutsche“. Davon ausgenommen seien antijüdische Parteien wie die DNVP.

Bereits eine Woche später ist der Wahlkampf in vollem Gange: Auf der Titelseite werden Vorwürfe der Nationalsozialisten widerlegt, nach denen der Centralverein eine Wahlempfehlung zugunsten der DNVP gegeben habe: Ein solcher Vorschlag sei dem C. V. „unmöglich“. Der Artikel „Politische Orientierung“ gibt die tiefe Verunsicherung und Orientierungslosigkeit der Juden wider. Das „Gefühl der politischen Heimatlosigkeit“ habe durch den „Zersetzungsprozeß“ der Mittelparteien „eine Zuspitzung erfahren“. Kein einziges Parteiprogramm zeige den Weg zur Lösung der Aufgaben der deutschen Politik. Dabei wäre es geboten, als „gesamte Nation in entscheidender Zusammenballung aller schöpferischen Kräfte“ den anstehenden Aufgaben entgegenzutreten. Es gehe bei dieser Wahl „nicht um jüdische Belange, sondern um die Belange des deutschen Volkes“. Das Leben der Juden aber sei „unzerreißbar in elementarer Weise“ mit dem Leben des deutschen Volkes verbunden.

Am 21. 10., knappe zwei Wochen vor der Reichstagswahl, wird es konkret. Im Leitartikel heißt es: „Wir wählen als Deutsche. Eben deshalb dürfen wir nicht übersehen, wie die einzelnen Parteien sich zum Judentum verhalten. Die Echtheit des Deutschtums ist für uns mit erkennbar in der gerechten Stellung zur Judenfrage.“ Als wählbar werden nicht nur „Bayerische Volkspartei, Deutsche Volkspartei, Sozialdemokratie, Staatspartei, Wirtschaftspartei oder Zentrum“ erachtet, sondern, wenn man „unbedingt“ wolle, auch die Regierung Papen. Vor der DNVP, die Juden nicht aufnehme, aber auch vor der Kommunistischen Partei wird gewarnt: „Die Kampfstellung des Kommunismus gegen jede Religion weist uns als Juden den Weg.“ Zudem bekämpfe man jede blutige Gewaltanwendung, „gleichgültig aus welchem Lager sie herrührt“.

In der Ausgabe vom 28. 10. sind nun auch erstmals Wahlanzeigen veröffentlicht. Neben Anzeigen der Sozialdemokraten und des Zentrum befindet sich auch die großgedruckte Aufforderung „Am 6. November unbedingt wählen!“ nebst einem vertiefenden Artikel. „Wir können und wir wollen die Menschen nicht zu einer politischen Einheit umgestalten“, heißt es. Einzig die Wahl der DNVP könne man „keinesfalls irgendwie anraten“. Eine Bitte von Freunden aus Breslau, die Mitglieder vor der Deutschen Volkspartei zu warnen, sei jedoch verfehlt. Deren Programm gebe „keinen Anlaß […], deutschjüdische Wähler abzuschrecken“.

„Unsere Pflicht am 6. November: Wählen!“, heißt es in der letzten Ausgabe vor der Wahl. Die Folgen, „die das Nichtwählen jedes einzelnen für die Gesamtheit“ bedeute, werden ausführlich beschrieben: „Die Radikalen haben es noch immer verstanden, die letzten ihrer Anhänger und Anhängerinnen an die Wahlurne zu bringen.“ Der Artikel „Amokläufer Nationalsozialismus“ faßt verschiedene antisemitische Vorfälle des Wahlkampfs der NSDAP zusammen. „Wir deutschen Juden könnten fast eingebildet werden auf die zentrale Bedeutung, die man uns auch bei diesem Wahlkampf wieder bei der Lösung aller Gegenwartsprobleme beimißt“, heißt es zugespitzt. Probleme werden unter anderem in der Verdrehungskunst der NSDAP gesehen. Vor allem der Vorwurf, man werbe für die DNVP, fordert zu immer neuen Gegendarstellungen heraus. Eine diesbezügliche Fälschung wird, mit entlarvenden Beiworten versehen, komplett abgedruckt. In einem Aufsatz über die „Grundsätze der Massenpropaganda“ begründet man diese Vorgehensweise: Was getan werden müsse, sei „das ständige Wiederholen der Wahrheit, die unermüdliche Zurückweisung der Verleumdungen in schwieriger, aber unentbehrlicher Kleinarbeit.“

