Der Staat rüstet um

Kürzungen im Sozialbereich

Kommentar von Tobias Jaecker

„Das süße Leben der Sozialschmarotzer“, titelte unlängst das Nachrichtenmagazin „Focus“. Damit war zugespitzt formuliert, was lange schon in vieler Leute Köpfe herumspukt: Der Sozialhilfeempfänger ist faul, arbeitsunwillig und zockt ab, wo es nur geht. Und das schlimmste ist: Er lebt auf unsere Kosten, von unseren Steuergeldern!

Der herrschende öffentliche Diskurs ist damit in eine Ecke gedriftet, wo er von Politik und Wirtschaft freudig begrüßt wird. Denn Mißtrauen und Neid richten sich nicht mehr gegen die Mangager in Nadelstreifen, die sich im großen Stil um die Zahlung von Milliardenbeträgen an Steuern herumdrücken (der Steuerausfall bei den Banken belief sich im letzten Jahr laut Bundesrechnungshof auf fünf Milliarden Mark). Im Gegenteil: die gesellschaftlich Ausgestoßenen, weil im Arbeitsprozeß nicht mehr verwertbaren Menschen sind Angriffsfläche und Opfer. Die Deutsche Bank fuhr im letzten Jahr einen Rekordgewinn in Höhe von fünf Milliarden Mark ein, und im Sozialbereich wird mit dem Mähdrescher gekürzt. Die Zahlung der Sozialhilfe wird von der Arbeitsbereitschaft des Empfängers abhängig gemacht – bei bald fünf Millionen Arbeitssuchenden eine Absurdität. Mit der Kürzung der Arbeitslosenhilfe wird begonnen und bei der Demontage von Sozial- und Bildungseinrichtungen noch lange nicht aufgehört.

Zur Begründung dieses keineswegs solidarischen Brechstangenprinzips muß dabei meist die sagenumnebelte „Globalisierung“ herhalten. Argumentationskette: Sind die betrieblichen Sozialabgaben zu hoch, wandert die Wirtschaft ins Ausland ab, wo es sich vortrefflich billiger produzieren läßt. Wie man es besser haben könnte, soll das Beispiel Amerika zeigen: Da greift die Deregulierung angeblich vortrefflich. Kaum seien die Sozialausgaben gekappt, entstünden haufenweise neue Arbeitsplätze. Daß so mancher US-Bürger nur mit zwei bis drei solcher Billigjobs über die Runden kommt, wird dabei nicht erwähnt. Und daß alleinerziehende Mütter, Alte und Kranke einen solchen Kraftakt nicht leisten können, erst recht nicht.

Daß die Politik ihre lenkende und regulierende Funktion im Wirtschaftsbereich aufgibt und durch vielfältige Zwangs- und Kontrollmechanismen im Sozialbereich ersetzt, fällt vielen nicht auf. So mancher Entscheidungsträger strebt jedoch genau dies an. Der bundesrepublikanische Staat, der früher zumindest begrenzt für Ausgleich zwischen Gewinnern und Verlierern in der Marktwirtschaft sorgte, stellt sich damit mehr und mehr in den Dienst der mächtigen und reichen Teilhaber der Gesellschaft. Andere Bevölkerungsteile fallen dabei zwangsläufig unter den Tisch. Ob das der Weisheit letzter Schluß ist, muß doch stark bezweifelt werden.

Erschienen in: blatt 2/1997