Malochen für elf Mark

Jeder zweite Studierende muß sich seinen Lebensunterhalt mit Jobben verdienen. Aber einen guten Job zu finden wird immer schwerer

Von Tobias Jaecker 

Peter Radunski dachte laut nach. Der Student an sich sei eigentlich eine reiche Spezies, ließ der christdemokratische Wissenschaftssenator schon bald nach seinem Antritt verlautbaren. Schließlich fliege er mindestens zweimal im Jahr in Urlaub und leiste sich auch sonst eine Menge Luxus.

Die Realität sieht etwas anders aus. Jeder zweite Studierende ist auf regelmäßige Nebeneinkünfte angewiesen, schätzen Studentenvertretungen. Nach Auskunft des Sozialreferats der Humboldt-Universität beziehen aber lediglich 15 Prozent Bafög, im Schnitt werden 630 Mark ausgezahlt. Viele Studenten müssen auf Jobsuche gehen.

Wer Glück oder Beziehungen hat, arbeitet für gutes Geld und womöglich auch noch mit Spaß an der Sache. Zum Beispiel Carsten. Publizistik studiert der Fünfundzwanzigjährige nur noch nebenher. Die meiste Zeit verbringt er mit dem Layout einer Zeitschrift. Davon kann er recht gut leben. Da er später einmal im Bereich Grafik- Design arbeiten will, ist der Job für ihn eine gute Vorbereitung auf den Beruf.

Die dunkle Seite an der Notwendigkeit zu Jobben zeigt sich vor allem bei den studentischen Arbeitsvermittlern Heinzelmännchen und Tusma. Hierhin verschlägt es all diejenigen, die anderweitig nur schwer einen Job finden, zum Beispiel ausländische Studierende. Zwar sind die 15 bis 17 Mark pro Stunde, die in der Regel geboten werden, kein Sklavenlohn. Doch Jobs, die man hier findet, werden immer nur für ein paar Tage vermittelt. Und Frauen haben es noch schwerer: Meist werden Männer gesucht.

Seit im Oktober vergangenen Jahres auch für studentische Beschäftigte die Rentenversicherungspflicht eingeführt wurde, ist es schwerer geworden, einen Job zu finden. Schließlich sind Studenten nicht mehr ganz so billig wie zuvor, viele Arbeitgeber verlieren das Interesse. Jobangebote für Studierende sind daher drastisch zurückgegangen.

So haben die Heinzelmännchen im vergangenen Jahr rund 25 Prozent weniger Jobs vermittelt als im Vorjahr. Ähnlich bei Tusma. „Wir leiden sehr unter der Einführung der Rentenversicherungspflicht“, sagt Basem Seikh vom Tusma- Vorstand. „Nicht nur, daß das Angebot um zehn bis 15 Prozent rückläufig ist. Auch die Qualität hat sich verschlechtert.“ Wurden früher noch höherwertige Arbeiten mit besserer Bezahlung angeboten, so sind jetzt vor allem Jobs als Umzugshelfer und Transportarbeiter gefragt, sagt Seikh. Viele Firmen hätten sich aus der Vermittlung ausgeklinkt und beschäftigten die Studenten nun direkt. „Oder sie besorgen sich woanders billige Arbeitskräfte.“

Gleich den Studenten, die regelmäßig bei den Arbeitsvermittlungen Schlange stehen, ist es auch für Sandra schwerer geworden. Für elf Mark pro Stunde arbeitet die alleinerziehende Mutter in einem Schnellrestaurant. Ihr bleibt auch kaum etwas anderes. Denn wegen ihres zweijährigen Kindes kann sie nur spät abends arbeiten oder wenn ihre Tochter in der Kita ist. Der Job braucht Kraft, das Studium leidet darunter und wird länger. „Mit einer Grundsicherung für Studierende wäre das alles ein geringeres Problem“, meint die Studentin der Osteuropawissenschaften. „Aber damit innerhalb einer realistischen Zeitspanne zu rechnen ist wohl utopisch.“

Erschienen in: taz, 10.10.1997