Nach der Wahl am 6. November beschäftigt sich die C.V.-Zeitung ausführlich mit den Ergebnissen. Zunächst wird die Hoffnung genährt, mit dem schlechten Abschneiden der NSDAP könne möglicherweise etwas Ruhe in die politische Landschaft einkehren. Man wisse aber keineswegs, „ob nicht die Verhältnisse so viel stärker als die Menschen sind, daß die Regelung fast jeder jetzt strittigen Frage immer wieder Schwierigkeiten schafft, die aufs neue aufwühlen und regen müssen“. An die Stelle von „Verleumdung, Verdächtigung, Herabsetzung, Verächtlichmachung, Hetze“ müsse nun die „Versachlichung“ treten. In einem weiteren Artikel wird vorausahnend betont, die NSDAP stelle mit 12 Millionen Wählern und 196 Mandaten „nach wie vor einen Machtfaktor dar, mit dem die Träger der Macht ebenso wie die öffentliche Meinung zu rechnen haben.“

5. Fazit

Zumindest in einem Punkt scheint die Strategie der C.V.-Zeitung aufgegangen zu sein: Die ausführliche Wahlkampfberichterstattung hat mit Sicherheit dazu beigetragen, die Wahlbeteiligung der jüdischen Bürger zu erhöhen. In der Zeitung selber wird zudem die eigene Überparteilichkeit gelobt. Dadurch habe sich keinerlei Angriffsfläche geboten: „Unsere Stärke war immer unsere mangelnde politische Einheitlichkeit“.

So richtig und berechtigt dies ist, so wichtig wäre es jedoch auch gewesen, neben der Kritik an den rechtsextremen Parteien DNVP und NSDAP genauer auf vermeintliche Parteien und Personen der politischen „Mitte“ zu schauen. Schließlich war die DVP Listenverbindungen mit der DNVP eingegangen, und der Zentrumspolitiker Franz von Papen brachte die Regierung Hitler mit auf den Weg. Doch mag die Leserschaft der damaligen Zeit für differenzierte Kritik nicht allzu zugänglich gewesen sein, und die C.V.-Zeitung hatte mit der Geißelung des in dieser Form noch nicht dagewesenen Antisemitismus der NSDAP wahrlich genug zu schaffen.

Letzterer Arbeit wurde ausführlichst nachgegangen: In kaum vergleichbarer Weise machte die C.V.-Zeitung auf antisemitische Vorfälle aufmerksam und widerlegte in der Öffentlichkeit gemachte antisemitische Behauptungen. Deshalb kommt ihr ein großer Verdienst zu. Das in der C.V.-Zeitung bis zuletzt aufrechterhaltene Bekenntnis zu Deutschland und dem deutschen Volk liest sich jedoch bitter. Schließlich wurden mit dem Holocaust alle diesbezüglich vorhandenen Überzeugungen auf das entsetzlichste zunichte gemacht. Ein Selbstverständnis, wie es der „Centralverein“ repräsentierte, wird unter jüdischen Deutschen wohl nie mehr existieren können.

6. Bibliographie

Battenberg, Friedrich: Das Europäische Zeitalter der Juden. Band II: Von 1650 bis 1945. Darmstadt 1990.

Bernstein, Reiner: Zwischen Emanzipation und Antisemitismus. Die Publizistik der deutschen Juden am Beispiel der „C.V.-Zeitung“, Organ des Centralvereins deutscher Staatsbürger jüdischen Glaubens, 1924-1933. Diss. phil. FU Berlin 1969.

C.V.-Zeitung. Blätter für Deutschtum und Judentum. Organ des Central-Vereins deutscher Staatsbürger jüdischen Glaubens. Berlin 1922-1938.

Mann, Golo: Deutsche Geschichte des 19. und 20. Jahrhunderts. Frankfurt am Main 1992.

Ortag, Peter: Jüdische Kultur und Geschichte. Ein Überblick. Potsdam 1997.

Schulze, Hagen: Kleine Deutsche Geschichte. München 1996.

Winkler, Heinrich August: Die deutsche Gesellschaft der Weimarer Republik und der Antisemitismus – Juden als „Blitzableiter“. In: Benz, Wolfgang und Bergmann, Werner (Hrsg.): Vorurteil und Völkermord. Entwicklungslinien des Antisemitismus. Freiburg im Breisgau 1997.